Wie wäre es 2016 mit Berge versetzen?
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PRIMENEWS 15.01.2016

Wie wäre es 2016 mit Berge versetzen?

Die Managementvordenker Anja Förster und Peter Kreuz analysieren, wie es gelingt, nicht mehr an alten Routinen festzuhalten.

••• Von Anja Förster und Peter Kreuz

Sylvester, Party, Feuerwerk – zuversichtlich und gut gelaunt haben wir regelmäßig zum Jahreswechsel große Pläne für die folgenden 365 – nein, 2016 sind es sogar 366 Tage. Ein toller Vorsatz wäre ja, sich im neuen Jahr nicht vom Tagesgeschäft auffressen zu lassen. Dann hätten wir mehr Zeit, mehr Luft und mehr Motivation, um kreativ zu sein und Neues zu entdecken und auszuloten. Leider aber versanden solche Vorsätze oft wieder ganz schnell, und schon sind wir zurück in der alten Tretmühle! Das muss nicht sein, wenn wir erstens verstehen, warum wir so fest an alten Routinen festhalten und dann zweitens aktiv etwas dagegen unternehmen.

Exploit and explore – Dualität des Erfolgs

Wir alle pendeln in unserem Verhalten ständig zwischen zwei Polen: Eben dem Tagesgeschäft, dem „Business as usual”, und den entdeckerischen, spannenden Tätigkeiten, die unsere Zukunft gestalten. Allerdings leben die meisten von uns aktiv eine enorme Unwucht zugunsten des Tagesgeschäfts. Bequem, aber gefährlich – denn Erfolg bedeutet nicht nur, die tägliche Routine störungsfrei abzuwickeln, sondern auch, sich Zeit für Neues zu nehmen und Wachstumschancen zu erschließen. Das ist der „Struggle between Exploitation und Exploration”, wie es James March, emeritierter Professor an der Stanford University, nennt. Klar: Exploitation betreiben wir, wenn wir bestehende Erfolgsrezepte ausschöpfen und das tun, was ansteht – wir fahren die Ernte auf dem bestellten Acker ein. Exploration bedeutet dagegen, ein neues Feld zu bestellen, und dafür (sowie dabei) weiter und auch mal um die Ecke zu denken. Beides ist wichtig, denn die Dinge, die uns dahin gebracht haben, wo wir jetzt sind, sind selten auch die, die uns in der eroberten Erfolgsposition halten. Wir wiegen uns aber oft in Sicherheit und denken, dass wir auf demselben Weg immer weiter gehen können, und dass die Erfolgsgaranten von heute auch die von morgen sind. Das ist fatal, denn wir landen so früher oder später in einer Sackgasse.

Die gewohnten Pfade zu verlassen, ist nicht leicht, denn wir sind emotional eng mit der Vergangenheit verbunden und halten daran fest – auch weil der Erfolg so süß schmeckt. Gegen das für die Exploration unvermeidliche Loslassen sträuben wir uns deshalb, und darum ist es so schwierig, Exploration und Exploitation zu vereinen – das gilt für Unternehmen wie für Individuen. Aber wir sind überzeugt: Um langfristig erfolgreich zu sein, müssen wir beides schaffen! Das Tagesgeschäft sorgfältig und konsequent abwickeln und neue Quellen für Wachstum erschließen, neugierig sein, unerschrockene Fragen stellen, unserer Kreativität mutig freien Lauf lassen. Nur diejenigen, die bereits in hochprofitablen Zeiten ihre Erfolgsrezepte hinterfragen, die Neues entwickeln, während das Alte noch gut läuft, werden auch in Zukunft weiter erfolgreich sein. Die Herausforderung ist also, dass wir auch im Tagesgeschäft immer Suchende bleiben und diese Suche im Beruf wie im Privaten nachhaltig gestalten. Dabei helfen uns die Fragen: „Was ist es wert, getan zu werden?” und „Was bringt mich meinen Zielen wirklich näher?” Der Clou aber ist die Gegenfrage: „Was könnte ich denn mal weglassen?” – denn dadurch entsteht erst der Raum für Neues.

Vom Nutzen einer Not-to-do-Liste

Ja, was können Sie weglassen? Natürlich am besten das Lähmende und Energiesaugende aus dem Alltag! Das macht den Kopf frei, um über Neues nachzudenken und interessante Projekte anzustoßen. Das kann sogar relativ einfach funktionieren: Vor etwa drei Jahren haben wir dazu einen Selbstversuch gestartet und den Entschluss gefasst, alles, was wir nicht mehr tun wollen, auf eine Liste zu setzen – sozusagen auf unseren ganz privaten Index: unsere Not-to-do-Liste! Die Auswahl der Kandidaten für unsere Liste funktioniert ganz einfach: Immer, wenn wir uns sagen: „Na, das hätten wir uns echt sparen können!” kommt ein misslungenes Stück Alltag auf die Liste und wird so ein für alle Mal entsorgt. Wir essen nun kein Fast Food mehr und auch keine Fertigmahlzeiten! Wir sehen nicht fern! Wir konsumieren keine Tagesnews und spielen nicht am iPad rum! Wir verbringen unsere Zeit nicht mit Menschen, die uns nerven, und führen keinen Smalltalk aus Verlegenheit! Das alles war für uns Reizmüll, Bekanntschaftsmüll, Konsummüll, Newsmüll, Nahrungsmüll – also weg damit!

