••• Von Reinhard Krémer
WIEN. Das Ergebnis der britischen EU-Abstimmung hat den Kontinent in Geiselhaft genommen. Die Insulaner sind möglicherweise einem gigantischen Lügenkonstrukt aufgesessen und Rattenfängern wie dem „froschmäuligen Rechtspopulisten Nigel Farage” (Copyright: Der Standard/Rauscher) und seinem wirrhaarigen Counterpart Boris Johnson auf den Leim gegangen. Nach der Abstimmung zeigt sich: Es fehlt den Briten der Plan – auch den Gewinnern der Abstimmung. Ein offizielles Austrittsgesuch wurde noch immer nicht abgegeben; weil das Referendum für das Parlament nicht bindend ist, meint der führende Wirtschaftsexperte Bernhard Felderer, dass der Austritt still und heimlich im englischen Nebel verschwinden könnte. medianet sprach mit ihm über die Auswirkungen.
medianet: Wie schlimm ist der Brexit für Österreich?
Bernhard Felderer: Also bei den Handelsbeziehungen hält sich das in Grenzen. Ich glaube, Großbritannien als Exportmarkt spielt keine so große Rolle. Das ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass sich etliche gefährliche Tendenzen aufzeigen – eine ist, dass Schottland und andere Teile jetzt anfangen, auch zu sagen ‚Wir wollen weg vom UK', und dass da so eine Abbruchtendenz entsteht.
Wir glauben, dass das derweil nicht zu Ende ist. Wir glauben, dass es ohne eine umfassende Reform, die wachstumsfördernd ist und die Angela Merkel jetzt angeblich vorbereitet hat – aber ich kenne diesen Vorschlag immer noch nicht –, nicht gehen wird.
Also Europa wächst zu langsam, die Staaten wie England, die höhere Wachstumsraten haben, die ihren Nationalstolz beflügeln wollen, denen geht das zu langsam. Ich glaube, dass man durch interne Reformen eine höhere Akzeptanz schaffen muss und dass man vorläufig nicht ständig die politische Union beschwört, sondern dass man die Vorteile der wirtschaftlichen Union herausstreicht.
medianet: Die Brexit-Proponenten bestreiten, dass es diese Vorteile gibt ...
Felderer: Das kann kein Land bestreiten, dass es große Vorteile aus dieser Union gegeben hat – das könnten auch die Briten nicht. Im Gegenteil, wenn die Briten ihre Handelsbeziehungen zu Europa abbrechen und sie würden einen 15%-Zoll für alle Waren einführen, die von Großbritannien nach Europa gehen – umgekehrt würde die EU das dann natürlich auch machen –, dann würde das den Handel in Großbritannien sehr schwächen. Es würde viele Standorte, viele Industrieunternehmen in Großbritannien sehr stark treffen. Die würden Aufträge ohne Weiteres zu 20 bis 40% verlieren. Das heißt, es würde in Großbritannien zu einer erheblichen Krise führen, deren Anpassung Jahre in Anspruch nehmen würde.
medianet: Was halten Sie für das wahrscheinlichste Szenario?
Felderer: Ich glaube, dass die Briten alles versuchen werden, das zu verhindern und möglichst nah an der EU zu bleiben – ohne allerdings den Mitgliedsbeitrag zahlen zu müssen und ohne den Regeln unterworfen zu sein.
Das aber wird Grenzen haben für die Europäische Union, das hat man auch bei den Verhandlungen mit der Schweiz gesehen, eine reine Freihandelszone wird sehr ungern gesehen, weil dahinter nämlich Wettbewerbsprobleme vermutet werden.
Daher müssen sie die Mobilität der Produktionsfaktoren und alle Grundfreiheiten akzeptieren; dahinter liegen wieder etliche Regulierungen, wie z.B. der Arbeitsmärkte – da wird ein großes Bündel von Regeln und Vorschriften übernommen werden müssen. Aber die Briten sind dann nicht mehr Mitglied und können diese Vorschriften gar nicht mitgestalten ...
medianet: Wie lange kann es dauern, bis sich die Nebel lichten?
Felderer: Das alles wird sich in den nächsten Wochen herausstellen, wenn sie Folgendes machen: Sie kündigen ihre Mitgliedschaft nicht und warten ein, zwei Jahre – es könnt ja durchaus sein, dass bis dahin die Meinung in Großbritannien so stark umgeschlagen hat, dass sie mit der bisherigen Lösung sehr zufrieden sein werden.
Ob die Europäische Union dann allerdings noch mit den alten Regeln einverstanden sein wird, ist ebenfalls noch unklar. Sicher ist, es ist sehr viel Unruhe jetzt über uns zusammengebrochen.
Aber wirtschaftlich glaub ich, müssen wir uns nicht so fürchten, hier wird mehr Hysterie produziert, als wir letzten Endes an Schaden haben werden. Wenn es so weit kommt, dass es Handelsschranken geben würde, also Exporte und Importe behindert werden durch Zölle oder sonstige Vorschriften, dann würde natürlich der Schaden auf beiden Seiten groß sein.
Größer noch auf der Seite Großbritanniens, weil die einen viel größeren Anteil nach Europa exportiert haben als Europa nach Großbritannien. Aber insgesamt, glaube ich, ist halt jetzt ein Problem entstanden, das sich erst langsam abwickeln wird.
medianet: Könnte die Sache vielleicht noch glimpflich ausgehen?.
Felderer: Wir müssen warten, bis wir mehr wissen. Es kommt zum ungünstigen Zeitpunkt, denn wir haben, wie Sie wissen, ein geringes Wachstum, geringer als große Teile der Welt, wie die USA oder Asien.
Wir haben das Problem, dass sich dieses Wachstum auf geringem Niveau zu verstetigen scheint, also wir brauchen eigentlich bald große, zusätzliche Impulse, und es ist klar, dass der Weggang eines doch grundsätzlich liberalen, unternehmensnahen Landes – mehr oder weniger unternehmensnah, solang die Sozialdemokraten regiert haben –, dass dieser Weggang für die Wirtschaftspolitik für die Europäische Union natürlich nicht als positiv angesehen wird. Umso wichtiger wird es werden, was Merkel und ihre Partner als Reformschritte zur wirtschaftlichen Reform jetzt vorschlagen werden.