••• Von Christian Novacek
Er gilt als der Handels-experte schlechthin in Österreich: Peter Schnedlitz, Vorstand des Instituts für Handel und Marketing an der Wirtschaftsuniversität Wien, nennt die Probleme des heimischen Lebensmittelhandels beim Namen – und stellt ihm im internationalen Vergleich, vor allem mit den USA, dennoch ein gutes Zeugnis aus.
medianet: Herr Professor Schnedlitz, Sie haben stets darauf hingewiesen, dass Lidl ein starker Player im heimischen LEH werden wird. Aktuell scheint die Entwicklung wieder deutlich zugunsten der Diskonter zu gehen. Wie erklären Sie sich das?
Peter Schnedlitz: Die Diskonter haben deshalb ein gutes Jahresergebnis erreicht, weil sie sich nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen. Bei einer derart eingeschränkten Sortimentstiefe und -breite besteht permanent die Gefahr, für die Kunden langweilig zu werden. Doch immer neue Ideen und Innovationen haben die Diskonter auf eine Erfolgsstraße gebracht. Natürlich muss auch das Kernsortiment den Qualitätsvorstellungen entsprechen. Der Branchenprimus Hofer legt die Latte sehr hoch, doch auch Lidl hat einen großen Schritt nach vorn gemacht: Mehr als eine Mrd. Euro Umsatz für Lidl, das hat vor fünf Jahren kaum jemand erwartet.
medianet: Haben Sie den Eindruck, dass die Einkaufswelten zwischen Diskont und Supermarkt weiter verschmelzen, oder gibt es aus Ihrer Sicht mittlerweile stärkere Abgrenzungstendenzen?
Schnedlitz: Eine Konvergenz der Formate lässt sich deutlich erkennen. Ich sehe darin eine Gefahr, da die Profile stumpfer werden. Niedrige Preise sind und bleiben das Rückgrat der Diskonter; ein Trading-up verwässert diesen strategischen Startvorteil. Vor 50 Jahren war Hofer ein Konserven- und Nudelgeschäft. An einem kalten Wintertag mit Rutschgefahr wurden einfach Sägespäne gestreut. Das wird es sicher nicht mehr geben.
medianet: Neue Wege der Supermärkte sind teils deutliche Grenzüberschreitungen – etwa in Richtung Gastronomie. Hat das Zukunftspotenzial?
Schnedlitz: Dazu ein aktuelles Beispiel aus der Innovationskiste von Wiesbauer, das nichts mehr mit der Bergsteigerwurst von dazumal zu tun hat: ‚Sous-Vide' ist eine in der heimischen Spitzengastronomie weit verbreitete Kochmethode; das frische Fleisch wird dabei im vakuumversiegelten Plastikbeutel bei niedrigen Temperaturen schonend gegart. Zu Hause ist das Gericht in einige Minuten fertig. Die Konkurrenz zwischen dem LEH, den Zustelldiensten und der Gastronomie wird sich mit derartigen Angeboten noch verschärfen.
medianet: Haben Sie jemals online Lebensmittel gekauft?
Schnedlitz: Ich habe einen persönlichen Grundsatz: Ich probiere alle Angebote selbst aus, damit ich mir auch ein Urteil bilden kann. Man bekommt den Eindruck, es ist professionelles Bemühen da. Solange aber ein derart dichtes Filialnetz besteht, kann ich das betriebswirtschaftliche Zahlengerüst, das dahinter steht, nicht nachvollziehen. Wenn ich Mitarbeiter bitten muss, möglichst viel online zu kaufen und nichts aus der Filiale einzukaufen, wo man arbeitet, nur um sie Umsatzstatistik zu schönen, dann kann das wohl nicht der Weisheit letzter Schluss sein.
medianet: Wer wird im eCommerce aus Ihrer Sicht letztlich die Nase vorn haben: Amazon oder Rewe und Spar?
