WIEN. Steigende Kosten, das lange Warten auf die Rückkehr der Konsumfreude, Konkurrenz durch Temu, Shein & Co: Die Suche nach Lösungen für die aktuellen Probleme des Handels stand gestern im Mittelpunkt des Handelstags, den die WKÖ-Bundessparte Handel bereits zum dritten Mal in der Wirtschaftskammer Österreich veranstaltete. Mehr als 200 Teilnehmer waren der Einladung zum wichtigsten Branchenevent des Jahres gefolgt, um mit Top-Expert aus Politik und Wirtschaft zu diskutieren, wie angesichts dieser schwierigen Bedingungen Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit gestärkt werden können.
WKÖ-Präsident Harald Mahrer betonte in seinen Eröffnungsworten, dass nun alle Hebel in Bewegung zu setzen sind, damit der Handel und die österreichische Wirtschaft insgesamt wieder in Schwung kommen: „Ich halte dabei nichts von diversen Belastungsfantasien. Was wir jetzt brauchen, ist vielmehr eine Entlastung. Das heißt, runter bei den Abgaben, insbesondere bei den Lohnnebenkosten, sowie Anreize, damit wieder mehr statt weniger gearbeitet wird. Dazu muss Vollzeitarbeit ebenso steuerlich attraktiver werden wie das Weiterarbeiten in der Pension. