Kommt Nachhaltigkeit jetzt verstärkt in Mode?
© Stefan Knauer/Getty Images for Neonyt
Grüner Catwalk: Auf der Neonyt Fashion Show bei der Mercedes-Benz Fashion Week Berlin stand nachhaltige Denim-Mode im Fokus.
LUXURY BRANDS&RETAIL britta biron 27.09.2019

Kommt Nachhaltigkeit jetzt verstärkt in Mode?

Die Fashionindustrie verstärkt ihre Maßnahmen, um das Image als einer der größten Umweltsünder abzulegen.

Wien/München. Abgesehen davon, dass die Kleidung von Politikerinnen immer mal wieder medial zum Thema hochstilisiert wird und Politiker beiderlei Geschlechts gelegentlich – allerdings nur im übertragenen Sinn – die Hosen herunterlassen müssen, bestehen zwischen der Politik und der Mode praktisch keine Berührungspunkte. Allerdings gehört das Fashionbusiness neben der Erdölbranche und dem Verkehrssektor zu den größten Umweltsündern und das, was wir tragen, ist nicht nur eine Frage des persönlichen Geschmacks und der Kapazität des Geldbeutels, sondern hat einen direkten Einfluss darauf, ob die Welt weiter auf den ökologischen Kollaps zusteuert oder nicht.

Insofern ist Mode heute auch ein Politikum. Und es wundert nicht, dass dieses gerade vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron aufgegriffen wurde. Im April hatte er Francois-Henri Pinault, den Chef des Luxuskonzerns Kering, beauftragt, gemeinsam mit anderen Big Playern einen Maßnahmenplan zur Verbesserung des Umwelt- und Klimaschutzes in der Modebranche zu erarbeiten.

Globaler Fashion Pact

Den Fashion Pact, der kurz vor dem Beginn des G7-Gipfels in Biarritz vorgestellt wurde, haben 32 Unternehmen – Textilproduzenten, Modelabels und Handelsunternehmen – unterzeichnet, darunter Chanel, Burberry, Hermès, Ralph Lauren, Salvatore Ferragamo, Moncler, Giorgio Armani, die Prada Group, Capri Holdings Limited, PVH, die H&M Group, Ermenegildo Zegna, Galeries Lafayette, Gap Inc. und Stella McCartney.
Interessant dabei ist weniger der Inhalt des Fashion Pacts – es sind im Wesentlichen recht allgemein formulierte Absichtserklärungen, die sich auf Richtlinien von Organisationen wie der Ellen MacArthur Foundation und der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen beziehen –, sondern vielmehr der Umstand, dass Konkurrenten in einer wichtigen Sache an einem Strang ziehen.
Zwar ist klar, dass allein wegen der schieren Menge an Kleidungsstücken der ökologische Fußabdruck des Fast Fashion-Segments deutlich größer ist als jener der Luxusliga, aber in Sachen Umweltschutz und soziale Fairness haben auch die Nobelmarken massiven Nachholbedarf und stehen ebenso in der Kritik wie die Billiganbieter. Denn die Macht der Verbraucher ist durch die Sozialen Netzwerke deutlich gewachsen. Die Vernichtung von überschüssiger Ware mag aus wirtschaftlicher Sicht für viele Marken sinnvoller sein, als sie im Sale billiger zu verkaufen, hinsichtlich Umwelt und Nachhaltigkeit ist diese gängige Praxis allerdings ein absolutes No-Go und schlecht fürs Image. Denn die Kunden – egal ob jene der Billigmarken oder der Luxuslabels – geben sich allein mit modischem Chic nicht mehr zufrieden, sondern wollen Kleidung, die auch hinsichtlich Ethik und Umweltschutz überzeugt.

Messen setzen immer …

Laut einer Analyse des Fashion-Portals Lyst wird heuer um mehr als 80% häufiger nach dem Stichwort Nachhaltigkeit gesucht als noch im Vorjahr. Trendsetter sind vor allem die 18- bis 34-Jährigen. „Millennials hinterfragen ganz genau, wo und wie ihre Kleidung produziert wird, und legen mehr Wert auf faire Produktionsbedingungen als auf die neuesten Trends”, sagt Katy Lubin, Kommunikationsdirektorin von Lyst. Allerdings ist das grüne Gewissen in den 30 untersuchten Märkten sehr unterschiedlich ausgeprägt – am niedrigsten ist es in Russland, Indien und Bulgarien, am höchsten in Finnland, Dänemark und Deutschland.

