Sozialer Ankerpunkt in schwierigen Zeiten
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MARKETING & MEDIA Redaktion 02.05.2025

Sozialer Ankerpunkt in schwierigen Zeiten

Studie „The New Life of the Living Room” (IP Österreich) zeigt: Hierzulande mag man lineares Fernsehen mehr.

••• Von Dinko Fejzuli

Österreich war 2024 erstmals Teil der internationalen Studie „The New Life of the Living Room”. Christian Sattler, Head of Research IP Österreich, gibt im Gespräch mit medianet Einblicke in die zentralen Erkenntnisse, erklärt, warum lineares Fernsehen trotz Streaming-Zeitalter stark bleibt, und zeigt auf, was Marken über Medienvertrauen und Werbewirkung wissen sollten.


medianet:
Herr Sattler, was sind die zentralen Ergebnisse der Studie für Österreich, die Auffälligkeiten im Vergleich zu anderen Märkten aufweisen?
Christian Sattler: Es freut uns, dass wir dieses Jahr das erste Mal in der Erhebung der ‚New Life of the Living Room'-Studie dabei sind – als eines von 14 europäischen Ländern und den USA. Wir sehen natürlich Unterschiede in den verschiedenen Märkten. Die Ergebnisse sind in Österreich im Großen und Ganzen aber den anderen europäischen Ländern ähnlich, wenn auch in diversen Bereichen weniger stark ausgeprägt.

Österreich zeigt beispielsweise eine stabile Mediennutzung. Die Österreicherinnen und Österreicher sind besonders kritisch im Hinblick auf Markenvertrauen auf Social Media – allen voran TikTok – während TV und andere klassische Medien hohes Vertrauen genießen.
Außerdem stören sich österreichische Konsumenten besonders an YouTube-Werbung. Diese Tendenz ist stärker als in den anderen Ländern. Der Fernseher bildet die zentrale Plattform für Videocontent, und hierzulande wird vor allem Wert auf qualitative, relevante und sorgfältig aufbereitete Inhalte gelegt.


medianet: Ein zentrales Ergebnis der Studie generell ist, dass lineares TV weiterhin ein starker Anker bleibt. Wie erklären Sie sich diese anhaltende Relevanz – gerade im Vergleich zu anderen europäischen Ländern?
Sattler: Tatsächlich beobachten wir in Österreich eine anhaltende Stärke und Konstanz beim Konsum von linearem TV. Dies hat mehrere Gründe. Eine zentrale Rolle spielt natürlich die soziale Komponente: Egal, ob für Spielfilme, Nachrichten oder Events – TV bringt Familie und Freunde vor dem Bildschirm zusammen, und schafft so einen regelmäßigen sozialen Ankerpunkt im Leben der Menschen. Gerade in Zeiten der Unsicherheit, Fake News und Informationsflut genießen klassische Medien ein hohes Maß an Vertrauen. Österreich verfügt über eine lange gewachsene Fernsehkultur.

Die Konsumenten sind dem linearen TV stärker verbunden, als andere europäische Märkte, und schätzen TV als vertrauenswürdige Informationsquelle. Dies ist u.a. auf die Qualität der Inhalte zurückzuführen. In den letzten Jahren haben wir in anderen Quellen beobachtet, dass die TV-Nutzung in Österreich weniger zurückgeht als in anderen Märkten. Dieses Jahr sehen wir sogar, dass der Fernsehkonsum in den jungen Zielgruppen (12-29 Jahre) sogar steigt, was auf zunehmende On-Demand und Livestream-Nutzung zurückzuführen ist.


medianet:
TV und Smartphone liegen gleichauf in der Videonutzung. Welche Unterschiede sehen Sie im Nutzungsverhalten zwischen diesen beiden Geräten?
Sattler: TV und Smartphone werden zwar von der Mehrheit der Menschen täglich für den Videokonsum genutzt, bedienen allerdings unterschiedliche Bedürfnisse. Kurzinhalte werden bevorzugt flexibel am Smartphone konsumiert, während hochwertiger, long-form Content weiterhin die Bastion von TV bleibt. Dabei spielt auch das gemeinsame Seherlebnis im Wohnzimmer eine Rolle: Nachrichten, Sport, Entertainment und Live-Events werden bevorzugt am Big Screen gesehen. Das Smartphone wird dagegen für individuelle Themen, On-Demand und Social Media-Inhalte genutzt.

medianet:
Streaming ist fest im Alltag verankert – mit durchschnittlich zwei Abos pro Haushalt. Gab es Überraschungen in Bezug auf die beliebtesten Plattformen oder Inhalte?
Sattler: Streaming ist längst fixer Bestandteil der Medienlandschaft geworden, in der Regel verfügen die meisten Haushalte über zwei Streaming-Abos. Bemerkenswert ist, dass neben den dominanten US-Playern wie Netflix und Amazon Prime auch vermehrt deutschsprachige Angebote wie RTL+ und ORF On stark nachgefragt werden. Wir sind davon überzeugt, dass dieser Trend in Zukunft weiter anhält und sogar noch zunehmen wird.

medianet:
Wie stabil ist das Budget für Streamingdienste in Österreich wirklich – und gibt es Anzeichen für sogenannte ‚Subscription Fatigue'?
Sattler: Das Budget der Österreicher für Streamingdienste ist im internationalen Vergleich relativ stabil. Hierzulande ist die Tendenz, Abos nur für einen bestimmten Content abzuschließen und danach gleich wieder zu kündigen, weniger ausgeprägt. Dennoch beobachten wir erste Sättigungstendenzen in vielen Zielgruppen, nicht zuletzt aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Lage. Daher hinterfragen einige Nutzer ihre Abos, und sind bereit, in nächster Zeit ein bestehendes Abo zu kündigen, oder auf eine günstigere Variante umzusteigen. Insgesamt bleibt die Zahlungsbereitschaft für Premium Content aufrecht, Preis-Leistungs-Überlegungen und steigende Konkurrenz prägen jedoch diesen Sektor zunehmend.

