Die langsame Implosion der Geschäftszonen
© APA / Georg Hochmuth
RETAIL Redaktion 18.03.2022

Die langsame Implosion der Geschäftszonen

Die Verkaufsflächen des österreichischen Einzelhandels gehen weiter deutlich zurück – und das nicht erst seit Ausbruch der Pandemie.

••• Von Paul Hafner

BADEN / WIEN. Der jährliche „City Retail Health Check” von Standort+Markt, traditionell gemeinsam mit dem Handelsverband präsentiert, berichtet von einer Verschärfung des Shopflächenrückgangs: Die Analyse von 24 Geschäftsbereichen plus 16 ausgewählten Kleinstädten mit insgesamt 12.231 Shops (auf einer Fläche von über zwei Mio. Quadratmetern) weist ein Flächensaldo von minus zwei Prozent gegenüber dem Vorjahr und einen Anstieg der Leerstandsrate in den Innenstadtbereichen auf 6,1% (2020: 5,9%) aus.

„Die durchschnittliche Leerstandsquote in den heimischen Groß- und Kleinstädten erhöht sich allerdings auf 7,5 Prozent, da Kleinstädte im Schnitt einen deutlich höheren Leerstand aufweisen. Insgesamt hat sich die Leerstandsrate in den Primär- und Sekundärstädten seit dem letzten Jahr zwar nur moderat um 0,2 Prozentpunkte erhöht, es bleibt allerdings abzuwarten, welche Auswirkungen die Pandemie und aktuell die hohe Inflation auf das Shopflächengerüst der Cities haben werden”, fasst Hannes Lindner, Studienautor und Geschäftsführender Gesellschafter von Standort+Markt, zusammen.
Zwar sei das große Shop-Sterben bis dato ausgeblieben, doch habe sich der Trend zum Flächenrückgang doch merklich beschleunigt, immerhin lag dieser 2020 noch bei 1,2%. „Ohne den Teufel an die Wand zu malen, das ist schon ein deutlicher Rückgang”, so Lindner, der auch ausdrücklich darauf verweist, dass der Rückgang der Shopflächen schon seit 2018 im Gange und damit der Pandemie weit vorausgeht.

Shopfläche geht verloren

Ein anderer wesentlicher Aspekt ist für Lindner die Tendenz zur Flächenumwidmung: „Manche – vorerst als temporär eingestuften – Leerstehungen mutieren zu strukturellen, dauerhaften Leerstehungen, was die Eigentümer irgendwann schlussendlich doch dazu bewegt, nicht mehr länger auf eine Vermietung als Shopfläche zu hoffen. Anstelle der über Jahre hinweg leerstehenden Modeboutique rückt dann möglicherweise ein Radabstellplatz, ein medizinisches Labor, ein Co-Working Space oder eine andere, nicht mehr mit konsumnahen Geschäften verankerte Nutzung nach. Die Shopfläche geht verloren und wandelt sich zu einer anderen Nutzung.” Dieses Phänomen sei insbesondere in Cities mit (vormals oder heute noch) sehr weitläufigen Geschäftszonen zu beobachten. Lindner prognostiziert: „Hier werden wir bei zahlreichen Städten mehr oder weniger starke Implosionen der Geschäftszonen erleben.”Je nach Nachfragedruck würden hier Citykernzonen am besten überleben, „voraussichtlich die A-Lagen, die zumindest heute noch mit entsprechender Angebotsdichte und höherem Kundenaufkommen punkten”.

Triebfeder E-Commerce

Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will interpretiert die rückläufige Flächentwicklung poetisch als „stiller Zeuge der veränderten Konsumgewohnheiten und der Pandemie”. Allein im Mode- und Schuhhandel sei die Verkaufsfläche im Vorjahr um zwei Prozent eingebrochen: „Der Bekleidungssektor nimmt – auch aufgrund von langfristigen Mietverträgen – in den Innenstädten zwar noch immer fast die Hälfte der gesamten Geschäftsflächen im Einzelhandel ein, er hat aber in den letzten beiden Corona-Jahren massiv an den Onlinehandel verloren”, bringt Will die strukurverändernde Kraft des E-Commerce ins Spiel. Bei den 54.000 m² Verkaufsflächenverlust des City-Retail seien darüber hinaus 90% der Ortskerne und Peripherien der ländlichen Regionen noch gar nicht berücksichtigt: „Hochgerechnet ergibt das einen Verkaufsflächenverlust von 500.000 Quadratmetern – oder 80 Fußballfeldern.”

Verbesserung bei Kleinstädten

Eine erfreuliche Entwicklung offenbart sich bei den Kleinstädten: Ungefähr zwei Drittel der Cities des angeführten Kleinstädte-Samples konnten ihre Leerstandsraten im letzten Jahr senken; die problematische Situation in den Vorjahren scheint sich nun ein wenig aufzuhellen.

Bei den Primär- und Sekundarstädten legte vor allem Mödling eine fulminante Entwicklung hin und findet sich nun mit einer Leerstandsrate von nur 1,9% gleichauf mit der Meidlinger Hauptstraße in Wien auf Platz 1. Ein sehr gutes Ergebnis konnte auch Wels (2,6%) erzielen, das außerdem als einzige Stadt einen Vermietungsgrad von 100% in der A-Lage vorweisen kann. Größtes Sorgenkind trotz Initiativen wie der Erneuerung der Fußgängerzonen bleibt indes Wiener Neustadt mit einem neuerlichen Negativrekord von 29,5% Leerstandsrate.

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