Zwischen Traum und Wirklichkeit
© Martina Berger
MARKETING & MEDIA Redaktion 28.02.2020

Zwischen Traum und Wirklichkeit

„Sie sprechen ja Deutsch!”- Eser Akbaba und Jürgen Pettinger von ORF 1 im Interview zu ihrem neuen Buch.

••• Von Nadja Riahi

Wer nicht weiß, wo er hingehört, der erträumt sich seine eigene Welt.” Genau das hat Eser Akbaba, Moderatorin beim Wetter auf ORF 1, als junges Mädchen getan. Zwischen der kleinen Eser, die sich wie Schneewittchen im Spiegel betrachtet, der Eser, die am 27.10.2009 zum ersten Mal auf Sendung war, und der Eser heute liegen ein paar Jahre, viele Erfahrungen – und seit Neuestem auch ein Buch. Gemeinsam mit ORF-Journalist Jürgen Pettinger erzählt Akbaba ihre Geschichte: Geboren und aufgewachsen in Wien als Tochter einer Gastarbeiterfamilie aus der Türkei, erlebte sie schon in jungen Jahren, was es bedeutet, zwischen den Stühlen aufzuwachsen – hin und hergerissen zwischen Wien, ihrer Heimat und der Türkei, ihrer Herkunft. medianet traf die beiden Journalisten und Autoren anlässlich der Veröffentlichung und der Buchpräsentation am 27.2. in einer orientalischen Bäckerei im 10. Bezirk in Wien.


medianet: ‚Sie sprechen ja Deutsch!' ist ein gemeinsames Projekt. Wie ist die Idee für das Buch entstanden?
Jürgen Pettinger: Wir kennen uns rein beruflich, aber schon lange. Wir haben uns immer nur für kurze Zeit im Studio zwischen den Sendungen gesehen und da hat sie (Anm: Eser Akbaba) mir jeden Tag über Monate hinweg Einzelheiten aus ihrer Vergangenheit und ihrer Familie erzählt. Die Geschichten waren wahnsinnig spannend, vor allem auch mit dem Hintergrund, dass es in Österreich viele Menschen gibt, die das gleiche Schicksal teilen. Da haben wir die Idee geboren, dass man darüber ein Buch schreiben sollte…
Eser Akbaba: Es war so witzig (lacht), weil er mich zwischendurch immer ungläubig gefragt hat: ‚Was? Das hast du erlebt?' und für mich war das alles total normal. Zum Beispiel, dass ich für meine Eltern als Kind gedolmetscht habe.

medianet:
Frau Akbaba, Sie beschreiben in dem Buch Ihren Weg … Als Kind von Gastarbeitern aus der Türkei sind Sie in Österreich geboren und in Wien aufgewachsen. Gleichzeitig werden Sie oft gefragt, woher Sie ‚wirklich' kommen. Wie gehen Sie damit um?
Akbaba: Ich bin jetzt seit fast elf Jahren in der Öffentlichkeit sichtbar, das Thema beschäftigt mich aber schon, seitdem ich 20 Jahre alt bin. Da haben plötzlich Leute zu mir gesagt: ‚Du bist österreichische Staatsbürgerin, aber du bist ja keine ‚echte' Österreicherin.' Da würde ich am liebsten fragen: ‚Was ist eine ‚echte' Österreicherin?' Vor einem oder zwei Jahren hat mich ein älterer Herr auf der Straße angesprochen – der mich aus dem Fernsehen gekannt hat – und gesagt: ‚Sie sprechen aber schon gut Deutsch.' Ich habe daraufhin Kontra gegeben und gesagt: ‚Sie auch'. Wie kommt er dazu, mich so etwas zu fragen? Es ist doch klar, dass ich gut Deutsch spreche, wenn ich im Fernsehen arbeite.
Pettinger: Das ist eben die Wahrnehmung der Menschen. Du wirst nicht einfach nur als die Wettermoderatorin wahrgenommen, sondern auch als ‚die Türkin'.

medianet:
Bleiben wir beim Thema Sprache. Als junges Mädchen war Ihr Lieblingswort ‚ergo'. Welches ist es heute?
Akbaba: Meine Lieblingsfrage ist auf jeden Fall: ‚Wie wird das Wetter heute/morgen?' (lacht). Die häufigste Antwort, die ich geben würde ist: ‚Schalten Sie ORF 1 ein'. Mein Lieblingswort ist tatsächlich ‚Integration' – aber mit einem sarkastischen Zwinkern.

medianet: Welche Rolle spielt Integration in Ihrem (beruflichen) Leben? War das Thema ‚Identitätskonflikt' je aktuell?
Akbaba: Ich werde den Moment nie vergessen, als ich beim ORF als Wettermoderatorin angefangen habe und die Leute gesagt haben: ‚Haben Sie keine Österreicherin für den Job gefunden?'. Ab wann ist man Österreicherin? Das würde ich gern wissen … Meine Eltern kommen aus Ostanatolien, ich bin hier geboren. Ich habe zwei Identitäten, aber das bin ich.
Pettinger: Das ist auch so ein Phänomen, dass wir in Österreich nicht erkennen, was da für ein Potenzial drinnen steckt. Eser spricht viele Sprachen und ist multikulturell aufgewachsen.
Akbaba: Vor Jahren hat das Biber Magazin und der Verein Wirtschaft für Integration dieses Potenzial entdeckt und uns darauf aufmerksam gemacht, dass wir wirtschaftlich ganz hinten wären, wenn wir diese Menschen mit Migrationshintergrund nicht hätten.

