Kontrollverlust
MARKETING & MEDIA 02.10.2015

Kontrollverlust

Heute kann jeder dank des Web 2.0 publizieren – und viele tun es. Die wenigsten übernehmen aber die damit verbundene Verantwortung.

Kommentar ••• Von Dinko Fejzuli


SCHLEUSENWÄRTER. Wer auf Wikipedia nach dem Begriff „Gatekeeper” (deutsch: Torwächter oder Schleusenwärter) sucht, bekommt folgende Definition: „Als Gatekeeper bezeichnet man in den Sozialwissenschaften metaphorisch einen (meist personellen) Einflussfaktor, der eine wichtige Position bei einem Entscheidungsfindungsprozess einnimmt.”

Im Journalismus ist damit unsere ureigenste Funktion gemeint: Informationen sammeln, selektieren, bewerten, überprüfen – wenn geht über mehrere Quellen – und veröffenltichen.
In den guten alten Zeiten Funk, TV und Print waren wir noch in der Lage, diese Verantwortung auch einigermaßen zu übernehmen. Heute, mit dem Aufkommen des Internets, insbesondere dessen kollaborativer Anwendungen wie Blogs, Online-Foren und -Netzwerken, wird die Gatekeeper-Funktion der Massenmedien jedoch in ihrer Wirkung zunehmend außer Kraft gesetzt.

Die unkontrollierte Veröffentlichung

Klingt weniger dramatisch, als es in Wirklichkeit ist. Denn: Nicht nur, dass die Stellung der Journalistinnen und Journalisten sozusagen untergraben wird, passiert daneben etwas viel Schlimmeres.

Jeder, der über einen Internetanschluss und einen Computer verfügt, kann sich heutzutage publizistisch betätigen.
Dabei entsteht aber ein Problem, welches Jörg Sadrozinski, Leiter und Geschäftsführer der Deutschen Journalistenschule in München, auf den Punkt bringt, wenn er meint: „Nachrichten und Informationen finden Leser, Nutzer, Hörer oder Zuschauer heutzutage zuhauf. Aber finden die Medienkonsumenten auch verlässliche, gut recherchierte und relevante Nachrichten und Informationen?”
Meine These: Das tun tun sie natürlich nicht. Und noch schlimmer: Durch neue Kommunikationsplattformen wie Facebook, Twitter & Co, auf denen minütlich unüberprüft Tausende Posts veröffentlicht werden, eignen sich auch wunderbar dazu, gezielt mit falschen Informationen ganz leicht Stimmung für oder gegen etwas zu machen.
Und wie sollte es anders sein, nutzt vor allem eine österreichische Partei das Web 2.0, um mit gezielt falschen Informationen Stimmung gegen Flüchtlinge zu machen.
Da werden gern Postings „besorgter Bürger” über Massenüberfälle auf heimische Supermärkte im eigenen Politiker-Facebook-Profil geteilt, und erst nach öffentlichen Dementis der betroffenen Unternehmen, dass die behaupteten Vorfälle nie stattgefunden haben, kommentarlos wieder entfernt. Die gewünschte Wirkung haben die Postings da aber schon längst erreicht. Nachzulesen in den Kommentaren darunter.
Eine Umkehr dieser Entwicklung, bei der mit Falschmeldungen gezielt Politik gemacht wird, ist nicht zu verhindern. Um so wichtige ist es, als Journalist seiner Verantwortung noch gerechter zu werden – auch via Web 2.0.
Dazu noch ein Zitat von Jörg Sadrozinski: „Journalisten müssen die immer komplexer und komplizierter werdende Welt erklären, Zusammenhänge erläutern und Hintergründe aufzeigen. Darin, und in der Nutzung neuer Möglichkeiten, die vor allem das Internet bietet, liegt die Zukunft des Qualitätsjournalismus.”

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