„Datenjournalismus ist mehr als Visualisierung”
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MARKETING & MEDIA Redaktion 01.03.2024

„Datenjournalismus ist mehr als Visualisierung”

„Wir arbeiten seit Jahren an der Vision, Daten als Grundlage für spannende und innovative Inhalte zu begreifen und zu erschließen”, so Katharina Schell, APA.

••• Von Dinko Fejzuli

Anfang des ­heurigen Jahres stellte die Austria Presse Agentur eine weitere Innovation vor: Ein datenjournalistisches Tool beziehungsweise Daten-Modul, das riesige, für die journalistische Nutzung optimierte Datenfeeds zu den Schwerpunkten Innenpolitik und Klima liefern kann.

Im medianet-Interview erklärt Katharina Schell, Stellvertretende Chefredakteurin Austria Presse Agentur und in der APA verantwortlich für die Bereiche Digitalisierung & Innovation, nicht nur das neue Tool, sondern gewährt auch Einblicke in die Arbeitsweise für diesen immer wichtiger werdenden Bereich.


medianet:
Frau Schell, kürzlich hat die APA eine innovative Datenlösung für Journalistinnen und Journalisten vorgestellt. Vor der Frage, was dieses Tool kann, eine andere Frage: Welchen Bedarf orten Sie überhaupt bei den Kolleginnen und Kollegen?
Katharina Schell: Wir sind auf diese Idee überhaupt erst gekommen, weil unsere Kolleginnen und Kollegen entsprechend Bedarf geäußert haben. Wir haben also unseren Kundinnen und Kunden zugehört. Immer wieder meinten Daten- und Grafikjournalisten: ‚Eure datenjournalistischen Inhalte, die Grafiken, Visualisierungen, der Automated Journalism – ist alles toll. Wir hätten aber auch Verwendung für die Rohdaten.' Nur – die ‚Rohdaten' einer Infografik sind nicht mehr roh. In die Daten haben wir sehr viel Arbeit gesteckt, um überhaupt eine Infografik daraus machen zu können. Und diese Arbeit können sich die Datenpunkt-Kundinnen und -Kunden künftig ersparen.

medianet: Kommen wir zum Tool an sich. Ein Problem unserer Zeit ist oft nicht ein Mangel an Informationen, sondern eher die Möglichkeit, die Flut an Daten auch sinnvoll zu verarbeiten und für die eigene Arbeit zu nutzen. Wie genau kann hier Ihr Datenjournalismus-Tool ­helfen?
Schell: Auf den ersten Blick gibt es überall Daten in Hülle und Fülle, die nur darauf warten, dass man mit ihnen Datenjournalismus macht.

Aber sobald man sich die Datenquellen näher anschaut, kommt die Ernüchterung. Die Formate, die Strukturen, die Update-Frequenz … alles ist total uneinheitlich. Oft muss man mit jedem neuen Datensatz bei null anfangen und ihn mit hohem Aufwand für datenjournalistische Formate vorbereiten. Im ‚Datenpunkt Politik' und im ‚Datenpunkt Klima' finden sich dagegen gebrauchsfertige Daten und natürlich verifizierte und auf ihre Plausibilität geprüfte Daten – das heißt: Auch der journalistische Check ist bereits erledigt.


medianet:
Politik ist hier ein gutes Stichwort. Ich nehme an, es ist kein Zufall, dass das Tool in einem Superwahljahr vorgestellt wird. Wo, abseits solcher sehr zahlengetriebenen Ereignisse, kann Ihr Tool im Feld des Datenjournalismus unterstützend eingesetzt werden?
Schell: Zum einen hat Politik auch abseits von Wahlen einen hohen datenjournalistischen Impact. Und da meine ich gar nicht nur die regelmäßigen Umfragen, die auch in wahlschwachen Jahren gern publiziert werden und die wir in Echtzeit in unserem APA-Wahltrend visualisieren. Ob regionale Statistiken wie Frauen in politischen Ämtern, ob Transparenzdaten wie die Nebeneinkünfte von Politikerinnen und Politikern – Politik ist ein Geschäft, über das sehr gut auch auf Basis von Daten erzählt werden kann.

Darüber hinaus ist der Datenpunkt Politik erst der Anfang. Der Datenpunkt Klima – mit Datendossiers zu den Themen Energie, Nachhaltigkeit, Wetter und vielem mehr – ist bereits verfügbar. Als Nächstes wollen wir uns dem Sektor Wirtschaft und Finanzen widmen.


medianet:
Wenn wir jetzt von der Themenebene auf die Kundenebene wechseln – bei welcher Art von Kunden sehen Sie den potenziell größten Bedarf?
Schell: Eindeutig Medien – sowohl Redaktionen mit eigenen Datenressorts, für deren Profi-User wir das Ganze auch als Schnittstelle (API) anbieten, als auch Newsrooms, in denen keine Datenexperten sitzen, aber datenaffine Journalistinnen und Journalisten, die das Storypotenzial von Daten nutzen möchten. Aber auch im Bereich Kommunikation, Organisationen und Corporates sehen wir einen hohen Nutzen.

medianet:
Kommen wir generell zur APA als Daten-Kompetenzzentrum – welche Projekte sind hier für Sie beispielgebend, insbesondere, wenn es um die Frage der interdisziplinären ­Kooperation zwischen den Feldern Data und Graphics geht?
Schell: Wir arbeiten seit Jahren an der Vision, Daten als Grundlage für spannende und innovative Inhalte zu begreifen und zu erschließen.

Lange Zeit verstand man unter ‚Datenjournalismus' vor allem die (interaktive) Visualisierung. Wir denken dieses Thema digital und integriert. Vom ready made-Datensatz bis zur automatisch generierten Story, vom APA-Wahltrend zum Datenextraktions-Prompt, der aus Fließtexten strukturierte Datensets macht – all das zählt für uns zu ‚Data + Graphics'.


medianet:
Und nun zum Elephant in the room – welche Rolle spielt bereits und wird künftig KI hier spielen?
Schell: Wie überall in der APA-Redaktion zum derzeitigen Stand der Technik – eine assistierende und modifizierende Rolle. Ich habe bereits den Prompt für Datenextraktion genannt: Er wird uns künftig entscheidend dabei helfen, Daten viel einfacher zu ‚schürfen'.

Es ist für uns ein großer Unterschied, ob hochqualifizierte Journalistinnen und Journalisten ihre Zeit damit verbringen, Daten in Tabellen einzutippen, oder ob das eine kontrollierte KI by APA auf Knopfdruck macht.
Im Bereich Textautomatisierung setzen wir schon seit fünf Jahren auf KI-Komponenten. Und nein, das ist für unsere Redakteure kein Grund zur Sorge – im Gegenteil, es macht die APA auch als Arbeitgeberin spannender. So haben wir vor zwei Jahren eine Datenjournalistin für das Spezialgebiet Textautomatisierung angestellt.


medianet:
Persönliche Frage zum Schluss: Was kann KI derzeit noch nicht – beziehungsweise was wäre aus Ihrer Sicht eine echte Revolution?
Schell: Sich Fakten beibringen, dazu braucht es Menschen – beziehungsweise in unserem Fall Journalistinnen und Journalisten. Ich bin sehr, sehr skeptisch, dass Generative KI, wie wir sie heute kennen, das jemals können wird.

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