„Unser Kerngeschäft hält der Krise stand”
© medianet/Katharina Schiffl
MARKETING & MEDIA Redaktion 08.05.2020

„Unser Kerngeschäft hält der Krise stand”

Herwig Langanger und Rainer Nowak im Interview über ihren Zugang, "Die Presse" durch die Krise zu führen.

••• Von Dinko Fejzuli und Laura Schott

Gewinner einer Krise ist wohl, wer am meisten aus ihr lernen kann – um die nächste Krise besser zu bewältigen. Die krisengebeutelten Jahre nach 2008 waren auch für die Presse keine einfachen, haben ihr aber das nötige Rüstzeug für die Bewältigung der aktuellen Herausforderungen gegeben.

Rainer Nowak, Chefredakteur und Herausgeber der Presse, und Herwig Langanger, Vorsitzender der Geschäftsführung, sprechen im Interview darüber, warum sie gerade jetzt nichts zu verschenken haben, wie es dazu kam, dass die Presse heute ein „kleiner Europameister der Resilienz” ist und über die Absurdität einer Medienförderung, die sich an der Druckreichweite orientiert.


medianet:
Herr Nowak, Herr Langanger, als vor ein paar Wochen klar wurde, dass sich einiges ändern muss, wie ist das bei der Presse abgelaufen?
Herwig Langanger: Wir haben uns bereits intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt, als sich die Situation in Italien zuspitzte. Als die Bundesregierung dann den Lockdown angekündigt hat, war es für uns gut umsetzbar, die Presse-Belegschaft ins Homeoffice zu übersiedeln und auf virtuelle Unternehmensführung umzusteigen.

medianet:
Und wie sieht es mit Änderungen am Produkt an sich aus?
Rainer Nowak: Bei der Presse ist das immer ein bisschen wie in dieser berühmten Apollo-13-Nummer: Wir gehen mit dem, was da ist, gut um und improvisieren. Das ist auch diesmal so gewesen. Wie einige internationale Medien sind wir früh von einem sonst analytischen wieder auf einen stärker nachrichtenorientierten Zugang wie früher umgestiegen. Die Ressortaufteilung wurde aufgelockert, die gesamte Kernredaktion war für das Thema Covid-19 zuständig. Spezialisten wie Köksal Baltaci haben in solchen Ausnahmezuständen Vorrang und geben den Ton an. Das funktioniert bei uns in Krisen immer so. Im Produkt selbst haben wir natürlich bestimmten Ressorts auch dementsprechend mehr Raum gegeben als anderen.

medianet:
Um welche Ressorts handelt es sich hierbei?
Nowak: Die Chronik, die Politikressorts und die Wirtschaft haben mit der aktuellen Berichterstattung ganz klar die Systemrelevanz. Die Sportberichterstattung etwa haben wir leider rasch herunterfahren müssen – täglich zwei Seiten darüber zu schreiben, was alles nicht stattfinden kann, ist den Lesern und den Kollegen nicht wirklich zumutbar.

medianet:
Wie schafft man die Balance zwischen reiner Krisenberichterstattung und Formaten, die neue Blickwinkel, Arbeitsweisen und Chancen in den Vordergrund stellen?
Nowak: Dafür leisten wir uns eine wunderbare Feuilleton-Redaktion, die hier sehr schnell die Helikopterperspektive eingenommen hat. Aber: Wir haben in unserer Video-Redaktionskonferenz von Anfang an davor gewarnt, sich im Lockdown die rosarote Brille aufzusetzen und zu behaupten, dass alles gut und wunderschön sei. Und dass in der Krise die große Chance zur Verbesserung der Welt liege. Da liegt keine. Krise ist Krise.

