Medizin-Revolution
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DOSSIERS Gastkommentar Rupert Ecker 05.10.2018

Medizin-Revolution

Individualisierte Medizin wird in den kommenden Jahren das Gesundheitswesen grundlegend verändern.

Gastkommentar
••• Von Rupert Ecker

WIEN. Ein Airbus A380 ist eine hochkomplexe und sehr wertvolle Maschine. Damit sie fliegen kann, müssen nicht nur vier Millionen Einzelteile zusammengebaut werden, es müssen auch Dutzende mechanische, hydraulische, elektrische und elektronische Untersysteme miteinander kommunizieren und aufeinander abgestimmt arbeiten.

Kommt es in einem der Systeme zu einem Defekt, beginnen die Flugzeugingenieure nicht einfach wahllos Komponenten auszutauschen, in der Hoffnung, den Fehler zu beheben, sondern auf die Störungsmeldung folgt erst eine detaillierte Fehleranalyse. Ziel ist es, die genaue Ursache eines Fehlers sowie den Mechanismus, der zur Störung geführt hat, zu erkennen und zu verstehen – um darauf gezielt reagieren zu können und die Ursache des Problems zu beseitigen. Wenn etwa ein Haltebolzen bricht, wird er nicht nur ausgetauscht, sondern die Ingenieure versuchen zu verstehen, warum der Bolzen überhaupt gebrochen ist. Übertragen auf biologische Systeme – Zellen, Gewebe, Organe und Organismen –, ist das die Kernidee der personalisierten Medizin.

Paradigmenwechsel

Dieses Schlagwort geistert derzeit durch viele Fach- und Publikumsmedien. Man spricht sogar von einer Revolution oder einem Paradigmenwechsel im Gesundheitssystem, der das Potenzial hat, die bestehende Versorgung komplett auf den Kopf zu stellen. Dabei ist der Begriff an sich irreführend, weil er vermittelt, dass sich ein Arzt um eine bestimmte Person kümmert. Eigentlich geht es mehr um eine „individualisierte Medizin” oder besser gesagt Präzisionsmedizin.

Die Idee dahinter: Menschen sind unterschiedlich und können ganz unterschiedlich auf verschiedene Medikamente reagieren. Oft entscheiden kleine Unterschiede darüber, ob eine Therapie wirkt oder nicht. Doch was tun? Es macht nicht nur wenig Sinn, sondern ist auch unethisch und teuer, wenn ein Arzt versucht, mittels systematischen Ausprobierens herauszufinden, auf welche Medikamente jemand anspricht. Genanalysen und die Untersuchung molekularer Biomarker können hier helfen und herausfiltern, welcher Typ Patient jemand ist.
Biomarker sind definierte, messbare, biologische Merkmale, die Hinweise auf bestimmte körperliche Vorgänge geben. Werte wie Körpertemperatur oder Blutdruck, aber auch Eigenschaften auf molekularbiologischer Ebene wie Gensequenzen, Proteine und Enzyme. Einige davon kennen wir schon länger, andere werden gerade erst eruiert. Erforscht werden vor allem die Auswirkungen der unterschiedlichen Marker. Sie sind wiederum die Basis für die Entwicklung neuer Medikamente. Wenn später dann entsprechende Medikamente vorliegen, kann man maßgeschneidert therapieren. Man kann unerwünschte Wirkungen und Nebenwirkungen reduzieren und möglicherweise Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten ausschließen. Das spart Geld und vor allem individuelles Leid.

Debatte über Kosten

In Zeiten von immer knapper werdenden öffentlichen Budgets im Gesundheitsbereich könnte das eine Revolution bedeuten. Mit solch einer zielgerichteten, individualisierten Therapie können möglicherweise selbst chronische Krankheiten geheilt werden. Damit das möglich ist, braucht es allerdings Kostenwahrheit im Gesundheitswesen, die derzeit vielfach fehlt. Werden irgendwo Kosten sinnvoll gesenkt, bedeutet das noch nicht, dass das Geld auch wieder für die Therapie zur Verfügung steht und andere Therapiebereiche deshalb reduziert werden.

Wird Science-Fiction real?

Wie sich das in Zukunft entwickelt, ist offen. Freunde der Science-Fiction-Serie „Star Trek” – im deutschsprachigen Raum besser bekannt unter dem Titel „Raumschiff Enterprise” – kennen ein mögliches Bild: Der Serienarzt hat einen „Tricorder” und scannt einen Patienten, misst alle Gesundheitsparameter, diagnostiziert die Erkrankung dann in Sekundenschnelle. Vor einigen Jahren hat die US-IT-Firma Qualcomm einen Wettbewerb ausgerufen und ein Preisgeld in der Höhe von zehn Millionen Dollar für jenen Techniker in Aussicht gestellt, der als erster einen funktionierenden Tricorder entwickelt. Anders formuliert: die Zukunft hat gerade erst begonnen.

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