Pharmabranche in Aufruhr: Kassen wollen mehr Rabatt
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HEALTH ECONOMY 28.08.2015

Pharmabranche in Aufruhr: Kassen wollen mehr Rabatt

Die Krankenkassen fürchten aufgrund teurer, innovativer Medika­mente steigende Kosten und machen Druck auf die Industrie.

••• Von Martin Rümmele

ALPBACH/WIEN. Bis Ende 2015 soll es einen neuen Vertrag zwischen dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger und der pharmazeutischen Industrie in Sachen Rabatte für von den Kassen bezahlte Medikamente geben. Derzeit sind die Gespräche allerdings unterbrochen, warum ist unklar. Die Industrie spricht von einem Moratorium, weil die Kassen zu hohe Forderungen stellen. Aus den Kassen hört man, dass sich manche Unternehmen in der Branche quer legen. Dort denkt man nun darüber nach, wie in anderen Ländern Rabatte gesetzlich einzuführen.

Kassen überrascht

Bei den Kassen sitzt der Schock tief nach der im Vorjahr unerwartet aufgetauchten Kostenexplosion durch das innovative Hepatitis C-Medikament „Solvaldi”. Wir berichtet kostete eine komplette Therapie - die allerdings auch Heilung verspricht - bis zu 160.000 €. Zwar sind die Preise rasch wieder gesunken, die Kassen mussten aber Millionen aufwenden und rutschten ins Minus. Nun fürchtet man weitere Preisschübe - vor allem durch neuartige Krebsmedikamente. Man habe gesehen, wie rasch man durch ein einzelnes Mittel in Schieflage kommen kann, sagt ein Insider.

„Wir wollen auch in Zukunft den Zugang zu innovativen Arzneimittel sicherstellen, haben bei erwarteten Steigerungen von zwischen sieben und acht Prozent aber eine prognostizierte ‚Pharma-Lücke' zwischen 120 und 150 Millionen Euro allein für das Jahr 2016”, rechnet Hauptverbandspräsident Peter McDonald vor. Der Hauptverband registrierte laut McDonald im ersten Quartal 2015 eine Steigerung bei den Arzneimittelausgaben von zehn Prozent, im ersten Halbjahr eine von 8,5 Prozent.
Beim Verband der pharmazeutischen Industrie (Pharmig) sieht man das anders und fordert Transparenz über die tatsächlichen Kosten. Generalsekretär Jan Oliver Huber: „Es dürften im ersten Halbjahr eher plus 7,5 Prozent sein. Ich glaube, dass wir Ende des Jahres zwischen sechs und sieben Prozent haben werden. Ich teile nicht die Meinung, dass es kommendes Jahr bei den Krankenkassen einen Fehlbetrag durch die Medikamente von 120 bis 150 Millionen Euro geben wird. Es gibt keine Pharmalücke.” Das Marktforschungsinstitut IMS Health erwarte zudem für das kommende Jahr nur ein Plus von zwei bis fünf Prozent.

Industrie bietet mehr

Die Industrie hat nach eigenen Angaben jedenfalls angeboten, den Rabatt von zuletzt 18 Mio. € pro Jahr auf 65 Mio. € – zumindest im kommenden Jahr – zu erhöhen. „Die Frage, die sich alle stellen, ist, was die Branche künftig umsetzen wird und wie sich das entwickelt. Wir haben in der Vergangenheit gezeigt, dass wir den alten Vertrag zu 100 Prozent erfüllt haben. Wir sind mit den Umsatzsteigerungen im vereinbarten Korridor geblieben”, sagt Pharmig-Präsident Robin Rumler. Natürlich wolle man die Kassen unterstützen, leistungsfähig zu bleiben, umgekehrt brauche es aber auch planbare Rahmenbedingungen für beide Seiten, ergänzt Huber.

Die Industrievertreter wünschen sich nicht nur eine Kostendebatte, sondern Veränderungen des Systems. Derzeit würden die Kassen nicht davon profitieren, wenn Medikamente teure Operationen und Spitalsaufenthalte verhindern. Denn dieser Bereich werde vorwiegend von den Ländern finanziert. Huber: „Wenn etwa Sovaldi teure Lebertransplantationen verhindert, nehmen die Spitäler weniger ein. Sie sind also kaum zu bewegen, den Kassen zusätzlich noch die Einsparungen weiterzugeben.” Hier brauche es eine gesamthafte Betrachtung. „Es liegen dafür alle Lösungen im Rahmen der Gesundheitsreform am Tisch. Wir erhalten aber krampfhaft alte und teure Strukturen”, kritisiert Rumler und fordert Reformwillen der Politik.

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