Applaus an den falschen Stellen
MARKETING & MEDIA sabine bretschneider 14.06.2019

Applaus an den falschen Stellen

Es ist tatsächlich alles sehr kompliziert. Keine Hommage an Fred Sinowatz.

Leitartikel ••• Von Sabine Bretschneider

 

DACAPO. Die Medienbranche ist ein weites Land, geprägt von steilen Höhen und schwindelerregenden Tiefen. „Du sollst nicht agitieren”, hieß ein Beitrag an dieser Stelle im Februar 2017. Anlassfall war eine Medien-Allianz im Kampf gegen die drohende „globale Ver-Trumpung”. Das Brexit-Referendum hatte die Union durchgeschüttelt, Erdogan fand zunehmend Geschmack an diktatorischen Spielzügen, Putin hatte die gar nicht so klammheimliche Freude am geopolitischen Zündeln wiederentdeckt, und die „Flüchtlingskrise” in Europa den Boden für allerlei Unsägliches aufbereitet.

Auf dünnem Eis

Dagegen wurde angeschrieben, mit aller Macht, mit Empathie und gutem Willen. Mit moralischem Gewicht auf dünnem Eis. Es sei problematisch, „wenn der Wille zum Guten die professionelle Distanz, die Moral die Recherche und die Meinung die Analyse ersetzt”, hatte Philosoph und Publizist Konrad Paul Liessmann dazu angemerkt. Seine kluge Analyse gilt heute wie damals.

In den Sozialen Medien und insbesondere im Twitter-Journalistenzirkel gab es zuletzt Szenenapplaus für jeden Auftritt des Bundespräsidenten im Zweiakter der Regierungskrise – und für jedes Zitat aus der schon etwas zerfledderten österreichischen Verfassung, die – wir hätten uns noch gewundert – recht undemokratische Stilmittel zulässt. „Zugabe” hörte eine Expertenregierung, noch bevor der erste, sicherheitshalber mit einem Parteibüchl ausgerüstete, Beamte die öffentliche Bühne betreten hatte. Dass Österreichs erste Bundeskanzlerin ihre Angelobung keiner einzigen Wählerstimme verdankt, ist, bei aller Freude, auch kein Ruhmesblatt. Währenddessen tut sich die Kluft in ganz Europa weiter auf: zwischen denen, die meinen, man müsse es doch bitte zuerst einmal gut meinen – und denen, die die da oben, die in Brüssel und die von den Zeitungen, wahlweise die vom ORF, ohnehin noch nie leiden konnten.

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