Langsamen Schrittes in ruhigere Gewässer
© APA/Helmut Fohringer
RETAIL Redaktion 26.04.2024

Langsamen Schrittes in ruhigere Gewässer

Nach empfindlichen Rückgängen im Absatz macht sich in Österreichs Lebensmittelindustrie trotz mancher Herausforderung Zuversicht breit.

••• Von Paul Hafner

Für die rund 200 Unternehmen der österreichischen Lebensmittelindustrie galt für das vergangene Jahr in Sachen Zahlen mehrheitlich, was auch für die Händler gegolten hat: Einem wertmäßigen Plus stand ein mengenmäßiges Minus gegenüber, bedingt durch die Teuerung, die einerseits die Preise in die Höhe getrieben und gleichzeitig die Konsumlust gedämpft hat.

Bei einem jährlichen Produktionsvolumen von um die zwölf Mrd. € setzt die Branche das Gros im Export in über 180 Länder um. Die Außenhandelsbilanz der Lebensmittelindus-trie zeigt für das erste Halbjahr 2023 ein Plus gegenüber dem Vorjahreszeitraum von 445 Mio. €, was +9,4% entspricht; ein gleichzeitiger Mengenrückgang von 7,7% bezeugt, wie sehr 2023 vom Preisdruck geprägt war. Endgültige, offizielle Zahlen für das Jahr 2023 publiziert die Statistik Austria üblicherweise erst Ende Juni, doch gemäß Bericht der AMA-Marketing gab es zumindest im dritten Quartal 2023 nur wenig Entspannung – sie geht für den Zeitraum Jänner bis September 2023 immer noch von rückläufigen Absatzzahlen im Ausmaß von sechs Prozent aus. Zwar haben sich die Produktionskosten bei vielen Herstellern mittlerweile weiter verringert, doch geht es für die Industrie nur sehr gemächlich in ruhigere Gewässer; je nach Branche sind noch eine Reihe an Herausforderungen zu meistern.

Kakaopreise auf Allzeithoch

Während die Inflationskrise mit dem Ausbruch des Ukraine-kriegs im Februar 2022 assoziiert wird, der für eine bis heute nachwirkende Preishausse bei Energie, Logistik, Verpackung und Rohstoff gesorgt hat, reicht die Hochinflation in Österreich bis in den Sommer 2021 zurück und hält damit seit nun bald drei Jahren an; mit aktuell 4,1% liegt sie auf dem Niveau vom Herbst 2021.

Eine derartige Entwicklung sehnlichst herbeiwünschen würden sich indes die Schokoladenhersteller: Die Rohstoffpreise für Kakao verteuerten sich gegenüber 2022 um 175%, besonders in den letzten Monaten gingen die Preise steil nach oben: „Vor wenigen Monaten haben wir noch rund vier Euro aufs Kilo bezahlt, mittlerweile stehen wir bei acht bis achteinhalb Kilo. Das ist mehr als eine Verdopplung”, erläuterte Andreas Heindl, Geschäftsführer der gleichnamigen Confiserie, Anfang März in einem Interview mit Ö1. Seither gingen die Kakaopreise noch einmal kräftig nach oben – und es scheint nur mehr eine Frage der Zeit, bis sich die höheren Preise auch in den LEH-Regalen niederschlagen. Aktuell zeichnet sich dem Vernehmen nach ein niedriges zweistelliges Plus per Sommer ab.

Schweineteures Fleisch

Immerhin eine deutlich positive Entwicklung lässt sich der Außenhandelsbilanz der österreichischen Lebensmittelindustrie entnehmen: Die Ausfuhren nach Deutschland, dem wichtigsten Exportpartner, stiegen mengenmäßig um 1,1%.

Mit ein Grund dafür ist eine deutlich gestiegene Nachfrage nach österreichischem Schweinefleisch. Christina Mutenthaler-Sipek, Geschäftsführerin der AMA Marketing, begründet dieses mit dem Druck seitens des deutschen Lebensmittelhandels auf die Schweinebauern, höhere Tierwohlstandards zu etablieren; dies habe zur Folge, dass viele Hersteller ihren Betrieb aus wirtschaftlichen Gründen aufgegeben hätten – was wiederum zur Konsequenz hat, dass der Lebensmittelhandel auf Fleisch aus Österreich zurückgreift.
Ein einfaches Jahr hatten Österreichs Fleischverarbeiter mitnichten: Es sei nur „eingeschränkt gelungen, die massiven Steigerungen der Schweinepreise von durchschnittlich 25 Prozent in Form von höheren Preisen für Fleisch und Fleischprodukte an die nachgelagerten Stufen weiterzugeben”, berichtet Norbert Marcher, Geschäftsführer der Marcher Fleischwerke.
Die Fleischbranche sei „vielfältige Herausforderungen durchaus gewohnt”, dennoch müsse das abgelaufene Jahr „aus wirtschaftlicher Sicht als besonders herausfordernd bezeichnet werden”, schließlich belaste „auch die knapp zehnprozentige Lohnsteigerung die Rentabilität”. Was die langfristige Perspektive angeht, ist Marcher ob des Standings der heimischen Hersteller (Stichwort Tierwohl) optimistisch: „Die vielen namhaften österreichischen Fleischverarbeitungsbetriebe arbeiten auch im internationalen Vergleich auf höchstem Niveau und können deshalb zuversichtlich in die Zukunft blicken.”
Apropos Zuversicht: Eine neue Perspektive für den Exporthandel tut sich in Fernost auf. Durften Österreichs Schlachtbetriebe bisher lediglich Edelteile des Schweins nach China exportieren, besiegelte Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig im Zuge eines Peking-Besuchs die Möglichkeit, auch weniger wertvolle Teile (die hierzulande als Tierfutter verwertet werden) nach China zu veräußern: „Für China sind Ohren, Rüssel und Füße des Schweins Delikatessen, daher ergeben sich für Österreich zusätzliche Möglichkeiten, das Schwein nun gesamtheitlich zu vermarkten”, so Totschnig.

