Gezielter Wurf der Nebelgranate
MARKETING & MEDIA Redaktion 24.01.2020

Gezielter Wurf der Nebelgranate

Wenn die Kopftuchdebatte lang genug anhält, könnte dies die politische Stabilität befördern.

Leitartikel ••• Von Sabine Bretschneider

RÜCKSCHAU. Eine Geschichte von vor 30 Jahren: Im Jänner 1990 riefen Frauenverbände in der Türkei zu einem Streik auf. Grund dafür war die Entscheidung des Obersten Erziehungsrats, das seit 1937 für Schulen geltende Verbot islamischer Kleidung aufzuheben und diese Regelung den Lehranstalten selbst zu überlassen. Dies passierte unter massivem Druck der konservativ-fundamentalistischen Regierung. Einige der renommiertesten Hochschulen des Landes, Mitglieder der Türkischen Frauenvereinigung und des Bundes türkischer Akademikerinnen forderten vehement die Beibehaltung des Verbots. „Wir werden nicht ruhig bleiben. Bis jetzt sind wir nicht auf die Straße gegangen, aber wenn die Regierung uns weiter provoziert, werden wir es tun”, wurde die damalige Präsidentin des Akademikerinnenbundes, ­Birten Gökyay, zitiert. 2008 wurde das Verbot für Studentinnen aufgehoben – auf Betreiben der islamisch-konservativen AKP.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte einige Jahre zuvor das Verbot als vereinbar mit der Europäischen Menschenrechtskonvention angesehen. Die Richter hatten festgestellt, dass das Kopftuch in der Türkei als Symbol einer extremistischen Bewegung eingestuft werde, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und die Gleichheit von Mann und Frau richte. Das Verbot fiel dennoch. Zwei von drei Frauen entschieden sich für das Kopftuch.
Österreich ist nicht die Türkei. Die Rahmen­bedingungen sind nicht einmal bedingt vergleichbar, und manche Diskussionen zum Thema sind Spiegelfechterei. Selbstbewusste Mädchen kann man nicht basteln, indem man ihnen eine Kopfbedeckung abnimmt – oder aufsetzt. Ob Integration gelingt, wird sich nicht in den Klassenzimmern entscheiden. Und: Es wird hierzulande keine sinnstiftenden Diskussionen zu Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik mehr geben, wenn weiterhin jede Nebelgranate apportiert wird. Das Kopftuch als Ablenkungsmanöver funktioniert – so eine kurze APA-Recherche – in Österreich seit 15 Jahren ausgezeichnet.

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