••• Von Dinko Fejzuli
Paukenschlag in der österreichischen Agenturlandschaft: Eine der größten Agentur-Gruppen des Landes, Reichl und Partner, verlässt die IAA Pitch Charta, eine Art Selbstverpflichtung österreichischer Agenturen, die festlegt, unter welchen Bedingungen heimische Agenturen an Pitches teilnehmen sollen. So lautet etwa eine Regelung, dass man, falls kein Pitch-Honorar gezahlt wird, gar nicht erst am Prozess teilnehmen solle.
medianet bat Gründer und Agenturchef Rainer Reichl zu den Hintergründen des Austritts zum Gespräch.
medianet: Herr Reichl, Sie haben sich vor wenigen Tagen entschlossen, die Unterstützungserklärung für die IAA-Pitch Charta zu kündigen. Was waren die Beweggründe hinter diesem Schritt?
Rainer Reichl: Ein wesentlicher Grund war, dass uns die Charta in ihrer jetzigen Form von vielen Pitches ausschließt, während deutsche Schwesteragenturen österreichischer Netzwerkagenturen problemlos teilnehmen können. Das führt zu einem klaren Wettbewerbsnachteil für österreichische Agenturen, die sich an die Charta halten. Natürlich könnten wir die Charta umgehen, indem wir über unsere deutsche Agentur an den Pitches teilnehmen, aber das widerspricht unseren Prinzipien. Wir stehen zu unseren Unterschriften und finden die Grundideen der Charta weiterhin sinnvoll. Doch es fehlt eine Weiterentwicklung, die auf aktuelle Herausforderungen eingeht, etwa den zunehmenden Druck durch deutsche Agenturen, die aufgrund der wirtschaftlichen Lage vermehrt in den österreichischen Markt drängen, oft über Gratis-Pitches. Das bedroht auch uns als Agentur mit 170 Mitarbeitern, die seit 36 Jahren in Österreich tätig ist.
medianet: Einer Ihrer Kritikpunkte ist, dass Sie sagen, man darf den Agenturen nicht hineinreden, wie sie ihr Geschäft führen. Die Pitch Charta soll jedoch sicherstellen, dass auch kleinere Agenturen eine faire Chance haben, da sie sich oft keine kostenlosen Pitches leisten können. Können Sie diesem Argument etwas abgewinnen?
Reichl: Nein, eigentlich überhaupt nicht. Auch kleine Agenturen pitchen kostenlos, um an Kunden zu kommen. Vor 36 Jahren waren wir selbst eine kleine Agentur und haben für große Kunden gratis gepitcht, weil wir keine andere Möglichkeit hatten, um ins Geschäft zu kommen. Als wir uns etabliert hatten, beschlossen wir, keine Gratis-Pitches mehr zu machen, und das halten wir bis heute so. Für kleine Agenturen ist das eine Chance, sich zu beweisen, aber ich lasse mir nicht vorschreiben, ob ich in einen Pitch investiere oder nicht. Jede Agentur sollte das selbst entscheiden dürfen.
medianet: Welche wirtschaftliche Bedeutung haben Pitch- Honorare für Sie? Diese decken ja ohnedies nie den echten Aufwand für einen Pitch ab.
Reichl: Ein Pitch-Honorar ist im Grunde ein Honorar, das die Kosten niemals abdecken kann. Ein Pitch kostet zwischen 20.000 und 100.000 Euro, ein großer Kreativ-Pitch kann sogar darüber liegen. Und wir verfolgen hier generell eine andere Strategie, denn wir nehmen von den Abstandshonoraren nichts für die Agentur, sondern das ganze Geld geht hier als Spende an unsere gemeinnützige Privatstiftung ‚Stones for Life', die sich in der Krebsforschung betätigt.
medianet: Sie führen auch an, dass die Pitch Charta zu wenig auf die individuellen Interessen der Agenturen Rücksicht nimmt. Können Sie das konkretisieren?
Reichl: Das Wettbewerbsumfeld hat sich geändert, vor allem durch das verstärkte Eindringen deutscher Agenturen in den österreichischen Markt. Als Geschäftsführer einer führenden österreichischen Agentur möchte ich selbst entscheiden, ob ich bereit bin, für einen Kunden in Vorleistung zu gehen oder nicht. Grundsätzlich machen wir keine Gratis- oder Massenpitches mit zehn Agenturen, aber es sollte unsere eigene Entscheidung sein, ob wir z.B. beim kostenlosen Pitch der Österreichischen Ärztekammer teilnehmen. Wenn das Thema für uns wichtig ist, dann sind wir dabei. Wir wollen uns diese Entscheidung nicht von einem Verein vorschreiben lassen.
medianet: Sehen Sie in diesen Entwicklungen generell einen Wettbewerbsnachteil für österreichische Agenturen?
