An den Frauen-Start-ups fließt das Geld vorbei
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FINANCENET Redaktion 08.09.2023

An den Frauen-Start-ups fließt das Geld vorbei

Knapp 90 Prozent der investierten Euros in Österreich gehen in rein von Männern geführte Gründerteams.

••• Von Reinhard Krémer

Nachdem 2021 und im ersten Halbjahr 2022 weltweit alle Rekorde im Hinblick auf Start-up-Finanzierungen geknackt wurden, haben steigende Zinsen, wirtschaftliche Unsicherheiten und hohe Inflation das Marktumfeld stark eingetrübt.

In Österreich gab es – wie schon im zweiten Halbjahr 2022 – auch in den ersten sechs Monaten des Jahres 2023 einen deutlichen Rückgang: Heimische Start-ups lukrierten in diesem Zeitraum 356 Mio. € und damit um rund 60% weniger als im ersten Halbjahr 2022 bzw. rund 33% weniger im Vergleich zu 2021.
Verglichen mit dem Vor-Boom-Niveau der letzten beiden Jahre, bedeutet das Finanzierungsvolumen im ersten Halbjahr 2023 aber immer noch die größte lukrierte Summe und liegt um 140% über dem bis dahin stärksten ersten Halbjahr 2020 mit 148 Mio. €. Die Anzahl der Finan­zierungsrunden stieg hingegen um 15% auf 91 – und damit auf eine neue Bestmarke für einen Halbjahreszeitraum in Österreich.

Männer klar bevorzugt

Die Investments in heimische Start-ups kommen aber nach wie vor fast ausschließlich rein männlich zusammengesetzten Gründungsteams zugute: Bei 82% der Finanzierungsrunden im ersten Halbjahr 2023 bestanden die Gründungsteams nur aus Männern; bei 15% bestanden die Founding Teams aus männlichen und weiblichen Gründern.

Für rein weiblich besetzte Führungsteams gab es im ersten Halbjahr 2023 nur zwei Finanzierungsrunden – das entspricht rund drei Prozent.
Das sind Ergebnisse des Female Funding Index H1/2023 von Female Founders, Fund F und der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY. Berücksichtigt wurden dabei Unternehmen mit Hauptsitz in Österreich, deren Gründung höchstens zehn Jahre zurückliegt.

Österreich liegt vorne – aber …

Laut einer im vergangenen Jahr veröffentlichten Studie des WU Gründungszentrums im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Wirtschaft sind in Österreich 36% aller Start-ups von Frauen oder mit Co-Founderinnen gegründet worden, was den höchsten Wert in der EU darstellt.

Der Austrian Startup Monitor verzeichnet für das Jahr 2022 einen Anteil von knapp 39% an Female Start-ups – und damit knapp mehr als im Vorjahr mit 36%. Allerdings erhielten Female Start-ups, also Jungunternehmen mit mindestens einer Frau im Gründungsteam, wie schon 2022 nur 18% der Investments in den ersten sechs Monaten des Jahres 2023.

… Ungleichgewicht gewachsen

Noch größer ist das Ungleichgewicht beim Finanzierungsvolumen: 89% des investierten Kapitals – und damit noch einmal mehr als 2022 mit 87% – flossen in Start-ups und Scale-ups, bei denen das Founding Team nur aus Männern besteht. Das liegt im langfristigen Durchschnitt von 88% zwischen 2010 und 2021.

„Investments in Female Start-ups mit zumindest einer Frau im Founding Team bleiben die Ausnahme in Österreich. Wie schon 2022 gehen rund neun von zehn investierte Euros an rein männlich besetzte Gründungsteams. Insgesamt waren bei weniger als einem Fünftel der Finanzierungsrunden Gründerinnen im Team. Es wird noch Jahre dauern, bis sich dieses Ungleichgewicht verringert und sich die Entwicklungen bei den Gründungen mit einem steigenden Anteil von Start-ups mit gemischten Gründungsteams auch bei Finanzierungsrunden niederschlagen”, sagt Florian Haas, Head of Start-up bei EY Österreich.

Initiativen dringend nötig

„Um diese Entwicklung zu beschleunigen, braucht es gemeinsame Initiativen für Female Entrepreneurship und Female Investors, denn wie viele Studien unterstreichen, sind gemischte Teams wirtschaftlich erfolgreicher, erwirtschaften höhere Umsätze und haben die zufriedeneren Mitarbeiter”, so Haas.

„Die Good News: Wenn wir die Rekordjahre 2021 und 2022 ausblenden, gibt es in Österreich einen sehr positiven Trend hinsichtlich der Finanzierungsvolumina. Das ist ein wichtiges Signal für unser Ökosystem. Die Bad News: Female (co-) founded Unternehmen können offensichtlich nicht von diesem Trend profitieren”, sagt Lisa-Marie Fassl, Managing Partner bei Fund F und Co-Gründerin von Female Founders.
„Sogar ganz im Gegenteil: Im ersten Halbjahr 2023 ist weniger Kapital an Unternehmen mit mindestens einer Gründerin geflossen als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Die Gründe dafür sind vielfältig, aber nicht nachvollziehbar, da die Performance von gemischten Teams nachweislich besser ist. Das zeigt uns auch eindeutig die Auswertung des Gründerinnenanteils nach Höhe der Finanzierungsrunden: Den höchsten Anteil an Gründerinnen sehen wir bei den wenigen Unternehmen, die es geschafft haben, zwischen zehn und 50 Millionen Euro einzusammeln und die entsprechend fortgeschritten in ihrer Unternehmensentwicklung sind. Wirtschaftlicher Erfolg und Diversität gehen also nachweislich Hand in Hand ”, so Fassl.

Die nackten Zahlen

Insgesamt waren 153 Gründer im ersten Halbjahr 2023 an zumindest einer Finanzierungsrunde beteiligt. Nur 15 dieser 153 Gründer und damit rd. jeder zehnte Gründer war weiblich.

Damit liegt der Anteil an Gründerinnen mit einer Investitionsrunde deutlich unter dem jährlichen Durchschnitt (17%). Am höchsten ist der Frauenanteil mit 50% im Bereich Professional Services, in dem es allerdings auch nur eine Finanzierungsrunde gab. In den Sektoren Health (25%; sieben Start-ups mit Finanzierungsrunden), ClimateTech (25%, vier Start-ups) und Education (20 %; drei Start-ups) liegt der Anteil an Gründerinnen ebenfalls überdurchschnittlich hoch. In neun der 14 untersuchten Sektoren bestanden die Gründungsteams der Start-ups mit Finanzierungsrunden im ersten Halbjahr 2023 ausschließlich aus männlichen Gründern, darunter FinTech, Energy oder Mobility.

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