Leitartikel ••• Von Sabine Bretschneider
INHALTSLEER. Der Print & Publishing-Löwe in Cannes geht an eine „leere” Zeitung – genauer: an Impact BBDO aus Dubai für „The Blank Edition”, eine komplett ohne Inhalt gedruckte Auflage der arabischen Tageszeitung An-Nahar, mit der diese gegen die politische Lage im Libanon protestiert. Neu ist diese Idee nicht: Am 3. Mai 2010 etwa erschienen Die Welt und Welt Kompakt zum Internationalen Tag der Pressefreiheit mit leeren Titelseiten und einer kleinen Anzeige von „Reporter ohne Grenzen”. Im Dezember 2013 versuchte sich die Kleine Zeitung am Weißraum; Anlass der Aktion waren die seit den Nationalratswahlen Ende September jenen Jahres vor sich hin stockenden Koalitionsgespräche zwischen SPÖ und ÖVP.
Drei Jahre davor, im Dezember 2010, griffen drei ungarische Blätter – Népszava, Elet es irodalom und Magyar Narancs – mittels Leere am Cover plakativ zur Selbstzensur. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Presse in Ungarn, so wie in europäischen Ländern Usus, lediglich an das Strafrecht gebunden. Dann kam Orbans Fidesz an die Macht. Zuerst wurden die öffentlichen TV- und Radiosender sowie die staatliche Nachrichtenagentur auf Linie gebracht. Dann griffen Orbans Günstlinge am privaten Mediensektor zu. Eine neue Medienaufsichtsbehörde sorgte für Recht und Ordnung – oder, wie Fidesz-Proponenten es bezeichneten, für ein „gesundes Gleichgewicht zwischen der Freiheit der Medien und den Interessen der Öffentlichkeit”. Im schon legendären „Ibiza-Video” war Ähnliches zu hören; widerspenstige Medien sind auch der FPÖ seit Jahr und Tag ein Dorn im Auge. Wegen des „gesunden Gleichgewichts”.
Eine Frage, die sich stellt: Sind leere Titelseiten noch ein sinnhaftes Stilmittel und Zeichen des Protests, wenn jene, die sich mit einer Welt ohne Pressefreiheit auseinandersetzen sollten, ihre Weisheit vorrangig in den Filterblasen der Sozialen Medien tanken? Und was ist das Pendant zur leeren Titelseite in einem Medium wie Facebook? Ein Post in der Maximallänge von 60.000 Zeichen? Zum Trotz?