Wohin geht die Reise in der Marktforschung?
© Martina Berger
MARKETING & MEDIA Redaktion 01.09.2023

Wohin geht die Reise in der Marktforschung?

Robert Sobotka und Thomas Schwabl werfen einen kritischen Blick auf die Entwicklung der Branche.

••• Von Sascha Harold

Die Markt- und Meinungsforschungsbranche befindet sich derzeit im Umbruch. Neue Tools und Möglichkeiten im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz stellen viele der bisherigen Methoden infrage. Auch die Suche nach willigen Respondenten fällt zunehmend schwierig aus. Die allgegenwärtige und zunehmende Verfügbarkeit von Daten wirft zudem eine zentrale Frage auf – braucht es eigentlich noch Befragungen? Darüber hat medianet mit Thomas Schwabl, Gründer und Geschäftsführer des digitalen Markt- und Meinungsforschungsinstituts Marketagent, und Robert Sobotka, Geschäftsleiter Marktforschung bei Telemark Marketing sowie Vorstandsvorsitzender des Verbands der Markt- und Meinungsforschungsinstitute Österreichs, gesprochen.


medianet:
Wie sieht denn die Bestandsaufnahme der heimischen Markt- und Meinungsforschung aus?
Thomas Schwabl: Ich glaube, das kann man in einem Satz zusammenfassen: Die fetten Jahre sind vorbei. Die Marktforschung wird zunehmend ein Problem bekommen, und das liegt vor allem an der Omnipräsenz von Daten. Alles Faktische wird man künftig nicht mehr erheben müssen. Es werden Chips in Ski, Fahrrädern oder Kühlschränken sein, die man einfach auslesen kann. Und das wird schneller gehen als wir denken. Der Kuchen wird also kleiner werden.
Robert Sobotka: Ich sehe das nicht ganz so negativ. Die Markt- und Meinungsforschung in Österreich ist keine große Branche, eine goldene Nase haben wir uns noch nie verdient. Natürlich gibt es immer mehr verfügbare Daten, aber gleichzeitig wird auch der Informationsbedarf immer größer. Entscheidungsträger werden künftig auf viele Quellen zugreifen können – Befragungsdaten sind eine davon. Der Kuchen wird größer – unser Anteil daran wird wahrscheinlich kleiner, aber in heutiger Größe bestehen bleiben.

medianet:
Herr Schwabl, Sie sehen das kritischer?
Schwabl: Ich denke schon, dass es immer Platz für Meinungsforschung geben wird. Aber um eine Parallele zu ziehen: Es gibt heute auch noch Leute, die Vinyl kaufen, die Relevanz ist aber überschaubar. Spricht man mit Zeitungsmachern, dann meinen die, Print wird nicht sterben, spricht man mit Leuten vom Öffentlich-rechtlichen, dann meinen die, lineares Fernsehen wird nicht sterben. Ich bin skeptischer. Die Digitalisierung ist nicht aufzuhalten, durchdringt jeden Lebensbereich, und mit der rasanten Entwicklung der KI werden plötzlich Tätigkeiten automatisiert, die bisher als unersetzlich galten. Und unsere Branche ist prädestiniert für KI-Anwendungen, wenn ich etwa an das Generieren von Fragebögen oder Charts denke.

medianet:
Könnte das nicht einfach zu einem Wandel des Berufsbilds führen?
Sobotka: Ja, das Berufsbild wird sich ändern. Lochkarten und Papierfragebögen sind ja auch ausgestorben, wurden aber durch andere Technologien ersetzt. Auch bei der KI wird es weiterhin Menschen brauchen, die diese Anwendungen bedienen. Die guten Institute werden es schaffen, den Schwenk zu den neuen Technologien zu schaffen.
Schwabl: Das sehe ich auch so, wir werden den Bauchladen zwangsläufig erweitern müssen. Wir haben beispielsweise erkannt, dass Kunden von uns weiterführende Leistungen in der Verbreitung der Umfrageergebnisse anfragen – das geht dann in Richtung Presse- und Social Media-Arbeit. Dadurch ändern sich auch die Anforderungen ans Team. Mitarbeiter müssen nicht mehr ‚nur' Marktforschung machen, sondern werden vermehrt zu Social Media Consultants und PR-Mitarbeitern.

medianet: Um auf Veränderungen zu reagieren, braucht es das richtige Personal. Ist die Branche im Moment attraktiv genug für junge Talente?
Sobotka: Ich sehe im Moment vor allem ein Imageproblem der Branche. Wenn es uns nicht gelingt, ein interessantes Image zu kommunizieren, dann werden wir auch die High-Potentials nicht bekommen.
Schwabl: Die Markt- und Meinungsforschung ist derzeit nicht Fisch und nicht Fleisch. Wir werden als zu wenig greifbar und zu verstaubt gesehen. Das setzt sich ins Preisniveau um. Ein ­Online-Interview kann ich für zwei Euro kaufen, Werber bekommen einen Euro pro Klick. Das Preisniveau ist bei Marketern oder Unternehmensberatern viel höher als bei Marktforschern.

medianet:
Was könnte man tun, um das Image aufzupolieren?
Sobotka: Ein Ansatz, den ich mit dem Verband (Verband der Markt- und Meinungsforschungsinstitute Österreich, Anm.) gerne verfolgen möchte, ist, Umfragen mit sozialem Mehrwert zu verbinden. Zum Beispiel für jedes Interview einen Geldbetrag an eine karitative Organisation zu spenden – der Respondent nimmt nicht nur an einer Befragung teil, sondern stellt seinen Zeitaufwand damit auch einem guten Zweck zur Verfügung. Und das sollte die Branche auch kommunizieren. Dadurch kann ein positiver Imagetransfer gelingen – frei nach dem Motto: ‚Tu Gutes und rede darüber'.

medianet:
Wie sieht es mit dem Arbeitsumfeld aus, was kann die Markt- und Meinungsforschung da anbieten?
Schwabl: Wir haben in den letzten Monaten sechs neue Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen eingestellt, das hat besser funktioniert als gedacht. Ein Problem ist das Onboarding. Wir haben ein 100%iges Remote-Arbeitsmodell eingeführt, das alle super finden, das Integrieren neuer Kollegen und Kolleginnen wird dadurch aber schwierig. Was wir auch sehen, ist, dass wir bei mittlerweile bei 80 Prozent der Kandidaten in Bewerbungsgesprächen den Wunsch nach Teilzeit haben. Die wollen keine 40-Stunden Woche mehr. Es war für uns zwar eine Challenge, aber wir sind mittlerweile auf einem Teilzeitanteil von 70 Prozent.

medianet:
Gibt es noch genügend Menschen, die sich befragen lassen wollen?
Schwabl: Methodenübergreifend kann man sagen, dass es immer schwieriger wird, Respondenten zu finden. Die Teilnahmebereitschaft ist über alle sozialen Schichten und Altersgruppen rückläufig. Am schwierigsten ist es bei männlichen Jugendlichen zwischen 14 und 19 Jahren.
Sobotka: Auch ich sehe hier große Schwierigkeiten auf uns zukommen. Wenn wir Leute befragen wollen, sei es telefonisch oder online, dann brauchen wir ausreichend Personen, die auch bereit sind, uns Antworten zu geben. Das wird sicher eine der größten Herausforderungen in der nächsten Zeit. Wichtig sind kürzere und prägnantere Fragebögen, weil einfach die Zeit der Befragten immer knapper wird. Ein weiterer Ansatz könnte der erwähnte soziale Zusatznutzen sein, der als Motivation zur Teilnahme an Interviews dienen kann.

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