medianet:
Krisen treffen Medien immer als erste und verlassen sie als letzte, so sagt man zumindest. Die Medienlandschaft ist hart getroffen worden. Wie sieht es bei der Presse aus?
Nowak: Wir waren für diese Krise gut gerüstet – nicht, weil wir auf eine solche Ausnahmesituation lange vorbereitet waren, sondern, weil wir seit der Wirtschaftskrise 2008 und der Zeitungskrise 2012 mit Gegenwind wie diesem umgehen können. In Sachen Resilienz sind wir zumindest Österreichmeister, wenn nicht sogar ein kleiner Europameister. Die Redaktion ist sehr flexibel, und das ganze Haus agiert in solchen Situationen sehr schnell mit hoher Schwarmintelligenz.
Langanger: Wir hatten nicht nur Sonne in den letzten zehn Jahren, wir hatten durchaus auch wirtschaftlich schwierige Jahre zu bewältigen. Nun ist es uns gelungen, eine sehr flexible, nach vorn gerichtete und marktorientierte Organisation auf die Beine zu stellen, was uns jetzt zugutekommt. Wir haben uns während der letzten Wochen gut geschlagen; das, was man im Sinne einer ordentlichen Unternehmensführung an Kosten und Maßnahmen setzen kann, haben wir umgesetzt.

Wir haben uns, insbesondere in der Redaktion, auch weitestgehend gegen Kurzarbeit entschieden, unsere tagesaktuellen Ressorts sind voll einsatzfähig. Für die Wirtschaftlichkeit bedeutet das sehr viel, denn wir haben sowohl bei den Print- als auch bei den Digitalabos ordentliche Zuwächse. Das ist frische, nachhaltige Wertschöpfung und das hilft massiv. Am Werbemarkt haben wir uns in den letzten Jahren einerseits auf das klassische Kerngeschäft konzentriert, starke Kundenbeziehungen aufgebaut und andererseits Neugeschäft entwickelt. Das Neugeschäft ist mit einem hohen Anteil an variablen Kosten ausgerichtet. Fällt dies aus, fallen zwar Umsatz und Deckungsbeitrag weg, aber auch die Kosten. Das ist ein Vorteil in der Unternehmenssteuerung.


medianet:
Um welche Produkte handelt es sich hierbei?
Langanger: Hier geht es um Veranstaltungen und Hochglanzmagazine für unterschiedliche Branchen.

medianet: Ist die Krise ein Anlass, sich in Zukunft stärker auf diese Bereiche zu konzentrieren?
Langanger: Es ist unser Kerngeschäft, ein Qualitätsmedienprodukt zu produzieren, damit Verkäufe und Abos zu generieren und auf der anderen Seite dem Werbemarkt eine qualitativ hochwertige Zielgruppe auf unseren unterschiedlichen Plattformen zur Verfügung zu stellen. Unser Kerngeschäft hält in der Krise stand und am Lesermarkt bringt uns das in diesen schwierigen Zeiten enorm nach vorn. Wir brauchen keine Alternativen, um diese Krise zu überstehen.

medianet:
Die Online-Zugriffe sind bei nahezu allen Medien stark angestiegen. Welche Entwicklungen gab es in dieser Hinsicht bei der Presse?
Langanger: Wir haben von 2017 auf 2018 eine Strategie ‚Die Presse 2020' entwickelt, deren Ziel es war, 20.000 bezahlte Digitalabos bis Ende 2020 zu erwirtschaften. Heute wissen wir, dass wir uns das Ziel nicht hoch genug gesteckt haben, denn mittlerweile sind wir bei über 30.000 Abos. Sieht man sich die potenzielle Gesamtzielgruppe der Presse an, ist das eine enorme Leistung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Nowak: Wir wurden anfangs dafür kritisiert, unsere Artikel und Recherchen nicht gratis freizugeben, also alles zu verschenken und auf Reichweite zu gehen, wie das in Österreich alle machen. Aber wenn es einen Beweis dafür gibt, dass Paid Content funktioniert, dann waren es die letzten Wochen.

medianet: Wie schafft man das?
Langanger: Hinter unserer Strategie liegen drei konkrete Bausteine. Zunächst braucht man eine Produktidee. Diese Produktidee haben wir in unser Digitalprodukt übersetzt, allerdings ein bisschen anders als alle anderen. Tendenziell sind Medien verlegerischer Herkunft im Digitalen ähnlich wie in Print, haben also eine klassische Ressortstruktur. Bei uns stehen stattdessen die Bereiche Nachricht, Meinung und Magazin im Vordergrund.

