••• Von Georg Sohler
Ein möglichst freier Verkehr von Waren ist eine der Grundlagen unseres heutigen Wirtschaftslebens. Das sehen nicht nur Unternehmen und politische Entscheidungsträger so, sondern auch weite Teile der Wissenschaft. Für Europa war der Handel lange Zeit ein bequemes Geschäft. Der an heute benötigten Rohstoffen eher arme Kontinent lebte gut davon. Moral und Ethik endeten allerdings zuweilen an den Grenzen des Kontinents. Das führte zu durchaus berechtigter Kritik an der Globalisierung. Doch die Wirtschaft verflocht sich immer weiter.
Ein Beispiel: Der Unfall der Ever Given im Suez-Kanal 2021 hat dem Vernehmen nach zu einem täglichen Transportausfall von Ladungsgütern im Wert von über neun Mrd. USD geführt. Um möglichst friktionsfreien Handel über Länder- und Kontinentalgrenzen hinweg zu ermöglichen, sind Handelsabkommen notwendig – entweder bilateral oder mit ähnlichen supranationalen Gebilden wie eben Mercosur.
Lange abgelehnt
1991 fanden sich die südamerikanischen Staaten wie Argentinien, Brasilien, Paraguay oder Uruguay zur Mercado Común del Sur (Gemeinsamer Markt des Südens) zusammen. Bereits seit 1999 gab es Gespräche über ein Freihandelsabkommen zwischen den beiden Blöcken. Ab 2016 wurde ernsthaft verhandelt, 2019 kam es zu einer prinzipiellen Einigung und 2024 wurden Nachverhandlungen über einige Punkte geführt.
Trotz Zusatzklauseln im Vertrag ist das Abkommen umstritten: Als man 2019 fertig verhandelt hatte, waren bis auf die Neos alle politischen Parteien des heimischen Nationalrats gegen das Abkommen. Nach wie vor sind die Mängel in Bezug auf den Schutz von Klima, Umwelt und Menschenrechten gravierend, sagt unter anderem die Umweltschutzorganisation Greenpeace. Auch die heimische Landwirtschaftskammer spricht sich dagegen aus. Von außen betrachtet ist dies ein eher seltsamer Schulterschluss. Auch wenn der Widerstand in Österreich und Europa bröckelt, wozu die sich immer schneller ändernde Weltlage beiträgt.
Eine andere Realität
Österreich ist zwar an einen Beschluss zum Nein aus 2019 gebunden, dieser könnte innerstaatlich geändert werden. Doch das muss vielleicht gar nicht sein. Zwar lehnen Staaten wie auch Österreich das Abkommen weiterhin ab, die EU-Kommission hat jedoch eine umstrittene Strategie in der Hinterhand. Mithilfe des sogenannten „Splitting”-Verfahrens könnte sie den Pakt teilweise durchsetzen – selbst wenn einzelne Länder dagegen sind. Der umstrittene Handelsteil benötigt dadurch nicht mehr Einstimmigkeit im Rat und es wäre auch keine Zustimmung der nationalen Parlamente mehr notwendig. Das wäre bei gemischten Abkommen eigentlich vorgesehen. Und das wird vielleicht geschehen. „Wir brauchen solche Abkommen, weil sie eine wichtige geostrategische Rolle spielen”, meinte dazu der ehemalige deutsche SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz im Februar 2024.
Rasche Veränderungen
Und tatsächlich ist die Liste an Disruptionen des für die EU bequemen Handelslebens lang und soll hier nur durch einige rezente Beispiele illustriert werden: Chinas staatlich angetriebener und aggressiver Wirtschaftskurs, Corona, der russische Angriff auf die Ukraine, Trumps erratische Zoll- und sonstige Politik. Europa steht überspitzt formuliert ohne Schwerindustrie und Rohstoffen da; die Konkurrenz der multipolaren Welt tendiert zum Autokratismus.
In Peking und Moskau offener als in Washington. Bisherige Handelspartner müssen oder sollten ersetzt werden. Neu sind die Mercosur-Staaten als Handelspartner zwar nicht, bei dem geplanten Abkommen geht es um eine Verstärkung der Handelsbeziehungen, die neue Möglichkeiten bieten soll.
Worum geht es nun? Die Wirtschaftskammer fasst das Abkommen so zusammen: Steigerung des bilateralen Handels mit Waren und Dienstleistungen; Schaffung stabilerer und berechenbarere Regeln und die Förderung gemeinsamer Werte wie nachhaltige Entwicklung durch Stärkung der Arbeitnehmerrechte; Bekämpfung des Klimawandels, Verbesserung des Umweltschutzes, Ermutigung von Unternehmen zu verantwortungsvollem Handeln und Aufrechterhaltung hoher Lebensmittelsicherheitsstandards.
Das sagt der Handel
Spar-Unternehmenssprecherin Nicole Berkmann erklärt die Nachverhandlungen pointiert: „Am Abkommen hat sich an sich nichts verändert. Im Kern geht es darum, Industrieinteressen in Europa mit Agrarinteressen in Südamerika abzutauschen. Diese Interessen führen per Definitionem dazu, dass Landwirte unter Druck kommen, Regenwälder zerstört und auch mehr Pestizide in Südamerika verkauft werden, die dann wiederum auf Europas Tellern landen.”
