Leitartikel ••• Von Dinko Fejzuli
SELFIEWAHN. Stockholm, Mittwoch dieser Woche um 14:00 Uhr. Dank einer Journalistenkollegin sitze ich gemeinsam mit ihr auf einer Holzbank auf der Insel Djurgarden und warte darauf, einen der Musik-Titanen dieser Erde, ABBA-Mitglied Björn Ulvaeus, zu treffen.
Wie es dazu kam? Die Kollegin hatte durch Glück einen 10-Minuten Slot für ein Interview mit Ulvaeus bekommen, gemeinsam mit ihrer „Entourage”, wie es im E-Mail hieß, und da sie keinen Fotografen verfügbar hatte, bat sie mich ihr auszuhelfen und, während sie mit ihm sprach, mit dem Handy ein paar Fotos zu machen. Ich sagte natürlich sofort zu und hatte auch die Hoffnung, ein Selfie mit Ulvaeus abzustauben, denn so ein Moment muss festgehalten werden – für mich, für die Daheimgebliebenen und für die Ewigkeit.
Bilder für den Datenmülleimer
Und dann ging es los: Gut 20 Minuten zu spät werden wir wie in einem Hochsicherheitstrakt von mehreren Personen nacheinander übernommen, durch Gänge geschleust und weitergereicht, bis wir zu Ulvaeus' Pressedame kommen, die uns nochmals an die Zehn-Minuten-Frist erinnert und uns erklärt, sie werde uns zwei Minuten Fristende auch noch ein Zeichen geben.
Und dann stehen wir vor ihm – einem Mann, der mit ABBA 380 Millionen Platten verkauft hat, und wir sind überrascht, wie unkompliziert und ohne Allüren Ulvaeus ist.
Ich tue das, wofür ich da bin, mache Fotos und höre nebenbei zu, was er so zu erzählen hat. Etwa, dass er sich vor dem Song Contest nichts ansehe, das Finale aber sehr wohl verfolge. Und: Dass er kaum noch zu öffentlichen Veranstaltungen mit direktem Publikumskontakt gehen könne.
Als wir nachfragen, warum, kommt ein kurzer ruhiger Satz, der meinen schon geplanten Ruhm unter meinen Facebook-Freunden mit einem Strich zunichtemacht: „Too many selfies”, sagt Herr Ulvaeus etwas resignierend. Bis zu 200 pro Veranstaltung, sagt er. Das sei einfach zu viel.
Ich frage dann noch höflich, ob er bereit wäre – da wir aus Wien kommen – für ein Foto kurz Walzer mit der Kollegin zu tanzen. Überraschend willigt er ein, lächelt dabei sogar.
Und plötzlich will ich ihn gar nicht mehr fragen, ob ich auch ein Selfie bekomme. Ulvaeus hätte, weil Profi, sicher ja gesagt.
Aber mir stellte sich plötzlich die Frage: Auch wenn es eine Kleinigkeit wäre, die zwei Sekunden dauert – muss ich diesen Mann zu etwas nötigen, von dem er zwei Minuten davor gesagt hat, dass er es nicht leiden kann? Auch wenn er es sicherlich schon Tausende Male getan hat – nämlich ein Selfie mit einem Fan zu machen –, muss ich ihn wirklich drängen, mir auch eins zu geben, nur damit ich meine Freunde auf Facebook beeindrucke? Denn für mich brauche ich das Bild nicht, ich hatte ihn ja leibhaftig vor mir …
Drei kleine Worte
Ich habe mich entschieden, es nicht zu tun. Auch, weil dieser kurze Satz, „Too many selfies”, und die Art, wie er es gesagt hatte, mich berührt und zum Nachdenken gebracht haben.
Angeblich sagt ein Bild mehr als tausend Worte. Seit Mittwoch dieser Woche bin ich mir nicht mehr so sicher, ob das in unserem Selfie-Wahn-Zeitalter wirklich noch so ist.