Quo vadis, Baselworld?
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LUXURY BRANDS&RETAIL britta biron 22.03.2019

Quo vadis, Baselworld?

Wien/Basel/Genf. Kontemplative Ruhe herrscht heute nur noch in einem Uhrmacheratelier, ansonsten dominiert auch in der Uhrenindus­trie geschäftige Betriebsamkeit. Die Zeiten, in denen sich teure Zeitmesser wie die sprichwörtlichen warmen Semmeln verkauft haben, sind vorbei, ebenso jene, in denen die traditionellen Geschäftsmodelle funktioniert haben. Es scheint schon fast skurril, dass gerade jene Branche, die den Takt der Zeit misst, in anderen Bereichen der Zeit hinterhergehinkt ist. Mittlerweile hat man aber seine Lektion gelernt und versucht, die Sortimente und Vertriebskonzepte besser an die neuen Gegebenheiten anzupassen.

Uhrenbranche im Plus …

2018 stiegen laut Verband der Schweizerischen Uhrenindustrie (FHS) die Exporte mechanischer Uhren um fast 286.000 Stück bzw. 4% auf über 7,5 Mio. Exemplare, die Umsätze sogar um 6,56% auf 16,34 Mrd. CHF. Allerdings hatte die Nachfrage gegen Jahresende wieder nachgelassen. Für heuer ist man daher vorsichtig optimistisch.
Der Luxusreport von Bain & Co weist für 2018 einen weltweiten Umsatz mit Uhren von 37 Mrd. Euro aus, was dem Wert von 2017 entspricht, Schmuck dagegen konnte um 7% auf insgesamt 18 Mrd. Euro zulegen.
Insgesamt ist die Entwicklung der Branche also derzeit nicht schlecht, Prognosen über die weitere Entwicklung sind allerdings schwierig und vor allem von der Kauflaune der chinesischen Konsumenten abhängig, der mit Abstand größten Kundengruppe.
Kräftig ins Trudeln ist dagegen jene Institution gekommen, die seit Jahrzehnten ein Fixpunkt für die internationale Uhren- und Schmuckbranche war: die Baselworld.

… aber Leitmesse weiter …

Seit etlichen Jahren laufen der hochkarätigen Fachmesse die Aussteller davon. Präsentierten 2008 noch knapp 2.100 Firmen ihre Neuheiten Händlern und Journalisten aus der ganzen Welt, waren es im Jahr 2016 nur noch 1.500; 2017 sank die Zahl auf 1.300 und im Vorjahr waren es dann überhaupt nur noch 650.
Die Maßnahmen, die seitens der MCH Group gegen die Abwanderung gesetzt wurden, waren angesichts der Brisanz der Lage – Imageverlust und ein Umsatzminus von rund 40 Mio. Franken – dürftig. Verkürzung des Events von acht auf sechs Tage, Reduzierung der Ausstellungsfläche um gut ein Drittel und eine leichte Korrektur der exorbitanten Standmieten nach unten ...

