••• Von Paul Hafner
WIEN. Noch vor dem Start von gurkerl.at in Österreich im Dezember 2020 verkündete deren CEO Maurice Beurskens den Anspruch, die Marktführung im bis dahin von Billa und Interspar dominierten Online-LEH zu übernehmen.
Wenngleich das dereinst für das erste Geschäftsjahr angepeilte Ziel noch nicht erreicht werden konnte, könnte es nur eine Frage der Zeit sein, bis es so weit ist. Ein anderes wurde nämlich schon übertroffen: Die ebenfalls für 2021 angepeilte Marke von 3.000 Bestellungen pro Tag wurde im Dezember geknackt, kurz vor Weihnachten registrierte man mit über 4.000 Auslieferungen sogar einen vorläufigen Höchstwert. „Momentan bewegen wir uns bei ca. 3.500 Bestellungen täglich”, erklärt Beurskens. „Wenn unser Wachstum so wie geplant voranschreitet, dann rechne ich damit, dass wir unserem Ziel im zweiten Quartal dieses Jahres sehr nahekommen werden.”
Ein wichtigerer Gradmesser für das erfolgreiche und plangemäße Wachstum als das Übertrumpfen des Mitbewerbs ist für die Rohlik-Tochter aber ohnehin die Zahl der täglichen Bestellungen – auch hier gibt sich Beurskens freimütig: Die 7.500er-Marke soll fallen, was folglich mehr als eine Verdopplung der aktuellen Menge bedeuten würde. Möglich machen soll das die Erweiterung des Fulfillment-Centers in Wien-Liesing auf ca. 10.000 m² sowie die Eröffnung eines zweiten Centers im Norden Wiens.
2.500 Mitarbeiter bis 2024
Neben der Abwicklung einer größeren Zahl an Belieferungen soll mit dem Ausbau der Kapazitäten auch eine Sortimentserweiterung auf rund 12.000 Artikel (Beurskens: „Etwa 25 Prozent davon werden auf Wünschen unserer Kunden basieren”) sowie eine noch nicht näher spezifizierte Vergrößerung des Liefergebiets einhergehen.
Als größte Herausforderung sieht Beurskens die Suche nach „motiviertem Personal”: „Aufgrund unseres Wachstums benötigen wir laufend viele neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Doch obwohl so viele Menschen einen Job suchen, ist der Ansporn, einen Job anzunehmen, anscheinend nicht so groß.”
Aktuell umfasst das gurkerl.at-Team 800 Mitarbeiter, davon rd. 60% im Fulfillment-Center, und zehn Prozent im Headoffice, die übrigen 30% sind Boten. Angesichts der neuen Lagerkapazitäten und der hohen Nachfrage sollen noch heuer 1.000 weitere dazukommen, bis 2024 will man auf insgesamt 2.500 Mitarbeiter aufstocken.
Die Konkurrenz schläft nicht
Begonnen hat die Geschichte der Online-Lebensmittelzustellung in Österreich bekanntermaßen lange vor der Pandemie: Vorreiter Billa stellt seit 2015 österreichweit zu. Konzerpressesprecher Paul Pöttschacher zufolge ist die Nachfrage „seit dem ersten Lockdown um rund 80 Prozent gestiegen – und dieser Trend hält weiterhin an”. Auch der Marktführer, im Übrigen neben Unimarkt der einzige Vollsortimenter, der bundesweit zustellt, habe seither „die Kapazitäten – bei Lager, Logistik und Personal – kontinuierlich erhöht und die Lieferzeitfenster entsprechend ausgeweitet”. Pöttschacher spricht von einem aktuell 9.000 Produkte umfassenden Sortiment, das auch beständig wachse.
Zahlenmäßig bedeckt, aber „mit der Entwicklung des Interspar-Onlineshops sehr zufrieden” gibt sich Spar. Eine Ausweitung des Liefergebiets (aktuell: Wien, Teile Niederösterreichs und Burgenland, Salzburg & Umgebung) ist Unternehmenssprecherin Nicole Berkmann zufolge aktuell kein Thema. 2020 hatte der 2016 lancierte Shop nach damaligen Unternehmensangaben eine Umsatzsteigerung von 50% zu verzeichnen. Der Marktführer im stationären LEH konzentrierte sich 2021 auf den Ausbau seiner Online-Vinothek weinwelt.at – und nahm im Herbst ein neues Lager in Loosdorf in Betrieb.
Neue Player machen Tempo
Parallel zu den nunmehr drei bzw. vier etablierten Größen (Unimarkt stellt klassisch per Post zu – und verzeichnet ebenfalls ein saftiges Nachfrageplus, wie die Lägerflächenverdopplung via Umzug von Wels nach Krenglbach unterstreicht) gibt es noch eine Reihe bis dato kleinerer Player, die sich am Markt zu etablieren versuchen.
Auf Wien bzw. Teile Wiens beschränkt, versprechen Jokr, Flink, Gorillas und Konsorten dank in der Stadt verteilter Mikro-Lager („Dark Stores”) eine blitzschnelle Zustellung – und rittern um Anteile an einem Markt, dem zwar mittel- und langfristig gute Chancen auf starkes Wachstum zu bescheinigen sind, die aber gleichzeitig kaum alle gewinnbringend überleben dürften. „Ich gehe davon aus, dass es zu einer Marktbereinigung kommen wird, so wie es beispielsweise auch mit den Anbietern von E-Scootern der Fall war”, meint Beurskens.
Wie sich der Onlinehandel mit Lebensmitteln über die Pandemie hinweg entwickeln wird, ist freilich offen; er mag dem Anschein nach im Mainstream angekommen sein, der E-Commerce-Anteil an den gesamten LEH-Umsätzen ist mit unter zwei Prozent aber weiter verschwindend gering. Es bleibt abzuwarten, als wie rentabel sich das Geschäft für reine „Onliner” mittelfristig erweist.