„Wir rennen in die falsche Richtung”
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MARKETING & MEDIA Redaktion 11.07.2025

„Wir rennen in die falsche Richtung”

Vergaberechtsexperte Martin Schiefer über Kraft und Vor(ur)teile einer grünen Transformation der Wirtschaft.

••• Von Sabine Bretschneider

Vergaberechtsexperte Martin Schiefer spricht über Pros und Contras im Sparpaket der Regierung, Vorteile und Auswüchse von EU-Regulatorien, das missbrauchte Föderalismusargument – und eine „sympathische” neue Zollrichtlinie.


medianet:
Sie beschäftigen sich derzeit in einigen Interviews intensiv mit der Budgetpolitik der Bundesregierung. Was stört Sie, was ist ein guter Plan?
Martin Schiefer: Ja, was mir zurzeit wirklich wichtig ist, ist – neben der Lieferkettenthematik – das Thema Sparpaket. Gerade in diesem Kontext müssen wir das öffentliche Vergabewesen klüger nutzen. Immerhin vergeben wir jährlich ungefähr 70 Milliarden Euro Steuergeld und wir bewegen uns in einer Welt, die derzeit sehr anfällig für Krisen ist. Wir verlassen die Pfade der Sicherheit – und da müssen wir schauen, dass wir das wieder stabilisieren. Das wiederum geht nur, wenn wir in der öffentlichen Hand verlässliche Partner haben. Unternehmen, die das Rückgrat unserer Steuerleistung bilden, müssen auch spürbar von öffentlichen Aufträgen profitieren. Es geht nicht anders.

medianet:
Das heißt konkret?
Schiefer: Konkret heißt das, dass wir das Thema der industriellen Kooperationen in der militärischen Beschaffung massiv vorantreiben müssen. Gleichzeitig braucht es eine gezielte Unterstützung für Unternehmen, die heute schon nachhaltig wirtschaften – sie stärken unsere Resilienz, machen uns energieunabhängiger und stabilisieren unsere Lieferketten. Dieses Engagement müssen wir belohnen.

Wenn wir vom Klimapfad abweichen, drohen uns bis 2040 jährlich Strafzahlungen in Milliardenhöhe. Damit konterkarieren wir nicht nur unsere Klimaziele, sondern gefährden auch das eigentliche Ziel des Sparpakets.


medianet:
Welche Rolle spielen die ESG-Kriterien momentan in den Vergabeverfahren?
Schiefer: Leider eine zu kleine. Dabei sind die rechtlichen Grundlagen längst vorhanden – wir müssen sie nur konsequenter zur Anwendung bringen. Das heißt, wir müssen uns intensiv damit beschäftigen, dass Unternehmen, die hier schon ihren Beitrag leisten, Bonuspunkte bekommen. Wir müssen Lebenszyklus-Modelle rechnen. Es kann nicht sein, dass wir in Österreich Strafe zahlen für Strom, den wir nicht verwenden können, anstelle mit Speichern kreative Lösungen zu finden …

Wir rennen hier wirklich in die falsche Richtung. Was wir stattdessen brauchen, ist ein Fokus auf das Wesentliche: Statt uns an CO2-neutralen Baustellen oder elektrischen Baggern abzuarbeiten, die in Summe kaum Wirkung entfalten, müssen wir den Altbestand ins Zentrum rücken. Dass dort die Wärme- und Kälteversorgung passt. Dass die Häuser und Gebäude gekühlt und geheizt sind und isoliert sind. Wir müssen die großen Brocken angehen und das ganz ohne Tabus.


medianet:
Viele Probleme sind allerdings nur auf EU-Ebene lösbar. Inwiefern spielt der jetzige Ruf nach einer Föderalismusreform eine Rolle? Scheitert vieles an der föderalistischen Struktur Österreichs?
Schiefer: Also regulatorisch ist das ein zweischneidiges Schwert. Denken Sie an die Elektromobilität. Europaweite Regulierung ist sicher dort sinnvoll, wo man einheitliche Systeme schafft, etwa im Bereich der Steckersysteme. Es kann ja wohl nicht sein, dass jeder Lieferant und Produzent ein eigenes Kabel mit einer eigenen Steckdose und einer eigenen Infrastruktur dazu hat. Da bin ich absolut für Regulatorien.