… unter Druck

Ansonsten hatte man an der Meinung festgehalten, dass ohne Baselworld in der Uhren- und Schmuckbranche nichts läuft, den Grund für das Ausstellerminus vor allem auf die Konjunktur geschoben und sich das Problem unter dem Motto „Qualität statt Quantität” schöngeredet.
Die Kritik sowie unterschiedliche Verbesserungsvorschläge der Aussteller nahm man zur Kenntnis, man änderte aber an der Marschrichtung nichts.
Im Vorjahr war dann plötzlich Schluss mit der Scheuklappenpolitik – wohl nicht ganz freiwillig, sondern vor allem eher dem Umstand geschuldet, dass mit der Swatch Group der bisher größte Aussteller und eines der wichtigen Zugpferde des Events seine Teilnahme gecancelt hatte.
„Der Veranstalter beschäftigt sich hauptsächlich mit der Optimierung und Amortisierung seines neuen Gebäudes, das übrigens durch die Baselworld weitgehend von der Uhrenindustrie finanziert ist, als dass er den Mut aufbringt, regelrechte Fortschritte sowie echte und tiefgreifende Veränderungen herbeizuschaffen”, heißt es dazu aus der Swatch Group-Zentrale.
Heute sei alles transparenter, schnelllebiger und spontaner geworden und diesen Veränderungen müssen sich nicht nur die Marken, sondern auch die Messen anpassen. Und das habe man in Basel vermisst.
Die Neuheiten ihrer Premium- und Luxusmarken Omega, Breguet, Harry Winston, Blancpain, Jaquet Droz und Glashütte Original präsentiert die Swatch Group ihren Handelspartnern im Grieder Haus in Zürich im Rahmen einer eigenen Messe, die am 19. März begonnen hat und noch bis zum 26. März läuft. Ob daraus eine Dauereinrichtung wird, steht allerdings noch nicht fest.
Eigene Events statt Messestand in Basel ist auch die neue Devise der Glashütter Manufaktur Moritz Grossmann. Ende Jänner startete die Road Show in Dubai, Anfang März war Tokio an der Reihe, Hongkong und London folgen dann Mitte Mai und Mitte Juni.
„Als Hersteller hochwertiger Uhren in einem Nischenmarkt sehen wir es zunehmend als Bereicherung an, verstärkt lokal mit dem Einzelhandel und ebenso mit dem Endkunden in direkten Kontakt zu treten. Dies gelingt uns am besten in der persönlichen Beziehung vor Ort. Unser Ziel ist es, den individuellen, direkten Austausch auf allen Ebenen zu intensivieren”, erklärt Firmenchefin Christine Hutter die Entscheidung.
Um die Messe schon für die diesjährige Auflage komplett umzukrempeln, fehlte klarerweise die Zeit, einige Änderungen in Richtung moderner, kommunikativer und kundenfreundlicher wurden aber umgesetzt.

Neue Konzepte

Die bisher von der Swatch Group bespielte Fläche in der Halle 1.0, wo sich Größen wie Rolex, Patek Philippe, Chopard, Breitling, Carl F. Bucherer sowie die LVMH-Marken Zenith, TagHeuer, Bulgari und Hublot präsentieren, wurde zu einer Central Plaza umfunktioniert. Neben einer Champagner-Bar ist dort das neue, deutlich vergrößerte und technisch aufgerüstete Pressezentrum untergebracht.
In der Halle 1.1 wurde mit „The Loop” ein Ausstellungsareal geschaffen, das sich der Uhrmacherkunst widmet.
Um den in der Vergangenheit etwas vernachlässigten Schmucksektor wieder stärker in den Fokus zu rücken, erhielt die Schmuckhalle eine zentrale Plaza mit 240-Grad-Catwalk und zahlreichen LED-Screens. Dies ermögliche, so Messechef Michel Loris-Melikoff, „ganz neuartige Formen der Schmuck­inszenierung. Diese Fläche wird auch für einen völlig veränderten Pressetag und den erstmalig stattfindenden Retailer Summit genutzt.”
Zudem wurde eine neue Kommunikationsstrategie implementiert, die mit innovativen digitalen Formaten arbeitet und den Marken ganzjährig eine Bühne für ihre Produkte bietet. Der bereits im Vorjahr eingeführte ChatBot, der via Messaging Services alle relevanten Infos direkt auf das Mobiltelefon bringt, wurde um neue Services wie Ticketing und Navigation erweitert und für das asiatische Publikum auch auf WeChat ausgedehnt.
Last but not least wurde auch das kulinarische Angebot erweitert – von Take Away-Services bis zur 3-Stern-Gastronomie – und von der Peripherie ins Zentrum des Geschehens gerückt.
Der große Wandel der Baselworld soll dann 2020 kommen. Wie dieser genau aussehen wird, ist noch offen. Man will dabei aber offenbar enger mit den Ausstellern zusammenarbeiten. Geplant ist dabei etwa eine große Umfrage, deren Ergebnisse in die Planung einfließen werden.

