Wenn Reichweite Meinungen bestimmt
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MARKETING & MEDIA Redaktion 08.07.2022

Wenn Reichweite Meinungen bestimmt

Generiert eine bestimmte Einstellung genügend Reichweite und damit ­Gewichtung, traut sich niemand mehr, eine andere Meinung zu vertreten.

Gastkommentar ••• Von Cosima Serban

Die Social Media-Welt schafft es immer wieder, zu beweisen, wie stark sie Bewertungen, Meinungen und Weltansichten beeinflussen kann.

Der Fokus liegt für Institutionen, Massenmedien – und schon lange für die Allgemeinheit – primär auf der Transparenz der Werbeaktivitäten. Diese werden gesetzlich geregelt, nachgeschärft und obliegen teilweise einer strengeren Kontrolle, Überprüfung und Freigabe. Jedoch kann eine reine Werbeanzeige einer Marke keine Weltanschauungen verändern, Werteskalen brechen oder Selbstwertgefühle beeinflussen.

Wo bleiben die Jungen?

Die jüngeren Generationen werden zwar begeistert sein, sich aber nur noch sehr schwer von einem zwar strategisch optimal strukturierten, jedoch offensichtlichen Werbespot oder einer leicht wahrnehmbaren Anzeige zu etwas überreden lassen.

Ältere Generationen haben vielleicht damals bestimmte Komplexe entwickelt, als z.B. nur sehr dünne, perfekt retuschierte Models auf jedem Titelblatt zu sehen waren. Diese Realität ist aber schon längst durchleuchtet und bekannt.
Für einige geht es vielleicht immer noch um oberflächliche Merkmale, die zur Identitätsfindung beitragen können. Vielmehr als der Körperkult, der durch die Selbstinszenierung anderer beeinflusst wird, sind es aber die extremen Weltsichten und die Manipulation von Nachrichten, Meinungen, gar Fakten, und Dark Patterns-Mechaniken, die langfristig den größeren Impact generieren, denn diese verändern Wahrnehmungen, Nutzungsverhalten und Gedankenstrukturen.
Somit sollten eher die Persönlichkeit und die Gedankenwelt geschützt werden als die Schönheitsideale, die ohnehin grundsätzlich nebensächlich sein sollten.
So können organische Inhalte, die per Definition andere Ziele verfolgen und ganz andere Produktionsgedanken enthalten, einen wesentlich wichtigeren Einfluss haben. Wenn man ganz genau hinschaut, merkt man heutzutage, dass themenspezifische Bewertungen auf diversen Plattformen oder Meinungen auf den gängigen Social Media-Plattformen nie wirklich neutral sind, Pro und Contra-Argumente enthalten, aber meistens sehr einseitig oder gar extrem sind. Je kategorischer, desto schneller verbreiten sie sich und werden zum Trend.
So formieren sich Teams entweder für oder gegen ein Thema, ohne dem objektiveren Mittelweg je eine Chance zu geben. Die Frage ist daher meistens: Wer löst diese Trends aus, wieso und für welche Ziele?

Wenn die Masse bestimmt

Durch die intensive Auseinandersetzung mit Social Media-Trends (und damit sind nicht die neuesten Dance Moves gemeint), der Cancel Culture und ihren Nebenwirkungen merkt man, dass, sobald eine Einstellung gegenüber einer Sache genügend Reichweite und dadurch Gewichtung generiert, sich niemand mehr traut, eine andere, im Idealfall neutrale Meinung zu haben, die eine Perspektivenpluralität enthält.

So werden Millionen oft sehr junger Nutzerinnen und Nutzer einer vorgekauten Wahrheit ausgeliefert. Sie werden oft damit konfrontiert werden: „Wenn alle das sagen, muss es ja stimmen, und so kann man auch keine andere Meinung dazu äußern, sonst bekommt man womöglich noch Ärger online.” Nur recherchieren die wenigsten, wer diese „alle” sind und ob der aktuellen Trendwelle nicht vielleicht doch durch einen extra Push geholfen wurde.

Thema Bots & Spam Traffic

Wenn man sich realistisch die Zahlen anschaut, sieht man, dass oft ein großer Teil des Traffics – und davon sind leider nicht nur Social Media-Plattformen betroffen – Bot & Spam Traffic ist. Viele Follower, aber wenig Interaktion, viel Reichweite, aber aus unbekannten Quellen, viele Sichtkontakte, aber keine Klicks, viele Seitenbesuche, aber hohe Bounce Rates – klingt bekannt? Vermutlich! Solche Themen beschäftigen uns erst, sobald Kampagnenbudgets investiert wurden, aber nicht, wenn Bots und Personen, die Bots einsetzen, ein bestimmtes Interesse, den eigenen Marktwert oder eine bestimmte Meinung pushen. Dennoch kann eine große Anzahl an Bots ganze Trendwellen auslösen.

Aufklärung ist wichtig

So müssen Aufklärungsthemen über Meinungsbildung und Informationsrecherche in den Mainstream-Medien öfter diskutiert werden und sollten eigentlich Teil der Schulprogramme sein. Die Social Media-Welt, die Art und Weise, in der sich Informationen grundsätzlich im Internet verbreiten, die Schnelligkeit, mit der neue Plattformen, Accounts und Websites generiert werden können – all das kann nicht mehr gestoppt oder geändert werden. Das, was man aber sehr wohl optimieren kann, ist der Aufklärungs- und Bildungsbeitrag. Die Schule kann mit relevanten Inhalten dabei helfen, vieles besser verstehen zu lernen und gesünder mit der digitalen Welt umzugehen.

Die Conclusio: Eine sicherere Digitalwelt entsteht nicht durch die einfache Verneinung der Social Media-Plattformen und die fehlende Akzeptanz gegenüber ihren Anbietern, sondern durch Aufklärung über potenzielle Gefahren, aber auch Chancen.
Der sichere Umgang mit Social Media und anderen digitalen Medien entsteht nicht nur durch den Hinweis auf die bezahlten Werbemaßnahmen, sondern durch das Aufzeigen von Präzedenzfällen und Lösungsansätzen im inhaltlichen Bereich. So kann man im digitalen Zeitalter selbstbewusster und analytischer Inhalte konsumieren und produzieren sowie kritisches Denken fördern.
Und so können Nutzerinnen und Nutzer etwas gut oder schlecht finden und darüber frei berichten, wissen aber dabei ganz genau, wieso – und treffen gut recherchierte und informierte Entscheidungen. Je besser die Mehrheit mit der digitalen Welt umgehen kann, desto signi­fikanter können ihre Transparenz und Qualität gesteigert werden.


Cosima Serban beschäftigt sich seit vielen Jahren mit digitalen Strategien für Content und ­Werbung. Infos & Kontakt:
[email protected]

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