Schnedlitz: Die eCommerce-Schlacht hat Amazon langfristig nach dem Prinzip ‚The winner takes it all' gewonnen. Doch im LEH werden die stationären Händler nicht zu besiegen sein. Ich habe schon vor mehr als fünf Jahren die Konvergenzhypothese formuliert. Die eCommerce-Händler werden nicht umhinkönnen, für frische Lebensmittel ein ähnliches Distributionsnetzwerk aufzubauen, wie das der stationäre Handel getan hat. Die einzige Alternative wäre ein Kooperationsmodell mit dem bestehenden stationären Handel oder gar die Übernahme einer Kette.
medianet: Inwieweit werden die Diskonter im Onlinebusiness nachziehen müssen? Oder ist da Ihrer Meinung nach eine Kompromisslösung wie bei Lidl Deutschland ausreichend?
Schnedlitz: Die Diskonter werden sofort aufspringen, wenn es sich rechnet. Sie werden aber kein Geld ‚verbrennen'. Schon heute hat Hofer die mit Abstand meisten Visits aller Händler auf der Homepage. Im Dezember 2017 wurde erstmals die drei Millionen-Latte übersprungen.
medianet: Oft wird heute der Vorwurf formuliert, Amazon grabe den österreichischen Händlern die Wertschöpfung ab. Andererseits gibt es beispielsweise bei den Elektronikmärkten Preisunterschiede zu Amazon von bis zu 200 Prozent; der emotionale Appell wird in solchen Fällen wenig nützen.
Gibt es aus Ihrer Sicht eine vernünftige Strategie der heimischen Händler gegen Amazon & Co?
Schnedlitz: Erstens muss man neidlos anerkennen, dass Amazon einen ausgezeichneten Kundenservice bietet. Amazon gewinnt in der Regel nicht mit dem besseren Preis, sondern mit vorteilhafter Convenience. Ich finde etwa die Kampagne mit Preisvergleichen von Hervis sehr spannend. Regionale Plattformen und Marktplätze können auch Sinn machen, doch das ‚rot-weiß-rote Mascherl' von Shöpping wird wohl genauso erfolgreich sein wie die entsprechende Heckflosse bei Austrian Airlines.
medianet: Was geht Ihnen im heimischen LEH ab? Sind Sie mit der Frische bei Obst & Gemüse zufrieden, oder leidet die bereits unter der hohen Dichte der Märkte, sodass zu viele Märkte letztlich zu wenig Frische bieten?
Schnedlitz: Die Sortimentsdrehung wird durch das ‚Overstoring' sicher nicht besser. Ich habe mir vor Weihnachten einen viel gerühmten Wholefoods-Markt in Ottawa angesehen. Diese Kette ist bekanntlich von Amazon übernommen worden. Die Realität ist: Das Niveau kommt bei Weitem nicht an einen neuen Billa oder Spar heran.
medianet: Wie problematisch sehen Sie den hohen Konzentrationsgrad im heimischen LEH? Hemmt die Eigenmarkenstrategie der Händler die Produktinnovationen?
Schnedlitz: Wettbewerbstheoretisch ist zu hohe Konzentration und Oligopolbildung immer schlecht. Diese ist aber nicht nur auf der Handelsstufe eingetreten. Auch in der Markenartikelindustrie dominieren in vielen Sortimentsbereichen nur mehr vier Anbieter. Wer was mehr hemmt, getraue ich mir nicht zu beurteilen ...
medianet: Können Sie die Preisunterschiede zum deutschen Lebensmittel- und Drogeriefachhandel – wie von der AK gern angeprangert – nachvollziehen?
Schnedlitz: In der Tendenz sind die Erhebungen der AK korrekt, wenngleich manchmal auch Erhebungsfehler passieren. Gefährlich finde aber, dass damit eine ‚Geiz ist geil'-Mentalität gefördert wird, die bei uns Arbeitsplätze gefährdet. Deutschland ist einfach das Billig-Land Europas schlechthin – mit einem Preisniveau, das wir nie erreichen werden. Alle Argumente dazu sind bereits vielfach genannt.
medianet: Welche Veränderungen im heimischen LEH erwarten Sie für 2018? Welche in der Fünf-Jahres-Perspektive?
Schnedlitz: 2018 wird ein Jahr der Konsolidierung werden. ‚Refurbishment vor Neueröffnung', lautet die Devise. Die Enttäuschungen mit der Entwicklung im eCommerce werden sich verdichten. Was in fünf Jahren sein wird, weiß in Wirklichkeit niemand. Vieles hängt davon ab, wie die Schlacht zwischen Amazon und Alibaba ausgeht.