Ein Novum sei allerdings – und das ist aus Spar-Sicht eine zusätzliche Verschlechterung – der sogenannte Rebalancing Mechanismus. Das heißt: „Wenn in Europa ein Gesetz erlassen wird, das vermehrt den Regenwald schützen möchte oder Produkte mit Kinderarbeit verbietet, kann Südamerika aufgrund der „geschäftsschädigenden” Eigenschaft wiederum Zölle fordern.” Das mahnt auch die Rewe-Gruppe ein, die „kein Abkommen auf Kosten der Umwelt und der hohen europäischen und vor allem österreichischen Qualitätsstandards bei Lebensmitteln” haben will – auch wenn man dem Welthandel grundsätzlich offen gegenübersteht.
Differenzierte Betrachtung
Landwirtschaftskammer Österreich-Präsident Josef Moosbrugger lehnt ab: „Das Abkommen konterkariert unsere Bestrebungen zur Absicherung unserer regionalen Familienlandwirtschaft, Eigenversorgung sowie von Klima- und Umweltschutz.”
Rudolf Berger vom gleichnamigen Schinken-Hersteller wiederum sieht die Sachlage nicht gar so negativ: „Ganz grundsätzlich sind die potenziellen Exportchancen, die durch Mercosur entstehen könnten, nicht zu unterschätzen – vor allem für stark exportorientierte Branchen. Diese könnten zur Stabilisierung des Binnenmarkts beitragen.”
Angesichts globaler Herausforderungen wie des Klimawandels und sozialer Ungerechtigkeiten sind engere Kooperationen mit Handelspartnern nicht nur wünschenswert, sondern „dringend notwendig.” Das mahnt auch Monika Feigl-Heihs, ihres Zeichens Referentin in der Abteilung EU & Internationales der AK Wien, ein. Mit einem großen Aber: „Das nun geplante Handelsabkommen stützt sich allerdings auf ein veraltetes, zum Teil ausbeuterisches Wirtschaftsmodell, das nicht nachhaltig ist.”
Wem nutzt es?
Einzelne Branchen wie das Agrobusiness oder europäische Unternehmen, die vor allem Autos, Maschinen und Chemikalien in diese Region exportieren, zählen zu den Profiteuren des Abkommens. Gesamtwirtschaftlich betrachtet hat das Abkommen allerdings wenig zu bieten, so die Expertin: „Mit einem prognostizierten BIP-Wachstum von nur +0,1 Prozent nach zehn Jahren ist der wirtschaftliche Nutzen verschwindend gering. Im Gegensatz dazu sind die sozialen und ökologischen Risiken beträchtlich.” Gewerkschaften in den Mercosur-Ländern befürchten durch das Abkommen eine Deindustrialisierung sowie steigenden Druck auf die Arbeitnehmer.
Besonders im Agrobusiness und Bergbau seien „ausbeuterische und sklavenähnliche Arbeitsbedingungen” weit verbreitet. Ebenso fördere das Handelsabkommen den Export klimaschädlicher Produkte, was den Druck zur verstärkten Abholzung des Amazonas-Regenwaldes für Weide- bzw. Anbauflächen erhöht: „Insgesamt könnte es infolge des Abkommens zu einem Anstieg der Treibhausgasemissionen kommen. Durch den Vertrag kann also weder die Situation der Beschäftigten verbessert noch die fortschreitende Zerstörung von für das Weltklima wichtigen Ökosystemen aufgehalten werden.”
Und die Lösung?
Moosbrugger erinnert trotz dieser geringen BIP-Wachstumsprognose an eine Sache: „Auf den Agrarmärkten reichen bereits geringe zusätzliche Mengen aus, um die Preise in den Keller zu schicken.” Berkmann stimmt zu: „Mercosur hätte in der vorliegenden Form direkten Einfluss auf die heimische Landwirtschaft, diese muss aus Sicht von Spar aber geschützt bleiben, sonst können wir uns von der hohen Qualität in Österreich und unseren Landwirten verabschieden.”
Produzent Berger sieht diesen Punkt ähnlich: „Wenn Produkte mit deutlich niedrigeren Umwelt- und Tierschutzstandards zollfrei auf unseren Markt kommen, während heimische Betriebe unter höchsten Auflagen produzieren, dann ist das in meinen Augen kein fairer Wettbewerb.”
Antiquiertes Verständnis
Bei der AK wiederum ist man der Überzeugung, dass es andere Leitplanken braucht. Es sei eine neue Generation derartiger Abkommen notwendig, die den sozial-ökologischen Umbau der Volkswirtschaften und eine gerechte Weltwirtschaft vorantreiben. Weiters soll der Fokus auf die Einhaltung von Menschen- und Gewerkschaftsrechten liegen – und auch Strafen vorsehen.
Es brauche Vereinbarungen mit konkreten Schritten zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens, damit die Treibhausgasemissionen gesenkt werden. Die Abkommen sollen auch der Förderung regionaler Wirtschaftskreisläufe und von Entwicklungsmöglichkeiten dienen. Und letztlich soll der Handel von nachhaltigen Gütern bzw. solchen, die beispielsweise die Energie- und Mobilitätswende beschleunigen, gestärkt werden.
Am Ende ist der Handel aber selbst dafür verantwortlich, was in den Regalen steht. Darum gilt wohl das Rewe-Schlusswort: „Wir leben seit Jahren ein klares Bekenntnis zu regionalen Produkten und geben – wo immer möglich – österreichischen Erzeugnissen den Vorzug.” Dem muss aber dann auch der Konsument nachkommen.