Im Klein- und Kleinstbereich aber brauchen wir das nicht. Das heißt, es wäre viel zielführender, wenn die EU sich auf die Kernthemen konzentriert, auf den Binnenmarkt, und die Umsetzung dann den Mitgliedstaaten oder sogar den Regionen überlässt.
Es ist eine Ausrede, dass man sagt, der Föderalismus lässt so was nicht zu. Wir haben es gesehen in der Pandemie, da hat es sehr, sehr gut funktioniert mit der Zusammenarbeit der jeweiligen Akteure. Kaum war die Pandemie vorbei, hat sich jeder wieder in seine eigenen Kompetenzbereiche zurückgezogen. Also, wenn ein Wille da ist, funktioniert es in Österreich auch mit der bestehenden Landschaft.


medianet:
Würden nationalstaatliche Lösungen, etwa im Kontext der Klimamaßnahmen, nicht dazu führen, dass wieder ein ungünstiger Wettbewerb zwischen den Ländern entstünde?
Schiefer: Das ist das, was ich gemeint habe. Das ist ganz klar von der Europäischen Union vorzugeben, auch, dass wir unser Gewicht als europäischer Wirtschaftsraum wieder einsetzen. In diesem Sinne halte ich den Green Deal für absolut richtig – das ist ein echter Standortvorteil.

Warum zieht es denn die Menschen nach Europa? Weil es hier einen Flecken Erde gibt, der hochqualitatives, hochsicheres Leben ermöglicht. Das ist in vielen anderen Teilen der Welt nicht möglich. Wir dürfen auch unsere demokratischen europäischen Werte nicht über Bord werfen. Und ‚Made in Europe' muss international wieder ein Qualitätsversprechen sein.
Gleiches gilt bei der Lieferkette. Alle schimpfen über diese Lieferketten-Richtlinie. Ja, mag schon sein, dass sie zu detailverliebt ist. Aber unterm Strich gilt für jedes Unternehmen: Wer seine Lieferkette nicht kennt, riskiert Produktionsausfälle. Ob das jetzt 1500 Kernpunkte sein müssen oder nur 150 in einem Nachhaltigkeitsbericht, darüber kann man gerne diskutieren.
Unternehmen müssen heute energieunabhängig und resilient aufgestellt sein. Niemand möchte auf Gaslieferungen angewiesen oder durch geopolitische Konflikte direkt in seiner Produktion beeinträchtigt werden. Das sind Realitäten, die man nicht einfach wegdiskutieren kann.


medianet:
Sie haben neue Mitarbeiter eingestellt. Allerdings nicht unbedingt ausgebildete Juristen, sondern etwa explizite Nachhaltigkeitsexperten. Warum?
Schiefer: Richtig. Wir sind jetzt in Summe 50 Mitarbeiter. Tendenz stark steigend und wir bekommen jetzt im Juli noch einen neuen Partner dazu, der sich gerade auf das Thema Lieferketten und Ökologie spezialisiert hat. Man kann die aktuellen Herausforderungen und Krisen aus meiner Sicht nur lösen, wenn man neu denkt, wenn man stärker kooperiert, auch über die einzelnen Disziplinen hinaus.

medianet:
Nennen Sie uns ein Beispiel?
Schiefer: Wir haben jetzt zum Beispiel diese Geschichte: Die Zollbestimmungen werden mit 1. Jänner 2026 verschärft, mit CBAM (EU-CO2-Grenzausgleichsmechanismus, Anm.). Dann kann man erhöhte Zölle auf Waren und Produkte einheben, die nicht nachhaltig produziert sind. Damit soll auf europäischer Ebene Wettbewerbsnachteilen durch klimaschädliche Importe entgegengewirkt werden. Das ist ein System, das wir sehr sympathisch finden und das wir auch in unseren Ausschreibungskriterien berücksichtigen.

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