… mehr auf Eco-Fashion

Allerdings schlägt sich das steigende Interesse noch nicht in den Verkaufszahlen nieder. Schätzungen zufolge liegt der Marktanteil von fairer bzw. grüner Mode in Deutschland derzeit erst bei rund 5%.
Am mangelnden Angebot kann’s wohl nicht liegen. „Stores, die nachhaltige Mode führen, gibt es mittlerweile in fast jeder Stadt, und tolle Onlineshops wie The Wearness und Avantgardess machen die Kollektionen für jeden verfügbar”, sagt Mirjam Smend, Organisatorin der Green Style Munich, die vor einem Jahr ihre erfolgreiche Premiere gefeiert hat und vom 11. bis 13. Oktober zum dritten Mal stattfinden wird.
Das Argument, dass faire Fashion zu teuer ist, liege an einer falschen Sichtweise: „Konventionelle Mode ist einfach zu billig. Zehn Euro für ein T-Shirt? Dass dabei jemand draufzahlt, liegt auf der Hand”, sagt die Eco Fashion-Expertin.
Und die Zeiten, zu denen Mode entweder öko oder chic war, sind ebenfalls längst passe. Das zeigt ein Blick auf die Kollektionen der 40 Marken, die sich auf der Green Style Munich präsentieren werden. Und bei der begleitenden Konferenz stehen diesmal die Themen Wolle, Denim, Greenwashing, smarte Alternativen zu Bio-Baumwolle sowie Re- und Upcycling am Programm.
Dass Nachhaltigkeit in der Mode einen immer größeren Stellenwert gewinnt, lasse sich, so Smend, nicht nur am Erfolg der eigenen Messe erkennen. „Auch die Berlin Fashion Week im Juli hat gezeigt, dass Eco das neue Cool ist.”
170 Labels aus 20 Ländern hatten ausgestellt, der große Schwerpunkt lag diesmal bei Denim.
„Über die Jahre haben wir Sus­tainable Fashion in Berlin salonfähig gemacht und mit der Neonyt zu einem Thema geformt, das die Berlin Fashion Week weltweit als Vorreiterplattform in puncto Nachhaltigkeit glänzen lässt”, sagte Olaf Schmidt, Vice President Textiles & Textile Technologies der Messe Frankfurt. Darüber hinaus wird mit der Internationalisierung der Fashionsustain, dem Konferenzformat der Neonyt, dafür gesorgt, dass sich die grünen Ideen bzw. die Stoffe, aus denen die ressourcen- und umweltschonende Modezukunft geschneidert wird, weltweit verbreiten.
Im Juli machte der vom österreichischen Faserhersteller Lenzing unterstützte Event in New York City Station, am 20. September fand er bei der LA Fashion Festivals in Los Angeles und am 26. September im Rahmen der Intertextile Shanghai Apparel Fabrics in Shanghai, einer der weltweit größten Fachmessen für Bekleidungsstoffe und Accessoires, statt.
Ein „grünes” Trendmaterial ist derzeit recycelter Kunststoff. Darauf setzt jetzt auch Prada mit einer ersten Taschenkollektion aus Re-Nylon, das gemeinsam mit dem Textilgarnhersteller Aquafil entwickelt wurde. Als begleitende Maßnahme wurde mit National Geographic die Kurzfilmreihe „What we carry” produziert. Bis Ende 2021 sollen, so Lorenzo Bertelli, Marketing- und Kommunkationschef der Prada Group, dann alle Nylon-Taschen aus dem ressourcenschonenden Gewebe hergestellt werden.
In Sachen Müllvermeidung ist das Projekt auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung – abgesehen davon, dass recycelter Kunststoff natürlich genauso wie jeder andere ebenfalls Mikropartikel abgibt –, doch sicher (noch) nicht der große Wurf.

