Wenn die Bewerbung zum Wunschkonzert wird
© Moni Fellner
CAREER NETWORK Redaktion 14.07.2023

Wenn die Bewerbung zum Wunschkonzert wird

Geld spielt beim Recruiting heute oft nur eine Nebenrolle: Tipps für das Recruiting von der Star-Profilerin.

••• Von Alexander Haide

Work-Life-Balance, Homeoffice, mehr Urlaub, sinnstiftende ­Tätigkeiten und vieles mehr – der Arbeitsmarkt ist post Corona vom Angebotsmarkt zum Käufermarkt geworden. Schon lange reicht es nicht mehr aus, auf willige Mitarbeiter zu warten – wer heute Fachkräfte sucht, muss meist mehr bieten als einen dicken Gehaltsscheck. Patricia Staniek ist Profilerin, coacht Mitarbeiter aus dem Human Resources-Bereich und schult Recruiter. Die Expertin weiß, was Arbeitgeber alles auf den Tisch legen sollten – und müssen –, um Mitarbeiter für sich zu gewinnen, und sie verrät, was zukünftige Mitarbeiter beim Bewerbungsgespräch verlangen können.

Der Kampf hat begonnen

„Als Recruiter muss ich heute Top-Kenntnisse in ‚HR-Profiling PScn' (Verhaltensanalyse und Persönlichkeits-Scanning, Anm.) haben, ich benötige Exzellenz in Menschenkenntnis. Ich muss wissen, wer mein Bewerber ist. Und das muss ich bereits herausfinden, bevor er bei mir sitzt. Denn ich muss vorher wissen, was ich anbieten kann. Es geht beim Bewerber auch um Motive: Was ist sein Motiv, was braucht und will der Bewerber tatsächlich? Und das ist nicht immer ein monetärer Wert”, umreißt Staniek. „Es ist auch zu unterscheiden, ob ich eine aktive Bewerbung erhalte, die meist leichter abzuhandeln ist, als wenn ein Unternehmen über Social Media oder über Personalvermittler an die Bewerber herantritt. Denn dann ist der Bewerber in der besseren Position: Du willst mich fischen, aber ich sag dir, wie teuer der Fisch ist.”

Der Kampf um neue Mitarbeiter beschreibt die zunehmende Problematik, qualifiziertes Personal zu finden. Der enorme Wettbewerbseffekt, dem Arbeitgeber heute ausgesetzt sind, kann natürlich von Bewerbern genutzt werden, um zu verhandeln. „Nicht immer sind es faire Ansprüche, mit denen die Bewerber den Recruitern gegenübersitzen, manche spielen hoch und manche spielen unverschämt”, weiß Staniek aus der Praxis und lässt sich tief in die Karten blicken. „Bei meinen letzten Recruitings haben sich Bewerber Folgendes gewünscht: Eine moderne Ausstattung am Arbeitsplatz, technische Top-Ausstattung bei Laptop und Co., flexible Arbeitszeiten und Homeoffice, eine exzellente Work-Life-Balance statt Babyboomer-Verhalten, ein tatsächlich gutes Betriebsklima und eine entsprechend angenehme Unternehmenskultur. Das Geld kam bei vielen an der letzten Stelle”, so die Profilerin über die derzeitigen Wünsche von – zukünftigen – Mitarbeitern. Doch viele schießen über das Ziel hinaus: „Die Forderungen von manchen Bewerbern sind übertrieben”, meint Staniek. Doch oft werden aus Angst, den Bewerber zu verlieren, Zugeständnisse gemacht, die man eigentlich nicht machen sollte. „Denn auf diese Zugeständnisse oder Benefits müssen auch andere, bestehende Mitarbeiter zugreifen können. Der Bewerber, der heute eine Verschwiegenheitserklärung unterschreibt, plaudert im nächsten Monat entweder absichtlich oder unabsichtlich über seine Benefits mit anderen Kollegen. Dadurch entsteht Neid und natürlich Frustration, wenn der langjährige Mitarbeiter diesen Benefit nicht bekommt, der vielleicht nicht so qualifizierte Neuling aber schon.” Stanieks Fazit: „Der eine oder andere Recruiter lässt sich blenden oder über den Tisch ziehen und gibt schnell nach.”

Der richtige „Fisch”

Patricia Staniek bildet neben zertifizierten Profilern auch Recruiter aus. „Meine auszubildenden Recruiter lernen, wie sie bereits im Vorfeld herausfinden können, was ‚der Fisch' für den Bewerber sein könnte. Ist er das Homeoffice, ist es Geld, moderne Gerätschaften, ein Firmenhandy, mehr Freizeit oder was auch immer. Ich benötige vor dem ersten Gespräch eine gewisse Vorinformation”, erläutert Staniek. „Heute ist HR-Profiling PScn unerlässlich, zudem sollten die Recruiter auch lernen zu verhandeln. Das bedeutet, sie müssen so aufgestellt sein, dass sie über hohe professionelle analytische und diagnostische Kenntnisse verfügen und diese einsetzen können. Dazu gehört bei Recruitern eben Profiling PScn, das eine Realtime-Analyse von Mimik, Gestik, Körpersprache, Stimme und Sprache beinhaltet. Auch Verhandlungsstrategien und -taktiken sowie moderne Befragungstechniken aus Kriminologie und Kriminalistik sollten zum Portfolio eines Recruiters gehören. Zudem muss er heute ebenfalls in der Lage sein, eine Glaubwürdigkeitsüberprüfung durchzuführen. Abgesehen davon muss er sein Unternehmen authentisch und ehrlich ‚verkaufen' können. Denn nicht nur Bewerber täuschen, Unternehmen machen das auch.”

Bewerber-„Brille” aufsetzen

Ein besonderer Rat der Expertin: Wichtig ist, dass bei Recruiting zumindest ab dem ersten oder spätestens zweiten Bewerberinterview der Fachbereichsleiter ebenfalls dabei ist. „Recruiting muss unternehmerisch denken”, schließt Staniek. „Recruiting sollte sich kandidatenorientierte Prozesse überlegen. Ich kann einen Bewerbungsprozess mal so gestalten, als hätte ich die Brille der Kandidaten auf, um die ich mich bemühe. So finde ich heraus, wer überhaupt meine Zielgruppe ist, welche Lebenseinstellung und Philosophie sie haben könnte, welche Motive und welche Lebenseinstellungen.”

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