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© medianet / Katharina Schiffl

Rainer Will

Redaktion 30.05.2023

Umweltministerium belastet Nahversorger mit noch mehr Bürokratie

Lebensmittelhandel nimmt neue Meldepflicht zur Kenntnis, Problem wird damit nicht gelöst. Nur 5% der Nahrungsmittelabfälle stammen aus dem Handel.

WIEN. Das "Bürokratiebelastungsprogramm" für Großhändler und heimische Nahversorger ist um eine Facette reicher geworden: Die in der Vorwoche vom Nationalrat beschlossene Novelle des Abfallwirtschaftsgesetzes (AWG) sieht u.a. vor, dass
Lebensmittelhändler künftig beim Umweltministerium einmal pro Quartal einmelden müssen, wie viele Lebensmittel sie wegwerfen oder an Sozialeinrichtungen spenden. Die neue Meldepflicht gilt ab Q4 für Händler ab einer Verkaufsfläche von 400 m2 bzw. ab 5 Verkaufsstellen.

Bürokratiebremse? Fehlanzeige!
„Die großen Lebensmitteleinzelhändler können mit dieser
zusätzlichen Meldepflicht gut leben, sie melden schon seit Jahren freiwillig diese Zahlen. Stattdessen belastet das Umweltministerium aber nun auch hunderte österreichische Nahversorger mit einem zusätzlichen Verwaltungsaufwand. Bürokratiebremse? Fehlanzeige! Das ist eine Themaverfehlung und das grundsätzliche Problem wird damit
nicht gelöst“, erklärt Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will im Namen der betroffenen Lebensmittelhändler.

Österreich hat sich im Rahmen der UN-Nachhaltigkeitsziele zur
Halbierung der vermeidbaren Lebensmittelabfälle in Haushalten und im Handel bis 2030 verpflichtet. Der heimische Handel unterstützt daher schon seit Jahren freiwillige Initiativen wie "Lebensmittel sind kostbar", um die Vermeidung von Lebensmittelverschwendung und die Weitergabe an Sozialorganisationen aktiv zu fördern. Supermärkte
geben nicht mehr verkäufliche, aber noch genießbare Lebensmittel an Tafeln und andere Sozialeinrichtungen weiter. Seit 2017 melden alle großen Lebensmitteleinzelhändler und teilweise auch Lebensmittelgroßhändler freiwillig, wie viele Lebensmittel weitergegeben werden und welche entsorgt werden müssen – für sie ändert sich durch die gesetzliche Meldepflicht kaum etwas. Für kleinere Nahversorger entpuppt sich die Initiative aber als weitere bürokratische Belastung.

Lebensmittelhandel spendet jährlich 12.250 Tonnen Lebensmittel an Sozialorganisationen
„Der Lebensmittelhandel hat im Branchenvergleich ohnehin sehr geringe Margen und überhaupt kein Interesse daran, Lebensmittel wegzuwerfen. Daher ist es im österreichischen Lebensmittelhandel gelebte Praxis, keine genusstauglichen Lebensmittel zu entsorgen, sondern an Sozialeinrichtungen zu spenden. Lebensmittel werden nur dann entsorgt, wenn sie nicht mehr für den Verzehr geeignet sind und auch nicht mehr zu Futtermitteln verarbeitet werden können“,
bestätigt Will.

Der entscheidende Trumpf im Kampf gegen Lebensmittelverschwendung liegt im Bereich der Weitergabe an Sozialeinrichtungen. Hierzulande werden pro Jahr 12.250 Tonnen Lebensmittel vom Handel an Sozialorganisationen gespendet. Darüber hinaus werden 10.000 Tonnen
an nicht mehr verkäuflichen Lebensmitteln zur Futtermittelherstellung verwertet. Damit ist Österreich im internationalen Vergleich ein absoluter Vorreiter.

