medianet: Herr Winter, was macht das Covid-19-Virus aus der Immobilienbranche?
Bernd Winter: Wir können nicht von DER Branche sprechen, es gibt völlig unterschiedliche Entwicklungen in den einzelnen Bereichen. Generell sind die Immobilieninvestmentvolumina heuer in fast allen Regionen Europas massiv zurückgegangen, in der D-A-CH-Region (Deutschland, Österreich, Schweiz) allerdings weniger drastisch. Europaweit hat sich im Juni, als die ersten Lockerungen eintraten, wieder etwas mehr getan, in den kommenden Monaten wird in ganz Europa wieder ein Aufwärtstrend bei Investmentaktivitäten erwartet.
medianet: Warum steht Österreich im internationalen Vergleich relativ gut da?
Winter: Weil das Umfeld „stimmt“. Die Infrastruktur passt, die Gesundheitssysteme funktionieren, Wien bzw. ganz Österreich verfügt mittel- bzw. langfristig über eine sehr hohe Standortqualität.
medianet: Welche Bereiche florieren?
Winter: Die gefragtesten Assetklassen der letzten Monate waren Wohn- sowie Logistikimmobilien, da Investoren auf stabile Einkommensquellen angesichts der zunehmenden wirtschaftlichen Unsicherheit setzen. Stichwort: „Betongold“. Kleine Wohnungen – auch Vorsorgewohnungen – sowie auch Zinshäuser werden verstärkt nachgefragt, ich würde sogar sagen (noch) intensiver als vor der Corona-Pandemie. Dort steigen auch die Preise (weiter).
Einen regelrechten Boom erlebt der Logistikimmobilienmarkt, es werden ja z.B. auch (noch) mehr Pakete verschickt. Es gibt allerdings eine Ausnahme, das ist der Automotive-Bereich, der ist generell „out“.
medianet: Lässt sich die Sektorenaufteilung quantifizieren?
Winter: In Österreich haben Wohnimmobilien mit 36 Prozent des Investmentvolumens den Office Sektor (31 Prozent) im ersten Halbjahr bereits überholt, Logistikimmobilien sind mit zwölf Prozent die drittstärkste Assetklasse.
medianet: Welche Bereiche haben Schwierigkeiten?
Winter: Im Bürosektor wird es spannend – Stichwort: „Homeoffice“ –, da wurden auch viele Projekte gestoppt. Die größten Herausforderungen – sowohl auf europäischem Niveau als auch in Österreich – gibt es zurzeit für Retail-Immobilien bzw. in der Gastronomie und in der Hotelbranche. Für diese Bereiche gilt die alte Weisheit besonders, wonach die Lage der jeweiligen Immobilie von eminenter Bedeutung ist. Am Wörthersee läuft das Business ganz exzellent, so manches Hotel dort ist absolut ausgebucht. Es gibt aber auch in Wien Bezirke bzw. – gut Wienerisch – Grätzln, wo Corona kaum Auswirkungen gezeitigt hat oder wenn, dann sogar positive. Wer in der Gastronomie auf einheimische Gäste setzt und gute Qualität liefert, macht gutes oder sogar exzellentes Geschäft. Sieht man sich hingegen den Städtetourismus speziell in Innenstadt und Umgebung an, ist die Situation aktuell schlicht katastrophal und das wird sich wohl auch in den nächsten Monaten nicht ändern – große Messen und Kongresse brauchen ja eine beachtliche Vorlaufzeit.
medianet: Wie hat sich das konkret auf die Immobilienpreise ausgewirkt?
Winter: (Noch) Nicht dramatisch. Man wartet ab. Allerdings wird der Herbst sehr spannend, weil dann die Auswirkungen der vergangenen Monate so richtig zum Tragen kommen werden.
medianet: Und wie beurteilen Sie das Umfeld bzw. die Unterstützungsmaßnahmen?
Winter: Die Banken sind etwas restriktiver als vor der Corona-Zeit geworden. Überbrückungskredite sind natürlich wichtig, jedoch – Binsenweisheit, aber deswegen nicht weniger wahr – sie müssen ja irgendwann auch zurückgezahlt werden. Fixkosten- und Investitionszuschüsse sowie beschleunigte Abschreibung sind allesamt recht attraktiv, ändern aber kaum etwas an der bedrohlichen Situation z.B. für Betriebe, die zum größten Teil vom Tourismus abhängig sind (bzw. waren).
medianet: Gibt es auch technologisch bzw. soziologisch Bemerkenswertes?
Winter: Zu den Gewinnern der Krise zählt unter anderem der fortschreitende Digitalisierungsprozess der Branche. E-Invoicing kann in der Immobilienbranche eine Vorreiterrolle einnehmen und auch im Bereich Recruiting will man nicht mehr auf Webcam & Co verzichten. Dazu kommt der starke Boom bei virtuellen Besichtigungen bzw. entsprechenden Technologien.
Gesamtwirtschaftlich gesehen ist zu befürchten, dass die hohe Arbeitslosigkeit im Herbst und Winter bleibt bzw. vielleicht sogar noch dramatischer wird. Das hätte dann natürlich massive Auswirkungen auf die Einkommenssituation und damit auch z.B. auf den Wohnungsmietmarkt. Dabei ist Wien im Vergleich zu anderen europäischen Hauptstädten nach wie vor eine durchaus leistbare Mieterstadt. Hier kostet der Quadratmeter durchschnittlich 9,90 Euro. Zum Vergleich: In Luxemburg müssen Mieter mit 30,70 Euro pro Quadratmeter rechnen, in Paris sind es im Schnitt 28,30 Euro. Bei einer Stadt mit einer so hohen Lebensqualität wie Wien ist das durchaus bemerkenswert. Es ist allerdings damit zu rechnen, dass zahlreiche Wohnungen, die vor der Krise noch über Online-Plattformen touristisch vermietet wurden, nun langfristig regulär vermietet werden. Das würde den Preisdruck weiter erhöhen.
Auf Kaufpreise wird die Krise kaum Auswirkungen haben. In der letzten Rezession hat der Rückgang der Bautätigkeit in Kombination mit niedrigen Finanzierungskosten und nachfolgendem wirtschaftlichem Aufschwung die Wohnimmobilienpreise in ganz Europa in die Höhe getrieben. Dieses Mal ist es anders: Die Projektentwickler sind auf Komplikationen besser vorbereitet. Trotz Verzögerungen bei der Genehmigung von Bauvorhaben dürfte es zu keinem signifikanten Ausfall der Bautätigkeit kommen. (red)