Gastkommentar ••• Von Josef Redl
WIEN. Einem vor kurzem gemachten Zufallsfund habe ich die Erkenntnis zu verdanken, dass Wolfgang Rüdiger, ehem. Präsident des Verbandes der Marktforscher Österreich und einst Mitarbeiter von mir, sowie Paul Schauer, seinerzeit Media Austria-Geschäftsführer, es waren, die Marktforschung auf Basis sogenannter Sinus-Milieus nach Österreich brachten. Diese Methode fasst Menschen in ähnlichen Lebenswelten – mit ähnlichen Auffassungen –, zu Clustern zusammen, die sich in ihren Einstellungen und ihrem Verhalten stark voneinander unterscheiden. Sie kann daher für eine zielgenauere Vermarktung von Gütern und Dienstleistungen wertvolle Dienste leisten.
Heute wollen wir uns aber nicht mit der produktorientierten Zielgruppenforschung auseinandersetzen, sondern einen Blick darauf werden, was sich diesbezüglich in der politischen Forschung tut. Das ist angesichts der laufenden Regierungsverhandlungen mehr als aktuell und auch extrem spannend. Weil deren Ergebnisse bzw. deren eventuelles Scheitern richtungsweisend für die Zukunft Österreichs sein werden. Mehr noch: Es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass sich die Zukunft unseres Landes derzeit auf Messers Schneide befindet.
Zwei unterschiedliche Milieus
Auf den Punkt gebracht: Das Marktforschungsinstitut Integral, das die Sinus-Milieu-Forschung in Österreich vertritt, hat in zwei bemerkenswerten Studien deutlich gemacht, dass die politische Mitte in Österreich nach den großen Krisen der letzten Jahre – Pandemie, Überfall auf die Ukraine, Teuerung und Inflation – zunehmend erodiert. Sie ist praktisch in zwei unterschiedliche Milieus zerfallen. Einerseits in ein von Pessimismus, Misstrauen, Zukunftsangst und Sehnsucht nach der guten alten Zeit geprägtes Nostalgisch-Bürgerliches Milieu, das mittlerweile als Speerspitze der populistischen Systemkritik betrachtet werden kann. Und eine noch halbwegs intakte Adaptiv-Pragmatische Mitte, die die Politik nach dem Nutzen beurteilt, den ihr eine bestimmte Partei verspricht. Diese ist aber ebenfalls nach rechts verführbar (die Nostalgisch-Bürgerlichen sind längst bei der FPÖ), wie die im Ausmaß überraschenden Ergebnisse der steirischen Landtagswahl unlängst gezeigt haben.
Gibt es einen Ausweg aus diesem politischen Dilemma? Ja! Wenn sich die gerade in hochbrisanten Verhandlungen befindlichen drei Parteien zu einer von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung als gut empfundenen Politik durchringen können. Und dabei Kompromissbereitschaft und staatsmännisches Denken an den Tag legen. Gelingt dies nicht, genügt ein Blick auf unseren illiberalen östlichen Nachbarn Ungarn und andere autoritäre Systeme, die weltweit um sich greifen.
Noch ist es aber nicht so weit und jeder von uns hat als Mitglied der Zivilgesellschaft selbst die Chance, die konstruktiven politischen Kräfte zu ermutigen, nachhaltig gute Lösungen für unser Land zu finden. Und so einem weiteren Rechtsruck von vornherein den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Josef Redl war im Bank- und Versicherungsbereich, Schwerpunkt Marketing und Vertrieb, tätig. Seither ist er ehrenamtlich und publizistisch unterwegs.