Bodenversiegelung: Der Augenschein trügt
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HV-Geschäftsführer Rainer Will, Studienautor Hannes Lindner und ACSP-Obmann Christoph Andexlinger (v.l.) sind um Klar­stellung bemüht.
RETAIL Redaktion 13.10.2023

Bodenversiegelung: Der Augenschein trügt

Eine neue Studie widerlegt, dass dem Handel eine tragende Rolle beim Flächenverbrauch zukommt.

••• Von Paul Hafner

Das Fass zum Überlaufen gebracht hat vor ziemlich genau einem Monat eine Anmoderation eines kurzen Fernsehbeitrags zur Flächenversiegelung in der „Zeit im Bild” auf ORF1. Überschwemmungen seien Folge der in Österreich „enorm hohen Verbauung der Landschaft”, so Moderator Tarek Leitner; für diese gebe es „einige Ursachen, eine davon sind Bodenversiegelungen von und für Einkaufszentren”.

Dieser Herausstreichung der Einkaufszentren (gefolgt von der Feststellung, in keinem anderen EU-Land gebe es „so viele Supermärkte wie bei uns und damit so viel Einzelhandelsverkaufsfläche pro Person”) geht bekanntlich eine lange mediale Assoziation mit umweltschädlicher Zersiedelung und mutmaßlicher Expansionswut des Handels, insbesondere des LEH, voraus. Nun rücken Österreichs Handelsvertreter aus, um dieses Bild wieder geradezurücken – und berufen sich dabei auf eine aktuelle Standort + Markt-Studie, die dem Handel einen Anteil von sechs Promille (!) an der gesamten Flächeninanspruchnahme in Österreich bescheinigt.

Treiber: Wohnbau und Verkehr

„Über Geschmack kann man diskutieren, über Fakten nicht. Der Handel ist mit 0,6 Prozent der gesamten Flächeninanspruchnahme in Österreich nicht der Treiber des Bodenverbrauchs, sondern eine Randerscheinung”, stellt Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will klar, der sich vor diesem Hintergrund auch über die „Bildersprache der Medien” mokierte.

Konkret seien für die bisherige Flächeninanspruchnahme schwerpunktmäßig der Wohnbau mit 45,4% und Verkehrsflächen mit 36,0% („die wahren Treiber”) sowie handelsfremde Betriebsflächen mit 10,9% hauptverantwortlich.

Der Augenschein trügt

„Die Handelsimmobilienbranche und der Handel stehen vor der Situation, mehr oder weniger ständig an den Pranger gestellt zu werden für etwas, für das er gar nicht verantwortlich ist”, beklagt auch Christoph Andexlinger, Obmann des Austrian Council of Shopping Places (ACSP). Auf Österreichs Einkaufszentren entfallen laut Studie 0,3% der versiegelten Fläche – „wer davon ableitet, dass unsere Branche der Treiber der Flächenversiegelung sei, liegt offensichtlich falsch und verkennt die Fakten”, so Andexlinger. In den vergangenen drei Jahren sei zudem „praktisch kaum ein Quadratmeter Flächenversiegelung durch Shoppingcenter neu hinzugekommen”, für den Zeitraum 2013 bis 2023 liegt der Anteil der neu versiegelten Fläche im Schnitt bei 0,19%.

Angesichts dieser Zahlen habe sich Andexlinger selbst die Frage gestellt, wieso es zu dieser Fehlwahrnehmung kam: „Der Handel, die Shoppingcenter sind Teil des täglichen Lebens, man sieht sie eben auch jeden Tag. Und dann glaubt man, es gibt nur den Handel – vielleicht ist das der Grund.”

Flächenverbrauch des LEH

„Gemessen am Wachstum anderer Sektoren, entwickelt sich der Anteil des Handels am Flächenverbrauch sogar unterdurchschnittlich – mit weiter rückläufiger Tendenz”, so Will.

Was den Lebensmittelhandel betrifft, betrug die Neuflächenversiegelung laut Studie im Schnitt der letzten drei Jahre 0,19 km². Der Handelssprecher rechnet vor: „Bei einer zuletzt neu versiegelten Fläche von 24 km² entspricht der Anteil des Lebensmittelhandels einem Wert von höchstens 0,79 Prozent an der gesamten jährlichen Neuversiegelung sowie einem Anstieg der bereits vom Lebensmittelhandel belegten Flächen um ca. 1,6 Prozent jährlich. Damit sichert die Branche die Versorgung unserer wachsenden Bevölkerung. Denn auch die Wohnbevölkerung Österreichs wuchs von 2022 auf 2023 um 1,4 Prozent.”
Mit einem Umsatz von rund 26,1 Mrd. € (2022) hat der LEH einen Anteil von 32% am gesamten Einzelhandelsumsatz. Gemessen an der Flächeninanspruchnahme, liegt der Kurzfristbedarf (Lebensmittelhandel und Drogerien) bei 40% der Flächeninanspruchnahme des gesamten Einzelhandels.

Regionale Unterschiede

Regional sind die Trends bei der Bodenversiegelung sehr unterschiedlich. Mit Abstand negativer Spitzenreiter ist das Burgenland; hier sind pro Einwohner und über alle Nutzungsarten hinweg bereits 500 m² versiegelt. Mit großem Abstand folgt Niederösterreich (402,8 m²) vor Kärnten (365,5 m²). Aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte und entsprechend dichter Bauweise am wenigsten versiegelte Fläche pro Kopf weist Wien mit 55,5 m² auf. (red)

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