medianet:
Sprechen wir über Ihre mediale Karriere. Wie war der Weg in die Öffentlichkeit?
Akbaba: Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Ich habe die Uni abgeschlossen (Anm: Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft) und habe durch ein Praktikum bei SEEMO, einer Firma, die sich mit Medienbeobachtung in Südosteuropa beschäftigt, meine jetzige Freundin Ivana kennengelernt. Der habe ich erzählt, dass ich schon journalistisch gearbeitet habe. Sie hat mir daraufhin vorgeschlagen, bei einem neuen Magazin mitzuwirken. Und prompt saß ich in einer Redaktionssitzung und war im Team vom Biber Magazin. Ich habe das Marketing übernommen, Ivana den redaktionellen Teil. Das erste Meeting war 2006, 2007 ist dann die erste Ausgabe erschienen. Und plötzlich haben wir den damaligen Bundeskanzler Alfred Gusenbauer interviewt. Da habe ich mir damals gedacht: ‚Schon ein cooler Job, von einer kleinen Tschuschin zum Bundeskanzler' (lacht). Ich hatte endlich eine Plattform, auf der ich einmal wirklich sagen konnte, wie ‚unsere Welt' aussieht.

medianet:
Wie sind Sie dann schlussendlich zum ORF gekommen?
Akbaba: Im März 2009 wurde ich zu einer Podiumsdiskussion zum Thema ‚Frauen mit Migrationshintergrund in den Medien' eingeladen. Nach der Diskussion wurde ich von der damaligen Chefin des Chronik Ressorts beim ORF, Brigitte Handlos, angesprochen und gefragt, ob ich nicht beim ORF als Moderatorin arbeiten wolle. Ich war daraufhin total erstaunt und habe sie nur gefragt, ob das ein Scherz sei. Es war keiner. Wir haben Karten getauscht und der Rest ist halt Geschichte …

medianet:
Als Person des öffentlichen Lebens ist man öfter der sogenannten Hate Speech im Netz ausgesetzt. Wie sind Ihre Erfahrungen damit?
Akbaba: Ich denke mir mittlerweile: ‚Lass die Leute einfach reden, wenn sie wollen.' Früher habe ich mich sehr darüber aufgeregt und Kontra gegeben, wenn es einen Fall wie jetzt mit Alma Zadic gegeben hätte. Aber ich glaube, ich bin auch schon müde geworden. Wenn ich den Leuten Face-to-Face begegne, dann kann ich anders reagieren.
Pettinger: In den Sozialen Medien beurteilen einen völlig Fremde Menschen, die einen überhaupt nicht kennen. Das finde ich schon ganz … lustig (lacht).
Akbaba: Man darf aber auch einfach nicht darauf reagieren.
Pettinger: Was ich mitbekommen habe bei deinen Erzählungen, ist die Tatsache, dass du als Frau nochmal eine andere Angriffsfläche darstellst. Das ist für rassistische Sexisten ein gefundenes Fressen.
Akbaba: Viele hinterlassen die Kommentare anonym, weil sie sich nicht trauen, diese Hasspostings unter ihrem echten Namen zu veröffentlichen. Es ist traurig, dass es so etwas immer noch gibt.

medianet:
Frau Akbaba, Herr Pettinger, Sie haben ‚Sie sprechen ja Deutsch!' zusammen geschrieben. Wie war der Schaffensprozess?

Pettinger: Der war eigentlich unkompliziert. Wir haben inhaltlich Kapitel unterteilt, und Eser hat alles aufgeschrieben, was ihr zu diesen Kapiteln einfällt. Zum Beispiel das Kapitel über ihre Familie, weil das sind Dinge, die kann ja kein anderer wissen.
Akbaba: Das Faszinierende an dem Buch sind die Märchen am Anfang jedes Kapitels. Diese Idee stammt von Jürgen. Ich war nämlich als Kind wirklich eine Träumerin.
Pettinger: Die junge Eser wächst in zwei Welten auf und weiß nicht, wo sie hingehört und in welche Richtung es geht. Logischerweise fängt man da als Kind an, sich seine eigene Welt zu erträumen. Darum war die Idee, darzustellen, wie es ist, wenn ein kleines Mädchen sich in die eigene Realität hineinträumt und auf diese Weise ihren eigenen Weg findet.
Akbaba: Es soll auch keine Biografie sein, sondern eine Erzählung, die eine Message mitgibt.

medianet:
Welche Message möchten Sie den Lesern mitgeben?
Akbaba: Ich möchte zum Nachdenken anregen. Ich sage immer: ‚Uns geht’s einfach zu gut in Österreich, wir jammern auf hohem Niveau.' Eine Main Message ist auch, wie wichtig Bildung ist. Meine Mama ist Analphabetin, sie hat letztens das Buch hochgehalten und gesagt: ‚Ich würde es so gerne lesen, aber ich kann nicht.' Es gibt heutzutage noch immer 750 Millionen Analphabeten – die meisten davon sind Frauen und Kinder. Das können wir uns nicht vorstellen, wir holen unsere Smartphones heraus und haben auf Google alle Informationen griffbereit …
Pettinger: Mir ist es bei dem Buch vor allem darum gegangen, einen Einblick in das Thema zu schaffen, es greifbar zu machen und in dem Fall Eser näher kennenlernen zu können, denn wie bereits gesagt, es gibt eine halbe Million ‚Esers' in Österreich …
Akbaba: … die nicht sichtbar sind.
Pettinger: Genau. Und darum ist es u.a. im Buch auch gegangen.

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