Zweitens braucht man eine entsprechende technologische Basis. Wir haben dahingehend sehr viel investiert, sodass wir technologisch bereits dort sind, wo man 2021 sein sollte – und zwar State of the Art im technologischen Fundament. Im technologischen Backbone gehören wir mittlerweile zu den modernsten Medienunternehmen Europas.
Der dritte entscheidende Punkt ist, dass Organisation, Struktur und Prozesse des Unternehmens auf die Strategie ausgerichtet sein müssen. Wir haben insbesondere durch die Leistung unserer Redaktion und unseres Marketings in den letzten zwei Jahren eine Organisation geschaffen, die in der Lage ist, auch digital ordentliche Wertschöpfung am Lesermarkt zu generieren.

Nowak: Das gelingt vor allem dadurch, dass wir uns vom Redaktionsschlussdruck lösen mussten beziehungsweise durften, im Digitalen ein gänzlich neues Produkt denken und digital radikal priorisieren. Das haben wir bereits vorher durch die Presse am Sonntag gelernt, die vor einigen Jahren auch ein neues Produkt war. Jetzt haben wir eben ein neues digitales Produkt, quasi ein tägliches Digitalmagazin. Print ist nicht tot, aber alt.

medianet:
Bleiben wir bei der Presse am Sonntag. Warum haben Sie den stummen Verkauf aus Selbstbedienungstaschen beendet?
Nowak: Wir haben das schon vor einiger Zeit angedacht und gesehen, dass jetzt der richtige Moment dafür ist, konsequent zu sagen, dass wir nichts zu verschenken haben. Weder digital, noch in Print. Wenn man mit Kollegen aus anderen Ländern spricht, sind die immer ganz erstaunt, dass es diesen Anachronismus von in Beuteln aufgehängten Zeitungen bei uns noch gibt. Wir haben das beendet, und es war die richtige Entscheidung. Die Abozahlen sprechen Bände, wir haben bereits jetzt fünf Prozent plus.

medianet:
Die Krise als Chance zu bezeichnen, ist vielleicht nicht die glücklichste Formulierung, aber gibt es etwas, das Sie aus den letzten Wochen für Ihre zukünftige Arbeit mitnehmen?
Nowak: Ja, aber wie so oft sind es die Dinge, die man eigentlich schon vorher hätte wissen können. Etwa, dass es für journalistische Produkte wichtig ist, Experten in den Reihen zu haben, die in diesem Fall am Tag X die richtigen Ärzte und Virologen mit den richtigen Fragen anrufen können – und die dann auch abheben. Das betrifft das Tagesgeschäft. Ich glaube wohl auch, dass es wichtig ist, in der Krise einen guten Blick dafür zu haben, was wichtig und was unwichtig ist. Was der Leser, der Medienkonsument will und braucht.

medianet:
Wie beurteilen Sie die Sondermedienförderung der Regierung?
Nowak: Wir werden uns hier nicht lautstark demonstrierend auf die Barrikaden stellen, denn es ist nicht unsere Art, als Bittsteller für staatliche Hilfe aufzutreten. Aber die Idee, eine Förderung an die Druckauflage zu binden und nicht etwa an die Expertenvielfalt in einer Redaktion, die Zahl echter Leser oder Abonnenten, ist schon bemerkenswert. Krisen wirken oftmals wie Brandbeschleuniger. Wir werden um ein echtes, gutes Modell nicht herumkommen. Es wird eine Auslese geben und mehr Klarheit in der Branche.

medianet:
Ideen zu alternativen Förderkriterien gibt es ja, etwa anhand der Vorgaben des Presserats zu fördern oder nach Ausbildungsplätzen. Haben Sie konkrete Vorschläge?
Nowak: Wie gesagt, keiner von uns möchte um mehr Geld betteln oder auf andere zeigen und sich beschweren, dass die mehr bekommen. Es ist irgendwie wirklich unwürdig, dass man Verleger und Zeitungsmanager in eine solche Lage bringt, aber gut, das ist jetzt eben so. Ja, es gibt genügend Konzepte, die am Tisch liegen – von der Anzahl fixer Korrespondenten bis zu Spezialisten-Ressorts wie Wissenschaft. Es gibt genügend Aufwendungen, die förderungswürdig sind. Papier bunt zu drucken, eigentlich nicht.

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