„Der Fingerabdruck des Unternehmens”
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MARKETING & MEDIA Redaktion 28.06.2024

„Der Fingerabdruck des Unternehmens”

Sebastian Bayer über seine Zeit als CEO bei Scholz & Friends und die Marke als das Heiligste eines Konzerns.

••• Von Elisabeth Schmoller-Schmidbauer/Dinko Fejzuli

Insgesamt zehn Jahre stand Sebastian Bayer als CEO an der Spitze der Agentur Scholz & Friends Wien (vormals Young & Rubicam bzw. VMLY&R; Anm. d. Red.), die gerade in diesen Jahren sehr erfolgreich eine Zeit der Metamorphosen durchlebte. Nun gab Sebastian Bayer im Juni bekannt, das Unternehmen zu verlassen. „Als Freund”, wie er betonte. Im medianet-Interview lässt er die Zeit bei Scholz & Friends noch einmal Revue passieren und erzählt, wie die Agentur sich verändert hat und was er aus der Zeit für sich und die Zukunft mitnimmt.

medianet: Herr Bayer, Sie sind, von Nike kommend, an die Spitze der damaligen Young & Rubicam Wien gelangt und gehen nun, zehn Jahre später, bei Scholz & Friends Wien von Bord. Bevor wir zum Abschied kommen – was hat Sie damals überhaupt dazu bewogen, von einem großen Unternehmen wie Nike zu einer Agentur in Wien zu wechseln?
Sebastian Bayer: Zum einen hat es mich gereizt, auf die Agenturseite zu wechseln, weil ich bei Nike schon mit Agenturen zusammengearbeitet habe. Und zum anderen wollte ich mit meiner Familie nach Wien zurück, das war eine Grundsatzentscheidung. Denn bei Nike hätte ich wahrscheinlich alle zwei Jahre den Job gewechselt und damit auch den Wohnort. Das wollte ich meiner Familie nicht antun. Dann kam das Angebot von Young & Rubicam, und mir gefiel es, die Kundenperspektive in der Agentur einbringen zu können. Zu dem Zeitpunkt wurde das Thema Digitalisierung sehr wichtig in der Branche, und ich brachte da von Nike einiges an Expertise mit, da gab es dann sehr gute Anknüpfungspunkte. Auch wenn ich glaube, dass ich damals schon eine gewisse Rosskur für die Agentur war (lacht).

medianet:
Inwiefern? Wie war das für Sie, als Sie dann zur Agentur nach Wien kamen?
Bayer: Mein Vorteil war, dass ich damals nicht als Werber, sondern als Marketer die Leitung der Agentur übernommen hatte und ein paar Dinge auch mit Abstand betrachten und hinterfragen konnte, was man nicht macht, wenn man in der Werbebranche groß wird. Ich habe die Werbebranche in den vergangenen Jahren sehr gut kennengelernt und konnte mir trotzdem immer noch einen anderen Blick darauf bewahren.

medianet:
Was für ein Unternehmen fanden Sie damals vor, als Sie die damalige Young & Rubicam übernahmen?
Bayer: Einen Tag bevor ich kam, verlor die Agentur zwei ihrer größten Kunden (dm Österreich und OMV CEE) und damit 70 Prozent des Etat-Volumens. Da muss man sich an der Spitze einer 40-köpfigen Agentur dann schon überlegen: Was mache ich jetzt, wie geht es weiter?

medianet:
Und wie ging es weiter?
Bayer: Ein Weg war, die große Markenstudie, den Brand Asset Valuator (BAV), den wir ja im Hause hatten, deutlich auszubauen. Damit konnten wir etwa dm als Strategie-Kunden dann über die Jahre halten und weiterentwickeln.

medianet:
Welche Rolle spielte der BAV in den letzten zehn Jahren der Agentur generell? Haben Sie ihn eingeführt?
Bayer: Nein, der war schon eingeführt, als ich Young & Rubicam übernahm, aber er war wirtschaftlich nicht so bedeutend. Wir haben ihn erst danach als Wertschöpfungselement noch weiter ausgebaut. Der Brand Asset Valuator war für mich sehr spannend, weil ich von Nike kam und nur diese eine Marke sehr gut kannte. Der BAV half mir, sehr zu verstehen, wie Mechanismen hinter Marken grundsätzlich sind.

medianet:
Woraus bestehen Marken denn laut dem BAV?
Bayer: Das sind im Grunde vier Dimensionen: Differenzierung und Relevanz – also ist die Marke anders als die anderen und: ist sie interessant für die Menschen. Und außerdem Wertschätzung und Vertrauen: Wie sehr mögen Menschen die Marke und wie gut kennen die Menschen die Marke. Anhand dieser vier Komponenten sehe ich als Stratege sehr schnell, wie gut eine Marke aufgestellt ist und wo Probleme bestehen. Das ist wie der Fingerabdruck einer Marke. So kann ich auf einen Blick sagen: Hat die Marke ein Problem und wenn ja, wo.

