••• Von Dinko Fejzuli
STOCKHOLM/WIEN. Morgen Abend findet das große Finale des Eurovision Song Contest in Stockholm statt.
2015 richtete noch der ORF den größten Musik-Live-Event mit über 150 Mio. Zuschauern aus. Das Echo danach, national und international, war einhellig: Es war einer der besten Song Contests überhaupt, und der ORF hat einen hervorragenden Job gemacht.
Wir baten die damals für den ESC in Wien maßgeblich Mitverantwortlichen, ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz, Fernseh-Direktorin Kathrin Zechner und ORF-Unterhaltungschef Edgar Böhm mit der zeitlichen Distanz von einem Jahr um ihre ganz persönliche Bilanz.
ORF-Bilder für die Welt
Auch ein Jahr danach zeigt sich etwa ORF-Generaldirektor Wrabetz sichtlich zufrieden über den sehr gut gelaufenen Event. „Es war unser Ziel, dass der von uns veranstaltete Song Contest Österreich stolz macht und Europa beeindruckt. Ich denke, das ist uns im vergangenen Mai auch gelungen. Und zwar nicht nur mit den drei TV-Shows. Wir haben auch Wien und Österreich als perfekten Gastgeber für die Delegierten, die internationalen Medienvertreter und alle Besucher des Events präsentiert. Bilder aus Österreich gingen um die ganze Welt und haben das Land als tolerant und weltoffen präsentiert.
Einen weiteren nachhaltigen Meilenstein in der ESC-Geschichte haben wir damit gesetzt, dass wir den Song Contest gemeinsam mit unseren Partnern – allen voran der Stadt Wien und dem BMLFUW – erstmals als zertifizierten Green Event durchgeführt haben.”
Auch der Tenor der anderen EBU-Mitglieder und anderer TV-Stationen war einhellig: Der ESC 2015 aus Österreich war der erfolgreichste seit vielen Jahren. „Somit hat sich der Mitteleinsatz auch für den ORF mehr als ausgezahlt”, so Wrabetz.
Edgar Böhm, der Unterhaltungschef des ORF, ebenfalls maßgeblich am Erfolg des ESC in Wien beteiligt, ist mit diesem als Mitglied der sogenannten EBU Reference Group des Eurovision Song Contests, quasi dem obersten Lenkungsorgan des ESC, auch weiterhin eng verbunden.
Sein Resümee: „Wir schauen mit großer Freude und Genugtuung zurück, weil der ESC letztes Jahr sehr viel internationale Anerkennung erhalten hat. Ich merke das auch, wenn ich mich hier in Stockholm durch die anderen Delegationen bewege: man erinnert sich, man freut sich, uns zu sehen. Ich bin natürlich wesentlich entspannter als vor einem Jahr. Ich bin gespannt und interessiert, wie die Schweden die Show organisieren. Spürbar ist auch, dass wir in dieser ESC-Gemeinschaft angekommen sind. Wir waren Underdogs, die noch nicht einmal die Semifinale gewonnen haben. Jetzt werden wir anders wahrgenommen.”
Kein technisches Wettrennen
Den Umstand, dass manche Teilnehmer auf sehr viel Technik in der Performance setzen, sieht Böhm, im großen Rahmen betrachtet, nicht als Bedrohung, der ESC könnte ein Wettrennen werden, wer die technisch aufwendigste Show liefern kann: „Es hat immer wieder verschiedene Phasen gegeben. Vor 15 Jahren war es en vogue, den Song Contest lustig zu interpretieren, sich sogar ein wenig über ihn lustig zu machen.
Jetzt hat man sich aus diesem Tal befreit und es ist ein akzeptierter Musikevent. Es ist tatsächlich so: Die Schweden voriges Jahr und die Russen heuer setzen enorm viel Technik ein. Aber ich glaube, wenn man sich die 60-jährige Geschichte des Contests ansieht, sieht man, dass es Wellen gibt.”
Kathrin Zechner, Fernsehdirektorin des ORF, sieht einen weiteren Aspekt als wesentlich, worum es ihr und damit dem ORF etwa beim Vorentscheid ging und geht: „Ich habe immer wieder gesehen, wie wichtig das ‚Sichtbarmachen' von aufstrebenden jungen Talenten ist.
„Nach Alex Deutsch im letzten Jahr haben wir heuer mit Eberhard Forcher einen ebenso intimen Kenner der Szene als Scout und Begleiter und mit ihm wieder starke Talente gefunden. Das macht aus meiner Sicht Sinn, weil sich das Image des Song Contests in Österreich auch durch Conchitas Sieg gewandelt hat. Zoë als besonders junge, natürliche Sängerin ist ja auch zauberhaft ins Finale geschwebt.”
Und ihr ganz persönliches Resümee zum ESC in Wien: „Zwölf Punkte für Österreich und den ORF als Gastgeber. Wir haben eine große Aufgabe mit dem kreativsten, mutigsten, ambitioniertesten und leidenschaftlichsten Team umgesetzt, das ich kenne und mit dem ich je zusammenarbeiten durfte – das war einfach großartig.”
ESC 2.0?
Die Frage, ob ein so traditioneller TV-Event auch eine Zukunft hat, davon zeigen sich alle überzeugt.
„Eine der großen Stärken des linearen Fernsehens, wenn nicht die größte, ist das Live-Erlebnis – sei es in der Information, in der Unterhaltung oder im Sport. Der ESC ist dafür ein Paradebeispiel: Er ist ein europäischer Live-Event, der nicht auf einer – womöglich amerikanischen – Onlineplattform denkbar ist”, so Wrabetz.
Aber auch in der EBU beschäftige man sich mit dem Thema, so Böhm. So habe sich die Beteiligung der jungen Zielgruppe durch Social Media „irrsinnig” erweitert. „Es gibt Angebote, dass das Votingsystem, die Hashtags, die Apps exponentiell unglaublich häufiger genutzt werden. Aber bei aller Freude über die Digitalisierung – ein Event, der live stattfindet, wird immer auch ein lineares Ereignis sein und linear verfolgt werden. Fernsehen wird daher noch lang nicht sterben.”