medianet:
Ein spannender Punkt ist das Vertrauen in Werbung: TV-Werbung wird als deutlich vertrauenswürdiger empfunden als Werbung auf Social Media. Was sind die Gründe dafür – kulturell, inhaltlich oder technisch?
Sattler: TV bietet seit jeher ein sogenanntes ‚brand-safes' Umfeld – und das wissen die Zuseher ganz genau. Wir sehen in allen Märkten TV als vertrauenswürdiges Medium. Die Zuseher haben gelernt, dass es dort sichere, qualitativ hochwertige Inhalte gibt. Dieses Vertrauen überträgt sich auch auf die Werbung: TV-Spots sind seriöser und hochwertiger. Abgesehen von der Produktionsqualität der Spots fallen natürlich auch die strengen gesetzlichen Rahmenbedingungen ins Gewicht, beispielsweise bei Kindersendern oder in Bezug auf Produktplatzierungen.

Aus Studien wissen wir Werbung gehört zum TV dazu'. Die meisten Menschen sind damit aufgewachsen und empfinden die Werbung als fest verankerten Bestandteil des Mediums. Bei SVOD-Diensten und Social Media gibt es die Werbung dagegen noch nicht so lange. Im Gegensatz zu TV wirkt Werbung auf Social Media häufig willkürlich, intransparent und teilweise problematisch – nicht zuletzt durch Schlagzeilen über Fake News, Datenschutzbedenken oder intransparente Werbeausspielung, wie wir es bei manchen Online-Plattformen gesehen haben.


medianet:
Im Umkehrschluss: Welche Vorteile bietet dies für klassische TV-Kanäle aber auch deren digitale Verbreitungs-wege?
Sattler: Das hohe Vertrauen in TV-Werbung kommt nicht nur den linearen Kanälen zugute, sondern stärkt auch die digitalen Broadcaster Angebote – etwa Mediatheken, Livestreams und die eigenen BVOD-Plattformen. In einer Zeit, in der Glaubwürdigkeit zunehmend zum entscheidenden Asset wird, bieten diese Angebote Werbekunden einen sicheren, hochwertigen und langfristig verlässlichen Rahmen für Markenbotschaften.

Gerade in einem fragmentierten Medienumfeld ist das ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. Digitale Kanäle agieren als Verstärker, punkten mit Flexibilität und zielgerichteten Ansprachemöglichkeiten, und stärken so auch die Relevanz der Angebote.


medianet:
Sehen Sie in Österreich eine starke Skepsis gegenüber digitalen Werbeformaten? Und wie könnten Werbetreibende dem begegnen?
Sattler: Eine Skepsis gegenüber digitaler Werbung können wir nicht bestätigen. Im Gegenteil: Wir sehen starkes Interesse an digitalen Videoformaten, sei es Online Video oder Addressable TV.

Werbetreibende profitieren davon, auf vertrauenswürdige Umfelder zu setzen, klare Werbebotschaften zu kommunizieren und innovative Formate wie Addressable TV zu nutzen, die sowohl Reichweite als auch präzises Targeting bieten.


medianet:
Was bedeuten die Ergebnisse für Marken, die heute in Österreich werben wollen? Gibt es bestimmte Kanäle, die besonders effektiv sind – oder Kombinationen, die besser wirken als andere?
Sattler: Effektiv sind alle Kanäle mit qualitativ hochwertigem Content. Der Brand Trust ist auf den klassischen Kanälen am höchsten. Was wir allerdings aus Studien sehen, ist, dass die Werbewirkung im TV besonders lange anhält. TV-Spots bleiben im Gedächtnis und erzeugen Langzeiteffekte, die andere Kanäle nur schwer erreichen.

Insgesamt bleibt TV weiterhin der ultimative Reichweitenbooster und Vertrauensanker, während digitale Kanäle gezielte Ergänzungen für spezifische Zielgruppen und Botschaften bieten. Besonders effektiv sind Multichannel-Kampagnen, die die Stärken der einzelnen Gattungen optimal ausspielen und miteinander kombinieren. Das heißt: klassischer Big Reach kombiniert mit digitaler Präzision.


medianet: Frage zum Schluss: Wie sollte ein smarter Mediamix in Österreich heute aussehen, um verschiedene Zielgruppen effektiv zu erreichen?
Sattler: Diese Frage muss zielgruppenindividuell, je nach Kampagnen-Ziel beantwortet werden. Prinzipiell orientiert sich ein smarter Mediamix an den Lebensrealitäten der Menschen . Über den Tagesverlauf hinweg ergeben sich verschiedene Touchpoints, in denen Botschaften wirksam verbreitet werden. Morgens etwa dominiert der Wunsch nach Information – hier punkten TV-Nachrichten und Online-Angebote. Im Laufe des Tages verschieben sich dann die Nutzungssituationen und damit auch die relevanten Kontaktpunkte. Zwischendurch wird am Handy gegamed oder werden kurze Videos gesehen, während TV, BVOD- und SVOD-Angebote in Richtung Abend immer mehr Konsument erreichen. In der Prime Time bis zum Ende des Tages hat TV dann mit Abstand die meisten Seher.

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