Die Vermessung der Geldentwertung
MARKETING & MEDIA Redaktion 19.08.2022

Die Vermessung der Geldentwertung

Eine wirksame Antiteuerungsstrategie könnte schwieriger zu finden sein als der Stein der Weisen.

Leitartikel ••• Von Sabine Bretschneider

 

ANDERS. „Die Inflation im Euroraum steigt, in Österreich noch mehr. Das ist noch kein Grund zur Panik.” Das stand Anfang Juni 2021 – die Teuerungsrate lag bei 2,8 Prozent –, unterfüttert von Hoffnung und Optimismus, genau an dieser Stelle. Eine Fehleinschätzung, die zu diesem Zeitpunkt die Währungshüter in Frankfurt ebenso wie jene in Wien teilten und kundtaten. Die Teuerung werde „vorübergehend” sein. Nun, es kam anders.

Die Verbraucherpreise kletterten im Juli 2022 binnen Jahresfrist um 8,9 Prozent, wie Eurostat am Donnerstag bekannt gab. Das ist der höchste Wert seit der Einführung des Euro. In Österreich lag die Inflation im Juli mit 9,3 Prozent so hoch wie seit 1975 nicht mehr. Um eine historische Relation herzustellen: Das Jahr 1975 markierte das Ende des Vietnamkriegs. In Österreich wurde die Fristenlösung eingeführt – und die SPÖ wurde unter Bruno Kreisky stimmenstärkste Partei.
Auch die Europäische Zentralbank hat ihren Laissez-faire-Stil inzwischen abgelegt. Die Inflationsaussichten hätten sich seit der Juli-Sitzung nicht verbessert, erklärte Notenbank-Direktorin Isabel Schnabel in einem am Donnerstag veröffentlichten Reuters-Gespräch. Die deutsche Ökonomin ist in der EZB-Führungsetage für die konkrete Umsetzung der Geldpolitik zuständig. Die Teuerung ist inzwischen mehr als viermal so hoch wie der angestrebte Zielwert von zwei Prozent. Schnabel ging auch auf die Gefahr ein, dass mit der galoppierenden Inflation im Währungsgebiet die langfristigen Inflationserwartungen aus dem Ruder laufen könnten – eine „Entankerung” der Inflationserwartungen.
„Entankerung” bedeutet, Euphemismen beiseite, dass die EZB ihre Geldmarktpolitik als gescheitert betrachten muss. In den europäischen Verträgen ist übrigens die Preisstabilität als vorrangiges Ziel der Zentralbank verankert. Die nächste EZB-Sitzung ist für den 8. September anberaumt. Allzu große Hoffnungen sollte man sich nicht machen.

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