Kooperation

Bereits fix ist eine Kooperation mit dem zwar deutlich kleineren, aber auch wesentlich feineren Salon International de la Haute Horlogerie (SIHH) in Genf, der seit 1991 im Jänner statt findet.
Einige klingende Namen wie Hermès, Ulysse Nardin oder Girard Perregaux waren bereits von Basel nach Genf gewechselt. 23.000 Besucher verzeichnete der Nobel­event heuer – ein neuer Rekord –, darunter zahlreiche VIPs und dank eines umfassenden Digitalkonzepts wurde über 380.000 Posts auf Websiten, Blogs und Onlinemagazinen ein Publikum von 260 Mio. Personen erreicht.
Ab 2020 rücken die beiden Messen zumindest terminlich näher aneinander: Der SIHH wird vom 26. bis 29. April über die Bühne gehen, die Baselworld direkt im Anschluss von 30. April bis 5. Mai.
Das bringe vor allem Vorteile für die Händler und Medienvertreter, aus Übersee deutliche Erleichterungen, da sie mit einer Reise beide Messen besuchen können.
„Unsere Shows sind zwar inhaltlich sehr unterschiedlich, aber ergänzen einander sehr gut. Die Terminannäherung stärkt die Stellung der Schweiz für die internationale Uhrenbranche”, meint Fabienne Lupo, Vorsitzende und Geschäftsführerin der Fondation de la Haute Horlogerie, die den SIHH veranstaltet.

Inhorgenta im Plus

Von einer generellen Messemüdigkeit der Uhren- und Schmuckbranche kann trotz der Probleme der Baselworld keine Rede sein.
Das zeigt vor allem die Inhorgenta in München, die heuer vom 14. bis 17. Februar stattfand. Mit insgesamt 1.052 Ausstellern aus 41 Ländern konnte man ein Plus von 2,5% verzeichnen, die Zahl der Aussteller aus dem Uhrensektor stieg sogar um 16%.
Nach einer Umfrage des deutschen Bundesverbandes Schmuck und Uhren rangiert die Inhorgenta nach der Vicenza Oro mittlerweile bereits auf Platz 2 der beliebtesten Fachmessen. Auf Platz 3 liegt die Hong Kong Watch & Clock Fair und erst an vierter Stelle wurde die Baselworld gereiht.
Generell wandeln sich die Ansprüche, die sowohl Aussteller als auch Besucher an die Fachmessen stellen.
„Durch die Stärke der neuen Medien, Internet & Social Media, haben die Messen nicht mehr die Bedeutung wie vor ein paar Jahren. Neuheiten und Trends werden selten bis zur nächsten Messe zurückgehalten, sondern viel schneller über die sozialen Kanäle präsentiert. Mit Unterstützung der Blogger und Influenzer erreichen die Marken über diese Kanäle sehr schnell ein wesentlich größeres Publikum als über eine Messe”, meint etwa Hans Peter Jucker, Österreich-Chef von Bucherer. Dennoch hält er es für wichtig, zumindest einmal im Jahr persönlich Präsenz zu zeigen, um die Uhren- und Schmuck-Modelle live zu zeigen und haptisch erlebbar zu machen.
Auch Philipp Pelz, Österreich-Chef von Wempe, hält die traditionellen großen Fachmessen für weiterhin wichtig: „Keine noch so gute Digitalisierung kann das Anprobieren, das Fühlen und Erfahren der Produkte ersetzen. Uns Einkäufern geht es da genauso wie unseren Kunden. Vom Display weg sind solch emotional aufgeladene Produkte wie Uhren und Schmuck nicht verkaufbar.”
Basel und Genf stehen alljährlich auf seinem Terminplan, „doch auch andere Veranstaltungen, wie die Vicenza Oro oder die Inhorgenta in München gewinnen ob der schwächelnden Baselworld an Bedeutung”.
Die Zusammenlegung von Baselworld und SIHH hält er für einen Schritt in die richtige Richtung. Dem stimmt auch Jucker zu: „Allein schon für die Personalplanung ist das ein großer Vorteil. Vieles wird gestrafft und spart Zeit, warum also nicht auch bei den Fachmessen.”

