ChatGPT: „Verbote sind keine gute Antwort”
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MARKETING & MEDIA Redaktion 05.05.2023

ChatGPT: „Verbote sind keine gute Antwort”

Alexandra Vetrovsky-Brychta, Präsidentin des Dialog Marketing Verbands Österreich (DMVÖ), über den Umgang mit ChatGPT, TikTok und Co.

Durch die aktuelle Diskussion um ChatGPT, Künstliche Intelligenz und TikTok-Verbote rückt das Thema Data Compliance einmal mehr in den Mittelpunkt.

Viele Marktteilnehmer sind zudem aufgrund der jüngsten gerichtlichen Urteile verunsichert. Der Dialog Marketing Verband Österreich (DMVÖ) setzt sich auch mit diesen aktuellen Themen intensiv auseinander. medianet bat dazu Alexandra Vetrovsky-Brychta, Präsidentin des Dialog Marketing Verbands Österreich (DMVÖ), um einige Antworten.


medianet:
Frau Vetrovsky-Brychta, mittlerweile wurde ChatGPT in mehreren Ländern, unter anderem Italien, verboten und die Website bzw. die App gesperrt. Aus Ihrer Sicht als DMVÖ-Präsidentin: Wo liegt hier die Problematik bei neuen, KI-basierenden Technologien wie ChatGPT & Co?
Vetrovsky-Brychta: Technische Innovationen haben eine unglaubliche Dynamik und bringen Veränderungen mit sich. Die Auswirkung dieser Veränderungen einzuschätzen, fällt vielen Menschen schwer.

Wer hätte zum Beispiel vor fünf Jahren gedacht, dass wir heute nahezu flächendeckend mit dem Smartphone bezahlen? Am Beispiel Smartphone sehen wir deutlich, dass sich die Trends durchsetzen, die einen Mehrwert bieten.
Bei ChatGPT ist den meisten Menschen noch nicht klar, wie oder wofür sie das Tool brauchen. Das verunsichert. Und Verunsicherung macht uns tendenziell Angst.


medianet:
Aber wie darauf antworten?
Vetrovsky-Brychta: Auf jeden Fall nicht mit Verboten. Die sind keine gute Antwort. Im Gegenteil – aus Sicht des DMVÖ braucht es klare Regeln, die Orientierung geben und Sicherheit schaffen. Das Internet ist ja auch jetzt schon kein rechtsfreier Raum. Es gibt geltende Gesetze – sei es das Urheberrecht, die DSGVO oder der Jugendschutz. Diese Regulierungen haben die Zielsetzung, Orientierung und Klarheit zu schaffen. Gesetze sorgen dafür, den Umgang mit Daten unter der Wahrung der Grundrechte zu schützen. Wir sollten uns der Risiken neuer Technologien bewusst sein, aber viel mehr die Chancen in den Fokus rücken. Bevor der Gesetzgeber Verbote ausspricht, sollten wir in einen offenen Dialog treten. Und auf Grundlage der Ergebnisse sollten bestehende Gesetze an die aktuellen Herausforderungen angepasst werden.

medianet:
Also trotzdem kein Verbot. Welchen Weg sollten die Branche und die Gesellschaft stattdessen gehen?
Vetrovsky-Brychta: Verbote sind keine Innovationstreiber. Mit Verboten drehen wir Weiterentwicklungen ab, denn wer soll noch in Technologien investieren, wenn sie am Ende nicht genutzt werden dürfen? Denken wir 200 Jahre zurück, als die Eisenbahn begann, das Leben zu beschleunigen. Züge mit Geschwindigkeiten von 30 bis 50 km/h sorgten für Aufsehen, und Mediziner warnten vor gesundheitsschädigenden Folgen wie Kopfschmerzen oder Schwindelanfällen. Stellen Sie sich vor, man hätte aus lauter Sorge und Angst die Nutzung der Eisenbahn verboten – wir würden dieses Gespräch wohl nicht führen.

Wenn wir alles Unbekannte und Neue verbieten, wo hören wir dann auf? Verbieten wir am Ende das Internet? Verbote sind zu kurz gedacht und werfen uns im schlechtesten Fall in der Entwicklung um viele Jahre zurück. Wir sollten uns überlegen, wie wir neue Technologien sinnvoll einsetzen können, wie man KI in die Unternehmenskultur, in den Alltag der Geschäftsprozesse integriert. Ähnlich wie bei der Digitalisierung werden jene erfolgreich sein, die KI in ihre Unternehmenswerte aufnehmen und ihre Teams befähigen, die Vorteile von KI zu nutzen – natürlich unter Einhaltung der geltenden Gesetze.


medianet:
Oft wird über Ethik diskutiert. Sind Social Media-Kanäle unethisch?
Vetrovsky-Brychta: Wir sollten hier die Ebenen klar auseinanderhalten – nicht der Kanal ist unethisch, sondern das, was User möglicherweise damit machen. Virale Trends und Challenges haben in der Vergangenheit immer wieder zu ethischen Diskussionen geführt. Aktuell gilt das auch für den Einsatz von AI. Daher braucht es Guidelines für den Umgang mit Social Media. Gesellschaft und Wirtschaft sind gefordert, mittels Wissensvermittlung und Aufklärung für eine ethisch und moralisch korrekte Anwendung zu sensibilisieren.

medianet:
Um nicht nur über Verbote zu reden – wie soll die europäische Gesellschaft Ihrer Meinung nach mit Anwendungen wie TikTok umgehen, und welche wichtige Rolle spielt hier die Kommunikationsbranche?
Vetrovsky-Brychta: Da schließe ich gleich nahtlos an meine vorherige Antwort an: Dank guter Aufklärung befürchtet heute kein Mensch Schwindelanfälle, wenn er einen Zug besteigt. Dasselbe gilt für Social Media-Kanäle. Wir müssen lernen, reflektierend, verantwortungsbewusst und rücksichtsvoll mit neuen Technologien umzugehen. Anstatt zu verbieten, müssen wir als Gesellschaft die digitale Kompetenz fördern – im privaten Bereich und in Unternehmen. Der DMVÖ unterstützt dabei mit Informationsformaten wie dem Data Compliance Talk oder mit Ausbildungen in der DMVÖ Academy.

medianet:
Frage zum Schluss, am 25. Mai wird die Datenschutzgrundverordnung fünf Jahre alt. Eine Einschätzung zum Jahrestag – hat sie sich bewährt und wie bewertet die Branche die Verordnung angesichts aktueller Entwicklungen?
Vetrovsky-Brychta: Das Inkrafttreten der DSGVO ist wohl der gesamten Branche in Erinnerung, und das Thema ist präsenter denn je. Denn auch wenn nach fünf Jahren einige Unklarheiten durch aktuelle Judikatur beseitigt wurden, fehlen bei manchen Themen noch klare Umsetzungsvorgaben. Besonders bei digitalen Fragestellungen gibt es nach wie vor Herausforderungen, wie etwa das Privacy Shield-Thema oder beim Cookie Consent. Aber dazu gibt es den fix verankerten Evaluierungsprozess, bei dem wir bestehende Regelungen einerseits auf Praktikabilität prüfen und andererseits an neue Entwicklungen anpassen sollten. Und in Sachen Rechtsdurchsetzung muss weiterhin darauf geschaut werden, dass sich alle Marktteilnehmer an bestehende Gesetze halten. (mab)

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