Luxus wird grüner

Für Smend gibt es trotzdem Grund für Optimismus: „Der Luxussektor hat die Nachhaltigkeit gerade erst für sich entdeckt. Ich denke, dass viele Designerlabels die Bewegung nicht ernst genommen haben. Inzwischen zeigt sich, dass Nachhaltigkeit kein Trend, sondern ein notwendiger Lifestyle ist. Ein bisschen Econyl hier, ein wenig Orange Fibre da – hier ist noch mächtig viel Luft nach oben. Aktuell läuft das bei den meisten Brands eher unter dem olympischen Gedanken. Aber grundsätzlich muss man auch bedenken, dass eine nachhaltige Capsule Collection der Big Player eine enorme Wirkung erzielt und vollkommen neue Konsumenten für das Thema Nachhaltigkeit erreicht.”
Aber auch im Luxussegment gibt es Musterschüler – allen voran Stella McCartney, die nach der Beendigung des Joint Ventures mit Kering im Frühling 2018 jetzt eine Partnerschaft mit dem LVMH-Konzern eingegangen ist. Die Designerin wird Sonderberaterin von Bernard Arnault und den Mitgliedern der Geschäftsleitung für die Themen Nachhaltigkeit, Umwelt und Ethik.
Obwohl der Luxus-Gigant bereits vor gut 25 Jahren als eines der ers­ten Unternehmen der Branche eine Umweltabteilung etabliert hatte und angesichts seiner Finanzkraft sind die Ergebnisse noch eher bescheiden. Die Top-Marke Louis Vuitton erreicht bei Rank a Brand, einem Portal, das Unternehmen nach der Transparenz rund um Nachhaltigkeitskriterien bewertet, nur die Note D, die zweitschlechteste Bewertung; Dior und Fendi schneiden sogar noch schlechter ab, und selbst Stella McCartney erreicht hier nur die Note C.
Allerdings darf man solche Rankings, die nur bestimmte Teil­aspekte beleuchten, auch nicht als Maß aller Dinge nehmen. Die Tatsache, dass nicht alles offen kommuniziert wird, heißt ja nicht, dass man sich um Umwelt- und Klimaschutz oder die Arbeitsbedingungen in Zulieferbetrieben nicht schert.
Das zeigt zum Beispiel das Detox-Programm von Greenpeace, dessen Ziel es ist, bis 2020 gefährliche Chemikalien aus der Bekleidungsindus­trie zu verbannen. Zu den 80 Unternehmen, die daran teilnehmen, gehören auch die Luxuslabel Valentino und Burberry. Der im Vorjahr veröffentlichte Zwischenbericht war generell positiv, und man darf gespannt sein, wie das Endergebnis im nächsten Jahr aussehen wird.

Weiteres Gütesiegel

Für den Verbraucher präsentiert sich das Thema nachhaltige Mode jedenfalls höchst komplex und oft ziemlich verwirrend. Dafür sorgt auch eine Fülle von Siegeln und Zertifikaten.
Jüngster Neuzugang ist der Grüne Knopf in Deutschland: 27 Unternehmen, darunter Hess Natur, Vaude, aber auch die Discounter Aldi und Lidl, haben es bereits, weitere 26, wie z.B. Hugo Boss, sind derzeit im Prüfprozess.
Aber das staatliche Gütezeichen mit TÜV-Prüfung ist auch nicht der Weisheit letzter Schluss. Zwar umfasst es neben einer Reihe ökologischer Kriterien, die im wesentlichen auf bereits etablierten Standards wie GOTS (Global Organic Textile Standard), Made in Green, oder Fairwear Foundation basieren, auch soziale und arbeitsrechtliche, allerdings noch nicht für den kompletten Produktionsprozess, sondern vorerst nur für die Bereiche Nähen und Färben.
Eine Erweiterung um zusätzliche Produktionsschritte, darunter den Baumwollanbau, sowie eine Verschärfung der sozialen Kriterien – existenzsichernde Löhne statt Mindestlöhne – ist aber laut Bundesentwicklungsminister Gerd Müller bereits vorgesehen.

