„Perfection sucks”
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MARKETING & MEDIA Redaktion 25.10.2019

„Perfection sucks”

Bruno Bertelli, Chief Creative Officer von Publicis Worldwide, plädiert vor Kreativen für die Kraft des Unkonventionellen.

••• Von Laura Schott

BUKAREST. Mit 81 Cannes Lions, einem Grand Clio und einem Grand Prix bei den NYF Advertising Awards – um nur die bedeutendsten seiner Preise zu nennen – ist Bruno Bertelli der meistausgezeichnete Kreative Italiens.

Seit 2011 für Publicis tätig, spielte er dort eine maßgebende Rolle beim Gewinn des weltweiten Heineken-Etats, was ihm zunächst die Position des CEO Publicis Italy – die er immer noch bekleidet – und bald darauf des ECD of Publicis Worldwide Western Europe bescherte. 2016 wurde Bertelli schließlich zum Chief Creative Officer von Publicis Worldwide ernannt und ist seitdem für kontinuierliche kreative Standards des Publicis- Netzwerks verantwortlich.
Letzte Woche war Bertelli zu Gast in Bukarest, um bei der IAA Global Conference darüber zu sprechen, warum Kreative manchmal Regeln brechen sollten und Daten öfter infrage gestellt werden müssen. medianet traf Bertelli, der seine Karriere als Copywriter in New York begonnen hat, im Anschluss zum Gespräch.


medianet:
In Ihrer Keynote haben Sie gesagt, dass sich kreative Arbeiten heute zu sehr ähneln. Dass Kreative zu wenig Zeit hätten und daher ‚better safe than sorry' gehen und Dinge kreieren, von denen sie wissen, dass sie funktionieren – weil sie bei den anderen auch funktioniert haben. Sind auch Awards wie etwa die Cannes Lions daran schuld, indem oft sehr ähnliche Kampagnen prämiert werden?
Bruno Bertelli: Das Problem mit den Awardshows ist, dass immer nur die richtigen Dinge prämiert werden und nicht die, die anders sind. Kreative sehen dann, welche Arbeiten erfolgreich sind, und versuchen, diese nachzuahmen. Es ist ein Teufelskreis. Mit ‚anders' meine ich aber nicht, dass man unbedingt die Regeln brechen oder so sein muss wie Diesel. ‚Anders' heißt, als Marke seine Positionierung zu finden und seiner Marken-DNA treu zu bleiben.

Wir sind heute sehr fokussiert darauf, den Konsumenten in den Mittelpunkt zu stellen. Das ist auch richtig. Deshalb nutzen wir Daten, erstellen Customer Journeys, arbeiten mit Medien zusammen – um den Konsumenten am Ende des Tages besser zu verstehen. Aber manchmal vergessen wir dabei die Marke und wofür sie steht. Deshalb fordere ich von Kreativen immer und immer wieder, out of the box zu denken und vor allem, dabei bei der Marke zu beginnen. Außerdem glaube ich, dass dieser Trend des ‚Purpose Manifesto' vorüber ist. Es reicht heute nicht mehr, als Marke über etwas zu sprechen, man muss es schon auch machen. Wenn du eine gute Sache angehen willst – fantastisch. Aber mach es auch. Stop talking, start acting.


medianet:
Sie haben die diesjährigen Superbowl-Spots als zu datenfokussiert kritisiert – auf Kosten der kreativen Idee hinter den Kampagnen. Empfinden Sie Data als Konkurrenten zur Kreativarbeit? Oder gehen Unternehmen und Werbetreibende einfach noch nicht richtig mit dem Thema um?
Bertelli: Data ist nur ein Tool. Es ist wie Photoshop. Etwas, das wir nutzen können, um unsere Message zu erweitern. Das Problem ist also nicht Data, sondern die Art und Weise, wie wir sie nutzen. Auch hier gehen wir immer noch lieber den sicheren Weg und nutzen Data nur, um bestehende Zielgruppen zu optimieren, und nicht, um neue Zielgruppen zu erschaffen – was das eigentliche Ziel von Marketing ist.

Wenn wir zum Beispiel eine Customer Journey erstellen, dann sprechen wir immer nur jene Konsumenten an, die der Marke bereits sehr nahe stehen. Wir versuchen nie, die Menschen zu verstehen, die nichts mit der Marke zu tun haben wollen. Das ist aber genau die Richtung, in die wir in Zukunft gehen sollten.


medianet:
Gibt es hier schon ein Umdenken?
Bertelli: Ich glaube, das wird sehr bald passieren. vor 50 Jahren war die große Revolution, dass Copywriter und Art Directors auf einmal zusammengearbeitet haben. Heute geht es darum, dass die Verantwortlichen aus Media, Kommunikation und Strategie einen gemeinsamen Nenner finden. Und das ist teilweise schon der Fall.

medianet: Wurde deshalb Ihre Stelle des Chief Creative Officer von Publicis Worldwide neu geschaffen, als Sie diese 2016 angetreten haben?
Bertelli: Das ist ein wichtiges Thema. Ich teile Kreative in zwei Typen ein: die strategischen, die die Marke verstehen und ihr die Richtung vorgeben, und die, die direkt mit den Medien arbeiten. Die sogenannte große Idee ist eigentlich ein großes Problem – denn ohne Medien ist sie nichts wert. Viel zu lange haben wir große Ideen an Kunden verkauft. Die sind am Papier fantastisch, bringen aber nichts, wenn sie in den spezifischen Medien nicht umsetzbar sind. Ich versuche heute, Leute einzustellen, die ihre Fähigkeiten in den einzelnen Medien umsetzen können, wie etwa den besten Copywriter für Postings oder den besten Creator für Instagram.

medianet:
Sie haben einmal gesagt, dass die Kreativbranche in der Wirtschaft unterschätzt wird.
Bertelli: Du musst deine Nische finden. Wenn deine Rolle als Kreativer zu generisch ist, dann wirst du natürlich an einem gewissen Punkt nicht mehr relevant sein. Wenn hingegen die Rolle der Kreativität in der Strategie und weiterführend auch in der Nutzung der einzelnen Medien relevanter wird, dann werden auch wir als Branche wieder relevanter sein.

Ein weiterer Punkt ist, dass wir heute immer und immer wieder beweisen müssen, dass Kreativität wirkt – und das ist ein großes Problem. Viele Marketer glauben, ihre Probleme mit Daten lösen zu können. Also mit Analyse anstelle von Kreativität.


medianet:
Rory Sutherland hat in seiner Keynote gesagt, dass Unternehmen Marketing oft als ‚necessary evil' sehen. Ist das tatsächlich das vorherrschende Mindset?
Bertelli: Ich würde das nicht sagen. Marketing versucht heute, Probleme kurzfristig zu lösen anstatt langfristig. Wir haben Strategien, die sechs Monate vorausdenken und nicht fünf Jahre, so wie das früher der Fall war. Und das ist ein Problem. Ein Grund dafür ist, dass unsere Karrieren in viel kürzere Abschnitte geteilt sind als früher. Jemand, der im Marketing tätig ist, bleibt heute durchschnittlich zwei Jahre in einer Position – früher waren es zehn. Und braucht deshalb in sehr kurzer Zeit Ergebnisse. Deshalb machen auch alle immer nur das richtige und nicht das kontroverse.

medianet:
Was raten Sie jungen Menschen, die eine Karriere in der Kreativbranche einschlagen wollen?
Bertelli: Sich zu spezialisieren. Nicht generisch zu bleiben, sondern der beste Kreative in einem bestimmten Asset, in einem bestimmten Medium. Dann wirst du eine Zukunft haben.

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