Reichl: Absolut. Die IAA Austria sollte die Interessen der heimischen Agenturen vertreten. Natürlich leben wir in einer globalisierten Welt, aber die IAA Austria muss sich stärker um die Anliegen der österreichischen Agenturen kümmern. Wir spüren den Wettbewerbsdruck besonders durch deutsche Agenturen, die oft nicht mit den regionalen Besonderheiten vertraut sind, aber hier Kunden akquirieren. Diese Entwicklung sehen wir vor allem seit der wirtschaftlichen Schwäche in Deutschland verstärkt.
medianet: Wie lange verspüren Sie diese Problematik bereits? Hat sich die Situation in letzter Zeit verschärft?
Reichl: Das Problem ist nicht neu, aber es hat sich in den letzten Jahren deutlich verschärft, vor allem durch die wirtschaftlichen Schwierigkeiten in Deutschland. Deutsche Agenturen drängen verstärkt in den österreichischen Markt, insbesondere in Westösterreich. Sie sind oft bereit, zu Bedingungen zu pitchen, die für österreichische Agenturen nicht tragbar sind. Wir haben versucht, dieses Problem innerhalb der IAA zu thematisieren, aber die Rückmeldungen waren unbefriedigend.
medianet: Wie sah die Reaktion seitens der IAA aus?
Reich: Wir haben anlässlich des Douglas-Pitches bereits Anfang August die Problematik, dass ausländische Schwesteragenturen heimischer Niederlassungen hier mitpitchen, thematisiert – und da wurde uns mitgeteilt, dass dies eine Ausnahme sei und eben diese Agenturen nicht von der Pitch Charta betroffen seien, auch wenn deren österreichische Agenturen die Charta unterschrieben hätten. Seitdem haben wir von der IAA nichts mehr gehört und das ist für mich auch ein bisschen unbefriedigend gewesen. Daraufhin haben wir gesagt, wir müssen uns jetzt sofort befreien. Wir müssen schauen, dass wir vorne dabei bleiben.
medianet: Erwarten Sie sich auch Zustimmung von etwa kleineren Agenturen für Ihren Austritt?
Reichl: Ja, vor allem von kleineren und jüngeren Agenturen. Viele von ihnen fühlen sich in einer ähnlichen Situation wie wir und trauen sich nicht, das Thema öffentlich anzusprechen. Größere, etablierte Agenturen werden wohl weniger positiv reagieren, da sie in der Regel bereits eine starke Marktposition haben und oft international organisiert sind.
medianet: Sie haben auch einen Qualitätsunterschied zwischen deutschen und österreichischen Agenturen in der Arbeit mit heimischen Kunden angeführt. Was genau meinen Sie damit?
Reichl: Der entscheidende Unterschied liegt in der Nähe zum Markt und in der Verfügbarkeit von Marktforschungsdaten. Deutsche Agenturen, die für den österreichischen Markt planen, kennen oft die regionalen Besonderheiten nicht. Wir haben deutsche Kunden, die uns explizit wegen unserer Marktkenntnis für ihre Kampagnen in Österreich engagieren. Das zeigt, dass regionale Expertise einen Unterschied macht.
medianet: Was müsste sich aus Ihrer Sicht an der Charta ändern, damit Sie wieder beitreten würden?
Reichl: Die Charta müsste international ausgerollt werden. Solange internationale Agenturen, wie z.B. deutsche, von den Regelungen ausgenommen sind, macht sie für uns keinen Sinn. Zudem glaube ich nicht, dass man im 21. Jahrhundert einer Agentur vorschreiben kann, wie sie ihr Geschäft anbahnt. Das Verbot von Gratis-Pitches müsste überdacht werden, aber abgesehen davon stimmen wir der Charta im Wesentlichen zu.
medianet: Frage zum Schluss – wie würden Sie die derzeitige wirtschaftliche Lage in Österreich beschreiben in Bezug auf den heimischen Kommunikationsmarkt?
Reichl: Es gibt zwei Arten von Unternehmen: Die einen leiden unter den aktuellen Bedingungen, während die anderen sagen: ‚Jetzt erst recht' und neue Geschäftsmodelle und Zugänge entwickeln. Diese Unternehmen sind ideale Kunden für uns, da sie langfristig denken und ihre Etats nicht in großen Pitches vergeben, sondern strategische Partnerschaften suchen.