Europas Banken haben die Nase vorn – vorerst
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FINANCENET Redaktion 17.03.2023

Europas Banken haben die Nase vorn – vorerst

Gewinnrückgänge bei den US-Top-Ten-Großbanken. Ein Plus hingegen verzeichneten Europas „Große Zehn”.

••• Von Reinhard Krémer

Die US-Großbanken mussten im vergangenen Jahr aufgrund eines schwächelnden Investmentbankings einen Gewinnrückgang hinnehmen: Der Nettogewinn der nach Bilanzsumme zehn größten US-Kreditinstitute sank im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 24% auf 140 Mrd. €. Europas zehn Top-Banken verzeichneten hingegen ein Gewinnplus von knapp vier Prozent auf 72 Mrd. € und erreichten damit ein Zehn-Jahres-Hoch. Aber: Trotz des Gewinnanstiegs in Europa und dem Gewinn­einbruch in den USA verdienten die US-Top-Banken mit 140 Mrd. € fast doppelt so viel wie ihre europäischen Wettbewerber.

Auch bei der Profitabilität liegen die US-Banken weiterhin vor den europäischen Großbanken – wenngleich der Abstand im vergangenen Jahr schrumpfte: Die Eigenkapitalrentabilität, also die Rendite des eingesetzten Eigenkapitals, lag 2022 bei den US-Banken bei exakt elf Prozent – nach 15,3% im Vorjahreszeitraum. Der Kollaps der Silicon Valley Bank (SVB) dürfte die Situation heuer noch verschärfen.

Aufwärts in Europa

Die europäischen Banken verzeichneten hingegen einen Anstieg von 7,9 auf 8,3%. Während in den USA sieben der zehn untersuchten Geldinstitute ein Konzernergebnis € vorweisen konnten, gelang dies in Europa nur zwei Banken: der britischen HSBC und der französischen BNP Paribas. Das bestverdienende Institut unter den 20 analysierten Banken war die US-Großbank JPMorgan Chase, deren Konzern-ergebnis bei umgerechnet 35,3 Mrd. € lag.

Das sind Ergebnisse einer EY-Analyse der Bilanzen der jeweils zehn größten Banken in den Vereinigten Staaten und Europa nach Bilanzsumme. „Das letzte Jahr hat erfreuliche Entwicklungen am europäischen Bankenmarkt gebracht”, schätzt Gunther Reimoser, Leiter Financial Services bei EY Österreich, die Lage ein. „Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen, bedingt durch den Ukrainekrieg, die Energiekrise und die hohe Inflation, haben die Institute von der Zinswende profitiert und ihren Gewinn teils deutlich erhöht.”

Börsengeschäfte drücken

Auch die US-Banken haben steigende Zinseinnahmen gemeldet – bei ihnen spielt aber das Geschäft mit Börsengängen, Übernahmen und Fusionen eine deutlich größere Rolle als bei ihren europäischen Wettbewerbern.

Deswegen wirkte sich bei ihnen der Einbruch bei Börsengängen und am M&A-Markt stärker aus als bei ihren europäischen Mitbewerbern, so Reimoser.
Trotzdem meint er: „Was Gewinn und Profitabilität betrifft, ziehen die großen US-Banken noch deutlich an den europäischen Instituten vorbei, der Abstand ist im Vergleich zum Vorjahr aber deutlich kleiner geworden.”

Die Risikovorsorge dämpft

Banken auf beiden Seiten des Atlantiks bereiteten sich auf eine Verschlechterung des konjunkturellen Umfelds vor, die zunehmend Zahlungsausfälle nach sich ziehen dürfte.

Dementsprechend stieg bei den untersuchten Banken auch die Risikovorsorge deutlich, was das Gewinnwachstum bei den europäischen Banken begrenzte bzw. zur negativen Gewinnentwicklung bei den US-Banken beitrug.
„Aufgrund der drohenden Rezession haben die Großbanken Milliardensummen als Risikovorsorge auf die hohe Kante gelegt”, so Reimoser. „Nun gibt es zwar eine Eintrübung, aber eine wirkliche Wirtschaftskrise ist aus heutiger Sicht nicht absehbar. Mit einem Anstieg notleidender Kredite ist deshalb zwar zu rechnen, er dürfte sich aber im Rahmen halten.”

Ausblick: Druck bleibt groß

„Bei den europäischen Banken zeigt der Trend derzeit insgesamt nach oben”, sagt Reimoser. „Sowohl die Gewinnsituation als auch die Widerstandsfähigkeit haben sich in den letzten Jahren deutlich verbessert, Letzteres auch dank anspruchsvoller regulatorischer Vorgaben.”

Auch im laufenden Jahr dürften die Zinseinnahmen steigen, erwartet der Experte: „Im aktuellen Umfeld wird das Kreditgeschäft profitabler. Die Kreditvergabe verläuft deutlich zurückhaltender, aber die Gewinne aus dem Kreditgeschäft steigen.”

Noch Aufgaben zu lösen

Dennoch bleibe viel zu tun, so Reimoser: „Zwar arbeiten Banken aktuell intensiv an ihrer Kostenstruktur und suchen neue Erlösquellen. Bei Digitalisierung, speziell bei Customer Analytics, und auch bei Technologien besteht aber noch Handlungsbedarf. Auch im Bereich Compliance gibt es aufgrund der stetig hinzukommenden neuen Regelungen immer etwas zu tun.”

Wo die Alte Welt schwächelt

Zudem betont Reimoser, dass die Tatsache, dass derzeit die europäischen Banken in puncto Profitabilität aufholen können, nicht überbewertet werden sollte: „Die schwache Gewinnentwicklung der US-Banken ist nur eine Momentaufnahme. Sobald die Börse und der M&A-Markt wieder in Schwung kommen, wird sich die Situation wieder ändern. Dann könnte sich auch der Abstand zu den europäischen Instituten wieder vergrößern.”

Börsenwerte in Europa stärker

Auch der Börsenwert der Top Banken dies- und jenseits des Atlantiks spiegelt die relativ gute Entwicklung der europäischen Banken wider: Seit Jahresbeginn bis Anfang März verzeichneten die europäischen Institute insgesamt einen Anstieg ihres Börsenwerts um 19 Prozent auf knapp 540 Mrd. €.

Der Börsenwert der US-Banken stieg im gleichen Zeitraum hingegen nur um sieben Prozent auf 1,3 Billionen Euro. Die größten US-Banken sind damit an der Börse derzeit mehr als doppelt so viel wert wie die größten europäischen Geldinstitute.

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