Aus der langjährigen Markenstrategiearbeit habe ich gelernt, wenn mir ein CEO nicht in einem Satz sagen kann, was seine Marke will, dann weiß ich bereits, dass man sich mit dem Thema auseinandersetzen sollte. Und dieser Prozess, sich die Marke einmal anzusehen und zu schauen, welche Probleme sie hat, das muss eigentlich lange vor der Werbung passieren. Dann weiß man später auch, welche Geschichte man erzählen möchte. Aber es ist erschreckend, wie viele Marken keine klare Idee haben. Das führt dann dazu, dass es bei der Werbung nur darum geht, wer lauter und schriller oder günstiger ist. Und hier kann der BAV helfen und für uns hat er sich als wichtige Erlösquelle des Unternehmens entwickelt.


medianet:
Aber nicht nur national, sondern auch international in der Gruppe ist der BAV wichtig.
Bayer: Wir sind in Wien eines der drei globalen Kompetenzzentren in Sachen BAV. Neben Wien ist eines in New York und das dritte in London, damit sind wir natürlich auch international relevant. Wir haben in den vergangenen zehn Jahren allein in Wien mit Kunden 80 Markenprozesse gemacht, mit den unterschiedlichsten Marken, die wir wirklich neu aufgestellt und neu positioniert haben. Und das war schon sehr spannend.

medianet:
Rückblickend – wie hat sich die Agentur danach entwickelt?
Bayer: Ich würde die Entwicklung in drei große Phasen teilen, begonnen damit, dass die Agentur Young & Rubicam wieder neu in der Branche wahrgenommen werden musste.

medianet:
Wie meinen Sie das?
Bayer: Als ich übernahm, bekamen wir absolut keine Pitch-Einladungen und niemand interessierte sich für uns. Aber wir haben dann relativ bald wieder größere Kunden gewonnen, die uns dann wieder auf die Bildfläche gebracht haben. Und dann, wenn Sie so wollen, als Phase zwei der Agentur kam es 2019 zur Fusion mit VML und wir wurden zu VMLY&R. Damals wurden wir zu einer Brand Experience-Agentur und das Thema Brand Experience, also wie erlebe ich die Marke, stand seither im Mittelpunkt. Denn Menschen zahlen mittlerweile nicht mehr für den Besitz von Dingen, sondern viel mehr für das Erlebnis.

medianet:
Und nun noch die Phase drei …
Bayer: … in Phase drei wurden wir im Jahr 2022 dann zu Scholz & Friends Wien. Dem vorausgegangen war bereits eine intensive Zusammenarbeit mit Scholz & Friends in Deutschland. Und das Ziel war, auch künftig noch enger zusammenzuarbeiten, weil das mit einem deutschen Pendant auch einfacher geht, quasi als Teil einer Familie. Bei Scholz & Friends spricht man ja auch von der Scholz & Friends Family und das wird tatsächlich so gelebt, es herrscht eine sehr wertschätzende Kultur.

medianet:
Gleichzeitig zur Transformation Ihrer Agentur kam es auch zu erheblichen Veränderungen am Kommunikationsmarkt. Viele neue Kanäle sind hinzugekommen. Hat das aus Ihrer Sicht dazu beigetragen, dass es eine Verunsicherung bei Unternehmen gibt?
Bayer: Absolut. Zum einen wird in der Branche viel Bullshit-Bingo betrieben und viele Werbe- und Marketingleute verstecken sich hinter irgendwelchen Worthülsen. Und die vielen Kanäle führen zudem zu einer immer größeren Überforderung. Und das zeigt auch wieder, wie wichtig es ist, die Marke klar herauszuarbeiten. Denn wenn ich weiß, was meine Marke will und kann und welche Geschichte sie erzählen soll, dann kann ich das auf sämtlichen Kommunikationswegen tun. Andernfalls werden Marken banal und ziehen sich auf Ebenen zurück, auf denen sie nichts falsch machen können, aber auch nichts erreichen werden.

medianet:
Scholz & Friends geht da aber eben einen anderen Weg.
Bayer: Genau. Wir haben den Anspruch, es anders zu machen, und Markenarbeit ist ein stetiger Prozess. Ich vergleiche das gerne mit dem Schlosspark Schönbrunn: Wenn man die Bäume dort einfach wachsen ließe, dann würde kein Mensch ihn mehr als Schlossgarten sehen, sondern würde er zum Dschungel. Man muss also man ständig trimmen und wild Wachsendes zurückschneiden. Und Markenarbeit ist wie die Pflege dieses Schlossgartens. Auch in der Marke muss man dauernd zurückschneiden, eine klare Linie behalten und sicherstellen, dass das, was da sein soll, sichtbar ist. Ich sage deswegen auch oft: Wir sind im Verdichtungsbusiness.

medianet:
Aus dem Sie, zumindest was Scholz & Friends Wien betrifft, aussteigen. Warum gerade jetzt?
Bayer: Ich finde, es gibt immer einen Punkt, an dem man sich fragen muss: Wie viele Impulse kann ich noch einbringen und auch wie ist die Perspektive. Und manchmal braucht es eben auch einfach einen Perspektivenwechsel, um neue Energie freizusetzen.

medianet:
Und wohin wird die Reise jetzt gehen?
Bayer: Das habe ich noch nicht entschieden. Es kommen viele unterschiedliche Angebote zu mir und ich führe viele Gespräche. Es wird für mich auch nicht zwangsläufig wieder die Werbebranche sein. Am Ende wird es dann wahrscheinlich eine Bauchentscheidung werden. Es würde mich eigentlich auch reizen, etwas Eigenes anzugehen. Aber das wird man alles sehen. Als erstes werde ich einmal den Sommer genießen und Urlaub machen.

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