Leitartikel ••• Von Sabine Bretschneider
SPEED KILLS. Heuer sind einige EU-Regulierungsprojekte fällig, viele davon im IT-Bereich. Im Frühjahr 2024 steht die nächste Europawahl an; bis dahin sollen die in der Agenda „Priorities 2019 – 2024 – A Europe fit for the digital age” gesetzten Vorhaben abgehakt sein. Den Ehrgeiz, der dieser Zielsetzung innewohnt, spürt man allein schon in der Annahme, Projekte wie den Digital Markets oder den Artificial Intelligence (AI) Act in Fünfjahresplänen erfassen zu können. Fünf Jahre im Digitalzeitalter sind, veränderungstempoadaptiert, vergleichbar mit der Zeitspanne zwischen Faustkeil und Federkiel.
Für den AI Act, einen Rechtsrahmen zum Einsatz Künstlicher Intelligenz, wurden in den vergangenen beiden Jahren über 3.000 Änderungsvorschläge im EU-Parlament eingereicht. In Asien und den USA wird währenddessen fieberhaft investiert, entwickelt, vermarktet. Europa reguliert. Bis der geplante Konsumentenschutz auf die nächste Generation großer Online-Konzerne ausgedehnt werden kann, steht die dritte digitale Revolution vor der Tür. Der derart beschützte Konsument verklagt den heimischen Kleinunternehmer wegen unerlaubt zugeschickter Werbemails – und erlaubt der mikrofongesteuerten Fernbedienung seines smarten Ultra-HD-Geräts, die Wohnzimmergespräche nach Südkorea zu übertragen.
Die gute Nachricht wäre, dass Datenschutz und Digitalisierung einander nicht von vornherein ausschließen, sondern dieses Spannungsfeld in vielen Bereichen durch moderne Sicherheitsarchitekturen aufgelöst werden könnte. Eine Alternative wäre auch die Entwicklung europäischer Konkurrenztechnologien. Das wahrscheinlichste Ergebnis jedoch wird auch bei der KI-Zähmung so aussehen wie beim Einwilligen vor dem Setzen von Cookies: Beinahe davon in den Wahnsinn getrieben, dass jede Website unablässig nach Erlaubnis (mit Wahlmöglichkeit a, b, c) fragt, keimt der Wunsch auf, irgendjemand möge eine globale Generalgenehmigung vorlegen. Und man schließt den Pakt mit dem Teufel ein für allemal. Fit for the digital age.