„Auch die Familien wollen ­flexiblere Arbeitszeiten”
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MARKETING & MEDIA sabine bretschneider 24.06.2016

„Auch die Familien wollen ­flexiblere Arbeitszeiten”

Familienministerin Sophie Karmasin über das Netzwerk „Unternehmen für Familien”, dänisches Glück, Standortpolitik und Klassenkampf.

••• Von Sabine Bretschneider

WIEN. Ein Gespräch mit Familienministerin Sophie Karmasin über eine Zwischenbilanz ihrer Initiative „Unternehmen für Familien” – und über die Tore, die sie in der zweiten Halbzeit dieser Bundes­regierung noch schießen wird.

medianet: Im Frühjahr des Vorjahres hatten wir ein Gespräch zum Start Ihrer Initiative ‚Unternehmen für Familien' geführt. Was hat sich in der Zwischenzeit getan?
Sophie Karmasin: Wir haben zum jetzigen Stand etwa 300 Unternehmen – mit rund 500.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern –, Gemeinden und Organisationen im Netzwerk – und wir haben sehr positives Feedback bekommen. Viele Unternehmen, mit denen wir jetzt reden, fragen: Warum habt ihr uns erst jetzt eingeladen? Es zeichnet sich eine Art Schneeballeffekt ab. Am Anfang hat es viel Überzeugungsarbeit gebraucht, aber ab einer gewissen kritischen Größe ist es zum Selbstläufer geworden.

medianet:
Welche Betriebe oder welche Branchen sind hier sozu­sagen die Musterschüler?
Karmasin: Wir haben im Moment noch einen Überhang größerer Unternehmen, trachten aber danach, alle einzubeziehen. Es gibt sehr wohl Tischlereien, Steuerberater, Apotheken im Netzwerk, aber auch Große wie die ÖBB oder die Post. Vöslauer kommt jetzt an Bord, Ottakringer hätten wir auch gern dabei … Die Branchen, die sich am meisten engagieren, sind die, wo es eine ökonomische Notwendigkeit gibt, wie etwa die IT. Hier wird wirklich um Fachkräfte, um die besten Talente gerittert. Da ist Familienfreundlichkeit – und das sagen wir auch ganz explizit – ein ganz klarer Vorteil, ein Faktor, um an die besten Leute zu kommen. Die besten Beispiele dafür sind Microsoft oder IBM, aber auch T-Mobile und A1.

medianet:
Ihr Leitsatz ist: ‚Österreich soll zum familienfreundlichsten Land Europas werden'. Welches ist das familienfreundlichste Land Europas?
Karmasin: Dänemark.

medianet:
… und was unterscheidet Österreich von Dänemark?
Karmasin: Ganz sichtbar und merkbar ist die Kulturfrage. Dass Familienfreundlichkeit in Dänemark in allen gesellschaftlichen Bereichen verankert ist. Familie hat einen selbstverständlichen Stellenwert. Man plant etwa, spätestens um 16 Uhr nach Hause zu gehen, nicht viele Überstunden zu machen – und falls doch, dann macht man sie am Abend via Telework zu Hause, wenn die Kinder schon schlafen. Das gilt für Frauen und Männer. Sie haben ein ausgebautes Netz an guter Kinderbetreuung und sind überzeugt davon, dass Kinderbetreuung elementarpädagogisch für Kinder wertvoll ist. Und Väterbeteiligung ist selbstverständlich.

medianet: Gleichzeitig ist Dänemark konstante Nummer eins in den sogenannten Glücksrankings. Hängt das ursächlich zusammen?
Karmasin: Sicher. Ich kenne die Studien, ich habe ja selbst früher einige solcher Studien durchgeführt. Da sind Familie und Gesundheit die wichtigsten Themen.

medianet:
Ein Themenschwenk: Standort- und Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit und Bildungsdiskussionen dominieren die Schlagzeilen. ‚Familie' gilt im Gegensatz dazu eher als ‚weiches' Thema … Was kann eine geglückte Familienpolitik zur Lösung dieser Probleme beitragen?
Karmasin: Also fangen wir bei der Bildungsthematik an: Wenn man für Kinder früh genug elementarpädagogische Einrichtungen anbietet, die entsprechend hochwertig sind, dann ist das schon einmal eine Riesenerleichterung für das ganze Bildungssystem, weil sie gut vorbereitet ins Schulsystem kommen.