Importsperre aufgehoben

Ein weiterer Erfolg, ebenfalls die Fleischbranche betreffend, geht auf das Konto der Außenwirtschaft Austria der WKÖ: Diese konnte nach jahrelangen Verhandlungen durchsetzen, dass Österreichs Betriebe wieder uneingeschränkt Rindfleisch nach Japan exportieren dürfen. Infolge des BSE-Ausbruchs 2001 hatte Japan das Gros der europäischen Staaten mit einer Importsperre bei Rindfleisch belegt; nach einer ersten Lockerung 2017 wurde letzten Sommer eine vollständige Marktöffnung per 1. August 2023 besiegelt.

„Obwohl Japan selbst als Gourmet-Hochburg in Sachen Rindfleisch gilt – Stichwort Kobe-Beef – findet auch österreichisches Qualitäts-Rindfleisch eine interessante Marktnische im Land der aufgehenden Sonne”, kommentiert Ingomar Lochschmidt, Leiter des österreichischen AußenwirtschaftsCenter Tokio.
Auch vor der Aufhebung der Importsperre zeigte sich Rindfleisch 2023 als Exportschlager: Mit einem Absatzplus von +13,9% (Q1-3) zählt es neben dem erwähnten Schweinefleisch (+2,3%) und Äpfeln (+32,7%) zu den wenigen Ausnahmen an Lebensmitteln, die mengenmäßig zulegten.

Exportschlager Apfel

Die rasant gestiegenen Äpfelexporte wiederum erklären sich aus einer anhaltend gesteigerten Nachfrage in Deutschland: Bei einem Selbstversorgungsgrad von 57% im Wirtschaftsjahr 2022/23 lagerten bei den deutschen Erzeugerorganisationen auch per 1. Jänner 2024 um 22% weniger Äpfel als im Vorjahr. Schon in den Jahren zuvor ging rund ein Drittel der österreichischen Äpfelexporte nach Deutschland, was den großen Nachbarn hier zum wichtigsten Exportpartner macht (vor Italien und Spanien).

Was den heimischen Pro-Kopf-Verbrauch an Obst generell betrifft, so ging dieser 2022/23 gegenüber 2021/22 um knapp fünf Prozent nach oben (s. Seite 84). Beim Gemüse, dessen Verbrauch um drei Prozent zurückging, eröffnet – so seltsam das anmutet – der Klimawandel tendenziell neue Perspektiven, wie LGV-Vorstand Josef Peck vor zwei Wochen gegenüber medianet erklärte: „Einerseits haben wir in Österreich genügend Wasser, und andererseits können durch höhere Temperaturen im Frühjahr und Herbst die Saisonen verlängert werden. Mittelfristig werden Gemüsesorten gedeihen können, die im Moment eher südlichere Anbauflächen bevorzugen. Vielleicht kann aber durch den Klimawandel bei einigen bereits heimischen Gemüsesorten die Gemüsesaison verlängert werden.” Freilich stünden diese positiven Nebeneffekte in keiner Relation zu den „anderen Herausforderungen”, die der Klimawandel mit sich bringe.

Keine Preistreiberei

Medial wurde die heimische Lebensmittelindustrie 2023 insbesondere im Zusammenhang mit Vorwürfen der „Gierflation” erwähnt; kochte die Debatte, wer wie viel Schuld an der Lebensmittelteuerung hat, bis in den Herbst hinein immer wieder auf, flaute die Diskussion nach der Präsentation der „Branchenuntersuchung Lebensmittel” Anfang November fast schlagartig ab: Während dem LEH keine versteckten Preiserhöhungen oder erhöhte Handelsspannen und Gewinnmargen nachgewiesen werden konnten, wurde den heimischen Lieferanten ob unfairer Händlerpraktiken gar eine besonders prekäre Lage attestiert. Auch die oft genannten Preisunterschiede zu Deutschland sind laut Bundeswettbewerbsbehörde auf die unterschiedliche Preisgestaltung internationaler – und nicht der österreichischen – Hersteller zurückzuführen.

Optimistisches Resümee

„Die Kosten in der Produktion waren schlicht zu hoch und konnten nicht mehr alleine gestemmt werden”, resümiert Johann Marihart, Obmann des Fachverbands der Lebensmittelindustrie. Auch wenn für die mittelfristige Zukunft vieles offen sei, gehe die Lebensmittelindustrie optimistisch in die Zukunft: „Gerade jetzt heißt es, auf unseren Stärken aufbauen und etwas bewegen. Als Exportbranche stehen wir für den europäischen Binnenmarkt und unterstützen eine klare Strategie – weg von der Überregulierung und hin zu mehr Wettbewerbsfähigkeit für den Standort”, so Marihart.

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