Und jetzt ist uns erst so richtig bewusst, wie viele Kleinigkeiten uns täglich den Kopf verstopfen, ohne dass wir das direkt wahrnehmen. Um das durchzuziehen, braucht es erstens Selbstreflexion, um das Wichtige vom Überflüssigen zu trennen. Dann Selbstvertrauen, um „Nein” zu sagen und sich nicht darum zu scheren, was die anderen denken. Und Selbstdisziplin, denn die Liste macht nur dann Sinn, wenn wir sie ernst nehmen und diese Dinge konsequent nicht mehr tun. Aber der Lohn für die Mühe ist gewaltig: Jetzt haben wir den Kopf frei fürs Wesentliche! Um das zu erreichen, sollten Sie sich fragen: Was ist das Wesentliche für Sie? Und welche Unwesentlichkeiten stehen dem alltäglich im Weg?

Der 90 Minuten-Umsetzungstipp

Leider aber sind ja Unwesentlichkeiten und Kleinigkeiten in unserem Alltag sehr bestimmend. Das ist so, weil wir vergessen, „Nein” zu sagen oder Menschen, die „nur mal kurz eine Frage haben”, Vorfahrt einräumen.

Das war bei uns nicht anders: Tausend Baustellen, kaum hat man mal einen Haken auf der To-do-Liste gesetzt, kommt der nächste Anruf oder die nächste Mail dazwischen. Und am Abend dann dieses total unbefriedigte und bohrende Gefühl, den ganzen Tag lang nichts geschafft zu haben. Denn es sind definitiv die Unterbrechungen und Kleinigkeiten, die uns Stress machen. Der „Stressreport Deutschland” bestätigt, dass „bei der Arbeit gestört und unterbrochen zu werden” subjektiv empfunden zu den wichtigsten Stressauslösern zählt.
Auch der kanadische Management-Professor Henry Mintzberg beschreibt das in seinem Buch „Managing”, für das er 29 Führungskräfte besucht und jeweils einen Tag lang begleitet hat, so: „Ich erlebte einen Arbeitsalltag voller Hektik und Druck. Vor allem wird die ganze Zeit reagiert. Ständig mussten die Manager Sachen erledigen, die auf sie zukamen.”
Welche Medizin können Sie gegen dieses kleinteilige und reaktive Handeln einnehmen, das die guten Vorsätze, sich mehr um das Neue zu kümmern (Exploration!), so schlimm torpediert? Wir haben da einen Vorschlag, der vom amerikanischen Autor Tony Schwartz stammt – und den wir ebenfalls erfolgreich im Selbstversuch getestet haben.

An den wirklich wichtigen Dingen arbeiten

Wir beenden nun jeden Tag konsequent damit, die wichtigste Aufgabe für den nächsten Tag zu definieren. Am Morgen ist dann das Handy aus, das Mail-Programm geschlossen und der Webbrowser zu, und wir haben keinen Termin – auch nicht mit uns selbst. Und dann tun wir als allererstes an diesem Tag diese eine wichtigste Sache, und zwar 90 Minuten lang. Ohne Unterbrechung. Ohne Pause.

Und das ist fantastisch, denn am Morgen sind wir energiegeladen und voller Kreativität und Tatendrang. Dann schaffen wir Dinge, die wir danach nicht mehr hinbekommen. Nach 90 Minuten ist Schluss – dann darf der ganz normale Wahnsinn beginnen. Das Wunderbare ist: Abends sind wir viel zufriedener. Wir bekommen gefühlt – und auch ganz real – mehr erledigt. Und erstaunlicherweise geht uns auch der Rest des Tages leichter von der Hand.

Natürlich ist es nicht immer einfach, diese 90 Minuten am Stück durchzuhalten und jeder Unterbrechung zu widerstehen. Aber der Versuch lohnt sich! Und Sie können die Latte ja auch niedriger legen: Warum nicht die 90 Minuten wenigstens einmal pro Woche ansetzen? Und wenn die Kollegen oder Ihr Chef Sie neidisch beobachten, wie Sie morgens Berge versetzen, machen die vielleicht sogar mit. Oder Sie arbeiten zuerst 90 Minuten konzentriert zu Hause und gehen dann ins Büro. Oder Sie geben als Chef diese Idee an Ihr Team weiter und lassen Ihre Leute damit experimentieren. Finden Sie Ihre passende Variante der 90-Minuten-Medizin! Unsere Erfahrung ist: Unterbrechungsfrei arbeiten, reduziert nicht nur Stress und erhöht den Output, es macht auch enorm viel Spaß und eröffnet Perspektiven für Neues!




Anja Förster und Peter Kreuz sind international gefragte Vortragsredner und erfolgreiche Buchautoren. Ihr neuestes Buch „Alphabet des selbstbestimmten Lebens“ ist im Oktober 2015 erschienen. www.foerster-kreuz.com

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