Messen bleiben wichtig

Essenziell sind Fachmessen auch für den Wiener Traditionsjuwelier A. E. Köchert. „Wir nutzen sie vor allem zum Edelsteineinkauf. Für uns ist es wichtig, viele der wichtigsten Edelsteinschleifer und -Händler an einem Ort zu haben, weil eine große Auswahl bessere Vergleichs- und  bessere Einkaufsmöglichkeiten bedeutet”, sagt Mitinhaber Wolfgang Köchert, der an der Baselworld vor allem kritisiert, dass „sie sich in den letzten Jahren immer mehr auf Uhrenmarken konzentriert und die Schmuck- und Edelsteinbranche vernachlässigt hat. Wir finden das sehr schade, weil gerade eine große Dichte von relevanten Ausstellern für uns den Reiz einer großen Messe ausmacht.”
Neben Basel seien daher ver­stärkt die Inhorgenta und die Vicenza Oro und ganz besonders die GemGenève in den Fokus gerückt, die im Vorjahr von ehemaligen Baselworld-Ausstellern ins Leben gerufen wurde.
Heuer findet der Event, bei dem sich mehr als 100 Diamanten-, Perlen und Edelsteinhändler sowie Anbieter von Antikschmuck und Zulieferbetriebe für Juweliere der Fachwelt, aber auch privaten Liebhabern und Sammlern präsentieren, von 9. bis 12. Mai im Palexpo-Ausstellungscenter statt.
Die Lage seiner Branche schätzt Köchert grundsätzlich gut ein, eventuell müsse man heuer entsprechend der Konjunkturlage mit einem leichten Rückgang der Nachfrage rechnen.

Zeitenwende

Der Wunsch vieler Hersteller nach Messeformaten, bei denen nicht mehr allein der Ordercharakter im Mittelpunkt steht, sondern die mehr auf die emotionale Inszenierung und die Kommunikation mit den verschiedenen Zielgruppen setzen, liegt vor allem darin, dass man sich dadurch bessere Einblicke in die Wünsche und Bedürfnisse des Marktes erhofft, um Produkte, Services und Vertrieb den schnell wechselnden Trends besser anpassen zu können.
„Wir bemerken in den vergangenen Jahren sehr wohl Bemühungen seitens der Marken, noch näher am Puls des Marktes zu sein”, bestätigt Pelz den Trend. „Das funktioniert am besten durch enge Kommunikation mit den Händlern, stehen diese doch in direktem Kontakt mit den Kunden. Ein weiterer Ausbau in diese Richtung kann nur zu besseren Produkten führen.”
Allerdings setzen auch etliche Marken verstärkt darauf, den direkten Draht zum Endkunden – vor allem im E-Commerce – auszuweiten. Vom Fachhandel wird das klarerweise kritisch gesehen. So sorgte Ende des Vorjahres zum Beispiel die Ankündigung von Nomos, künftig auch mit den Onlineportalen Chrono24 und Chronext zusammenzuarbeiten, für Unmut. Einige Händler, darunter auch Wempe, nahmen Nomos verärgert aus dem Programm. Mittlerweile hat die Glashütter Manufaktur eingelenkt und vom Vertrieb über die beiden Portale Abstand genommen.
Noch entfallen – einer Analyse von Morgan Stanley zufolge – 88% des Geschäfts mit Nobeluhren auf die Juweliere, in fünf Jahren werde durch den forcierten Ausbau der E-Commerce-Schiene und die eigenen Markenbouiquen der Marktanteil des Fachhandels aber auch knapp 70% sinken und in zehn Jahren sogar nur mehr bei 45% liegen. Ob die Umwälzungen tatsächlich so dramatisch sein werden, bleibt abzuwarten – in der Vergangenheit lagen die Analysten oft genug falsch, und wie andere Umfragen zeigen (siehe dazu Seite 9), ist der Fachhandel für die Mehrheit der ­Kunden nach wie vor die erste Wahl.

Wandel muss sein

Dass die Digitalisierung, die in der Uhren- und Schmuckbranche deutlich später als in anderen Branchen ins Rollen gekommen ist, in den nächsten Jahren noch für gehörige Umwälzungen sorgen wird, steht außer Frage.
Hersteller, Fachhandel und Messen stehen allesamt vor großen Herausforderungen, die noch zusätzlich dadurch erschwert werden, dass der rasche technische Fortschritt in Verbindung mit einem weiterhin höchst volatilen wirtschaftlichen Umfeld Prognosen zunehmend zu einem Ratespiel werden. Schlecht stehen die Chancen für mechanische Uhren aber trotzdem nicht.
Dass die Branche vor allem unter Druck das Zeug dazu hat, sich neu zu erfinden, hat sie ja schon in der Quarzkrise bewiesen.

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