Jetzt fährt man wieder, Gott sei Dank!
© ÖBB/Philipp Horak
FINANCENET REAL:ESTATE 18.12.2015

Jetzt fährt man wieder, Gott sei Dank!

Sechs Jahre Bautätigkeit um rund eine Milliarde Euro hat es gebraucht, bis der Wiener Hauptbahnhof wirklich fertig geworden ist.

••• Von Paul Christian Jezek

Genau genommen waren es ja deutlich mehr als die im Vorspann erwähnten sechs Jahre, denn das „Projekt Hauptbahnhof Wien” wurde bereits 2003 erstmals einigermaßen konkret.

Mit dem Beginn der Einreichplanung 2006 begann für mehr als 30 externe Büros eine intensive Arbeitsphase: Sie überprüften sämtliche Umweltauswirkungen und erstellten die Unterlagen für die Umweltverträglichkeitsprüfungen.
Mit Fahrplanwechsel 2009/10 wurde der Südbahnhof endgültig gesperrt und in den darauffolgenden Wochen abgerissen.
Im Jänner 2010 begann die eigentliche Bauphase, die bis zum Dezember dieses Jahres dauerte.

Die letzten Arbeiten

In diesen letzten Tagen 2015 wurde der letzte Abschnitt des Projekts (zwischen der Gudrunstraße und dem Hauptbahnhof) finalisiert.

Die endgültige Anbindung und damit die Herstellung der vollen Kapazitäten erfolgte intensiv und ganz zuletzt, um die Beeinträchtigungen im Bahnverkehr zu kurz wie möglich zu halten.
Die provisorischen Weichen- und Gleisverbindungen wurden entfernt und es wurde für die einzelnen Gleise der Lückenschluss mit den weiterführenden Streckengleisen hergestellt. Dabei konnte nur ein Gleis nach dem anderen bearbeitet werden, um den Bahnverkehr auch während der Bauzeit aufrechtzuerhalten, weshalb die Arbeiten in Tag- und Nachtschichten erfolgten.
Dabei wurde auch ein ca 1,5 km langer Tunnelabschnitt entlang der Arsenalstraße in Betrieb genommen, der den Richtungsbetrieb am Hauptbahnhof ermöglicht.
Damit kann ein kurzes Umsteigen direkt am Bahnsteig angeboten werden, da zwei Züge aus einer Richtung auf einem Bahnsteig zeitgleich einfahren können.

Endgültiges Ende der Monarchie

Ab nun werden die ÖBB ihren gesamten Fernverkehr ab/bis Wien über das Bahnhofsystem Wien Hauptbahnhof/Wien Meidling führen. Die beiden Bahnhöfe arbeiten betrieblich als zusammenhängende Einheit, die Züge halten an beiden Stationen. Durch die gute Anbindung an den öffentlichen Schnellverkehr sind damit alle Haltestellen der U-Bahn und Schnellbahn in Wien in weniger als einer halben Stunde erreichbar.

Mit diesem Schritt überwinden die ÖBB ein Erbe der Monarchie, hatten doch die drei Kopfbahnhöfe in Wien einen zeitgemäßen, modernen Bahnbetrieb im Herzen Europas erschwert. Wien Hauptbahnhof ist als moderner Durchgangsbahnhof konzipiert, der die Verkehrs­wege bündelt und eine leistungsstarke Drehscheibe mit neuen Verbindungen darstellt.
Mit der Vollinbetriebnahme hat der Hauptbahnhof zusätzlich die Funktion als Taktknoten übernommen: Fernverkehrszüge werden zur vollen und halben Stunde mit Anschlüssen zwischen den Achsen West-Ost und Nord-Süd sowie zum/vom Flughafen Wien fahren.

Mehr Züge, mehr Menschen

Auch für die ÖBB selbst hat der Wiener Hauptbahnhof positive Effekte: Die bisherigen drei Wiener Kopfbahnhöfe Westbahnhof, Südbahnhof und Südbahnhof Ost hatten das Mobilitätsbedürfnis der Menschen nur teilweise abgedeckt.

Das Verkehrsmittel Bahn konnte viele Wege nicht kundengerecht – oder nur mit überlangen Fahrzeiten – anbieten. Durch die räumliche Trennung mussten im Raum Wien drei vollwertige Produktions- und Technikstandorte betrieben werden – in Zukunft werden diese Arbeiten von den Technischen Services der ÖBB am Matzleinsdorfer Platz erledigt. Größere Arbeiten werden nach wie vor im Werk in Wien–Simmering erledigt, das vom Hauptbahnhof aus schnell erreichbar ist. Lange Überstellfahrten für den Fernverkehr wie etwa von Wien Westbahnhof durch das gesamte Stadtgebiet entfallen nun, denn Wien Hauptbahnhof ist der leistungsfähigste Bahnhof Österreichs: Aufgrund seiner Konzeption als Durchgangsbahnhof werden auf weniger Gleisen als am ehemaligen Südbahnhof viel mehr Züge fahren und deutlich mehr Menschen unterwegs sein.

Das Stadtentwicklungsgebiet

Vom Produktivitätszuwachs, der mit der Gesamtanlage Wien Hauptbahnhof erzielt wird, profitiert die gesamte Stadt: Statt früher 109 ha zu belegen, benötigt die neue Bahnverkehrsfläche nur noch rund 50 ha, also weniger als 50% der ursprünglichen Fläche.

Die anderen 59 ha kommen der Stadt und den Menschen, die in ihr wohnen, zugute: Auf dem Areal werden 550.000 m² Bürofläche, 20.000 Arbeitsplätze sowie 5.000 Wohneinheiten für rund 13.000 Men-schen errichtet. Dazu gibt es auch den Bildungscampus Sonnwendviertel, und in die Wohnungen entlang der Sonnwendgasse sind bereits die ersten Mieter eingezogen.

Der neue Fahrplan

Am 13.12. ist der neue ÖBB-Fahrplan in Kraft getreten, womit „offiziell” Vollbetrieb am größten Bahnhof Österreichs herrscht.

Alle ÖBB-Fernverkehrszüge fahren nun über Wien Meidling zum Wiener Hauptbahnhof und durch die Verknüpfung der West-, Süd-, Ost- und Nordstrecke in Wien Hauptbahnhof und Wien Meidling entsteht eine Verkehrsdrehscheibe mit direkter Anbindung an neun Nationen, alle österreichischen Landeshauptstädte und den Star-Alliance-Hub am Flughafen Wien.
Seit Sonntag erreicht man damit z.B. mit dem Railjet, aus Salzburg kommend, Wien um bis zu sieben Minuten schneller als bisher.
Generell kommen damit Bahnfahrer auf vielen Strecken schneller ans Ziel als Autofahrer, sagt Franz Bauer, Vorstandsdirektor der ÖBB-Infrastruktur AG: „Mit der Vollinbetriebnahme haben wir den Schlüssel im Schloss gedreht – völlig neue Mobilität entsteht.”

BEWERTEN SIE DIESEN ARTIKEL

TEILEN SIE DIESEN ARTIKEL