Wenn man über den Arbeitsmarkt spricht, über Wettbewerbsfähigkeit, dann bin ich überzeugt, dass Familienfreundlichkeit für Unternehmen und für das Land, den Standort, eine Chance und ein Wettbewerbsvorteil ist. Österreich wird nie durch die geringsten Lohnkosten punkten. Aber mit Innovationskraft und mit Lebensqualität – und da gehört die Familienfreundlichkeit dazu.
Wir versuchen immer, in unseren Initiativen auch die Wirtschaftskomponente entsprechend einzubringen – aber Familie ist oft als softes Thema gebrandet, als privater Bereich, ohne allzu große Auswirkungen auf Wirtschaft und Standort. Das ist schade.


medianet:
Familienthemen sind Frauenthemen … Hat sich an dieser Einstellung in Ihrer Amtszeit etwas geändert?
Karmasin: Ich kann das schwer neutral beurteilen, aber in der öffentlichen Wahrnehmung hat sich schon etwas geändert: Man kann zumindest heute nicht mehr sagen ‚Also, als Mann interessieren mich die Themen Familie oder Väterkarenz nicht'. Das ist sozial nicht mehr akzeptiert. Es ist eher die Norm, sich diesbezüglich aufgeschlossen zu zeigen – und das allein ist schon ein Fortschritt. Und unser Familienmonitor – eine Befragung, wie familienfreundlich die Österreicherinnen und Österreicher unser Land empfinden – zeigt letztes Jahr eine Steigerung von 31 auf 63 Prozent.

medianet:
Ein weiteres dominantes Thema ist die Flüchtlingskrise: Die ‚Beratungsstelle Extremismus' in Ihrem Ministerium gilt europaweit als Referenzprojekt …
Karmasin: Ja, stimmt, wir haben es vor zwei Wochen in Brüssel beim EU-Jugendministerrat als Best Practice-Beispiel vorgestellt. Die Beratungsstelle wurde schon 2014 eingerichtet, bewusst im Familienministerium und nicht im Innenministerium, um die Hürden so niedrig wie möglich zu halten. Wir hatten bis dato 1.200 Anrufe. Das ist viel im Vergleich mit Deutschland, was aber nicht Ausdruck einer besonderen Radikalisierung ist, sondern vielmehr ein Ausdruck des großen Beratungsinteresses.

medianet:
Sie treten für Arbeitszeitflexibilisierung ein. Jetzt scheint das auf den ersten Blick aber der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu widersprechen …
Karmasin: Aber nur auf den ersten Blick! Wir touren durch Österreich, wir führen über die Plattform (des Netzwerks „Unternehmen für Familien”, Anm.) so viele Gespräche, mit Personalleitern, mit den Mitarbeitern, mit Familien … und da wird sehr oft ganz stark der Wunsch nach mehr Flexibilität geäußert. Da geht es auch um Frauen in Teilzeitarbeit, die sagen, wenn ich zwei Tage pro Woche zwölf Stunden lang arbeiten könnte, habe ich mein Plansoll erreicht und kann mich die restliche Zeit um die Familie kümmern. Dass die Unternehmen die Arbeitszeitflexibilisierung wollen, liegt ja auf der Hand, aber auch die Familien wollen sie. Deswegen sollte sich die Gewerkschaft einmal offen der Diskussion stellen und reinhören, was wirklich der Bedarf ist. Die Welt ist nicht nur vom Klassenkampf bestimmt.

medianet:
Noch ein Ausflug ins Fußball-Ambiente: Sie werden nach der ersten Regierungs-Halbzeit von den Medien u.a. für die erhöhte Familienbeihilfe, Kindergeldreform und Ausbau der Kinderbetreuung bzw. die Fortsetzung des verpflichtenden Gratis-Kindergartenjahres gelobt … was fehlt hier?
Karmasin: Was in dieser Bilanz beispielsweise vergessen wird, ist die antraglose Familienbeihilfe, die wir umgesetzt haben und für die wir europaweit Preise bekommen haben. Das ist definitiv ein geglücktes digitales Angebot in einem bürgernahen Staat. Geglückt ist auch das Netzwerk ‚Unternehmen für Familien', das neue Kindergeldkonto …

medianet:
… und was haben Sie sich für die zweite Halbzeit noch vorgenommen. Welche Tore möchten Sie noch schießen?
Karmasin (lacht): Wir haben noch viel vor in dieser Periode! Das Konzept für den Bildungskompass (der die Entwicklung jedes Kindes vom Kindergarten bis zur Schule dokumentieren soll, Anm.) wird Ende Juli vorliegen, das zweite Gratis-Kindergartenjahr und insgesamt die Qualität in der Elementarpädagogik steht auf der Agenda für Herbst und 2017. Dann werden wir auch die digitalen Unterrichtsmittel in den Schulen weiter ausrollen … Ich gehöre übrigens nicht zu denen, die jetzt Dinge präsentieren, die irgendwann in zehn Jahren passieren sollen.

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