Handel nur für 5% der Lebensmittelabfälle verantwortlich
„Leider verkennt das Umweltministerium in der
Lebensmittel-Wertschöpfungskette einmal mehr, wer tatsächlich für die Lebensmittelverschwendung verantwortlich zeichnet. Laut Studien stammen 53% der Lebensmittelabfälle im Rest- und Biomüll aus privaten Haushalten, 30% aus der Landwirtschaft und 12% aus der Gastronomie. Im Vergleich dazu ist der Handel nur für rund 5% verantwortlich. Daher braucht es endlich entsprechende Anreize und Sensibilisierungsmaßnahmen beim Endverbraucher“, so Rainer Will.

Entscheidend ist, die Lebensmittelverschwendung dort zu bekämpfen, wo sie tatsächlich passiert. Eine deutliche Reduktion wäre einerseits bei der saisonalen Überproduktion und der Gastronomie und andererseits in den privaten Haushalten möglich. Der Kampf gegen Lebensmittelabfälle muss ein integraler Bestandteil des Lehrplanes werden. Nur so kann das Ausmaß der Lebensmittelabfälle bis 2025 um
30% reduziert werden.

Sozialeinrichtungen müssen endlich finanziell gestärkt werden
Darüber hinaus sollte die heimischen Sozialeinrichtungen zeitnah durch öffentliche Mittel stärker gestützt werden. In Österreich passiert dies zurzeit nur in minimalem Ausmaß, der Großteil der Infrastruktur kommt von privaten Spendern. Die größten vier heimischen Lebensmitteleinzelhändler spenden Jahr für Jahr Waren in dreistelliger Millionenhöhe an die Sozialeinrichtungen.

Zu beachten ist auch, dass es den Sozialeinrichtungen teilweise an Ressourcen fehlt, um die gespendeten Waren überhaupt abholen zu können. Durch verbesserte Bestellsysteme werden die abzuholenden Lebensmittel im LEH mengenmäßig immer kleiner, der Aufwand der Abholung für die Sozialeinrichtungen ist für den Output aber vergleichsweise hoch.

Die Verteilung von Lebensmitteln an einkommensschwache Menschen liegt aber auch im öffentlichen Interesse. Das muss von staatlicher Seite stärker unterstützt werden. Was helfen würde?

* Mehr Unterstützung: Die Bundesregierung hat den
Sozialeinrichtungen beim Lebensmittelgipfel 10 Mio. Euro an
Sofort-Unterstützung versprochen. Die Ausgestaltung und der Modus sind noch immer offen. Die Sozialeinrichtungen benötigen aber JETZT das Geld, um den Menschen zu helfen.

* Mehr Rechtssicherheit für Sozialeinrichtungen: Aus rechtlicher Sicht sind Tafeln und Sozialmärkte hierzulande als Inverkehrbringer zum Endkonsumenten zu sehen – mit allen lebensmittelrechtlichen Pflichten. Die Möglichkeiten der Sozialorganisationen, die Vorgaben hinsichtlich Qualitätskontrollen und Lebensmittelsicherheit
einzuhalten, sind jedoch nicht mit jenen von Lebensmittelhändlern zu vergleichen. In Nachbarländern wie Italien gibt es daher die gesetzliche Regelung, dass Sozialorganisationen nicht für Mängel von Produkten haftbar gemacht werden können, die sich nach bestem Wissen
weitergegeben haben. Damit werden Schenkungen gefördert, ohne die notwendigen Schutzmaßnahmen in Frage zu stellen. Eine ähnliche Lösung braucht es auch in Österreich.

* Mehr Rechtssicherheit für Händler: In Österreich ist der Handel steuer- und lebensmittelrechtlich gezwungen, bei der Weitergabe von Lebensmitteln in einem Graubereich zu agieren. So müssen Lebensmittel vor der Weitergabe als Verderb deklariert werden, um die Vorsteuer anwenden zu können. Bedingung dafür wäre allerdings, dass die Waren
nicht mehr verkäuflich/verkehrstauglich sind. Damit dürften sie aber auch nicht mehr über Sozialeinrichtungen in Verkehr gebracht werden. Dieser rechtliche Graubereich muss klarer geregelt werden, worauf der Handelsverband schon seit Jahren pocht.

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