Klein, fein & sauber

An den Kleiderbergen, deren Herstellung ebenso wie die Entsorgung die Umwelt belastet, trägt aber natürlich nicht nur die Modeindustrie Schuld, sondern auch die Konsumenten. Laut einer aktuellen Greenpeace-Umfrage besitzt jeder Österreicher im Durchschnitt 85 Kleidungsstücke. Sobald der Trend wechselt – bei Fast Fashion oft im Wochentakt – wird, um Platz für Neues zu schaffen, Altes aussortiert; der Großteil landet, obwohl noch in Ordnung, im Müll.
Alternativen zu diesem Ex-und- hopp-Konsum, wie Tauschen, Verleihen oder der Second Hand-Markt, werden hierzulande noch vernachlässigt, kommen aber vor allem bei der jungen Generation zunehmend in Mode.
„Das ist ein Trend, der auch der Umwelt guttut”, meint Nunu Kaller, Expertin für Konsumfragen bei Greenpeace Österreich. Überhaupt sei echter Luxus weniger eine Frage der klingenden Markennamen, sondern „in langlebige Stücke zu investieren, die nie aus der Mode kommen”.
Vergleichsweise wenig Sorgen um negative Auswirkungen der Textilproduktion auf die Umwelt muss man sich machen, wenn man zu kleinen Designer-Labels greift.
„Schon aufgrund der geringen Stückzahl sind wir praktisch gezwungen, nachhaltig zu arbeiten”, sagt die Wiener Designerin Michel Mayer. Ihre Kreationen werden zum Großteil direkt im Atelier gefertigt, das an den Laden angeschlossen ist. Wenn Arbeiten extern vergeben werden, dann an Unternehmen in der näheren Umgebung. Auch die feinen Materialien werden vorwiegend von kleinen, oft heimischen Herstellern bezogen. So stammen viele der edlen Spitzen, die typisch für die Abend- und Brautroben des Labels sind, aus Vorarlberg. „Im Unterschied zu meinem italienischen Lieferanten, bei dem ich zumindest auch Kleinmengen bekomme, kann ich bei der Vorarlberger Firma sogar beim Design mitreden und bekomme Spezialanfertigungen.”
Dass das Angebot an Öko-Stoffen, die auch den hohen Ansprüchen im Couture-Bereich genügen, in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat, sieht sie sehr positiv, würde sich aber noch deutlich mehr wünschen: „Die Nachfrage seitens der Kundinnen nach umweltfreundlichen Stoffen ist gestiegen.”

Bewusster Konsum

Auch das Kaufverhalten hat sich geändert. Die Fragen „Brauche ich das?”, „Werde ich dieses Teil oft tragen”, „Passt das Teil in meine vorhandene Garderobe?” werden immer häufiger gestellt. Zumindest ihre Kundinnen kaufen immer bewusster ein, und der typische Stil ihrer Marke – zeitlos im besten Sinne des Wortes – kommt diesem Trend auch sehr entgegen.
„Ich sehe oft, dass Kundinnen immer noch auch Teile tragen, die sie vor zehn oder 20 Jahren gekauft haben und die trotzdem noch nicht aus der Mode gekommen sind”, freut sie sich. Auch der Umgang mit Fehlkäufen habe sich verändert: „Die kommen bei uns zwar sicher deutlich seltener vor als zum Beispiel in der Fast Fashion, aber wenn doch, dann kommt die Kundin und tauscht das Stück um. Das hat es vor zehn Jahren noch gar nicht gegeben.”
Den Trend zum bewussteren, nachhaltigeren Konsum sehe man auch darin, dass Spontankäufe seltener geworden sind. „Dafür steigt die Zahl der Kundinnen, die Termine vereinbaren – nicht nur bei Abendroben und Brautkleidern.”

e-Boutique für Fair Fashion

Wie stark die Tendenzen zu fairer und grüner Mode im Luxussektor sind und dass das ein attraktives Geschäftsfeld ist, zeigt sich auch daran, dass kürzlich Net-a-Porter, die größte Shoppingplattform für teure Designermode, eine eigene Abteilung für nachhaltige Mode gelauncht hat. Unter Net Sustain findet die anspruchsvolle Kundin derzeit 26 Brands mit mehr als 500 Produkten, darunter Capsule Collections von Stella McCartney, Mother of Pearl x BBC Earth und Maggie Marilyn.
„Das ist ein wichtiger Meilenstein in unserer umfassenden Nachhaltigkeitsstrategie. Net Sus­tain stellt jene Marken heraus, die für den Wandel in der Mode stehen”, erklärt Elizabeth von der Goltz, Global Buying Director von Net-a-Porter.
Wie die einzelnen Marken Nachhaltigkeit definieren, ist recht unterschiedlich, aber es gibt konkrete Kriterien, die alle erfüllen müssen, wie zum Beispiel die Standards von Bluesign, Oekotex, Nordic Swan, EU Ecolabel oder der Leather Working Group, die Verwendung von nachhaltigen Materialien und Prozesse und saubere Lieferketten. Eine weitere Voraussetzungen für Net Sustain ist, dass mindestens die Hälfte der Produkte im Heimatland des Labels erzeugt werden muss.
Das Sortiment der feinen Eco-Fashion wird laufend erweitert, und im nächsten Jahr soll Net Sustain auch auf nachhaltige Beautyprodukte erweitert werden.

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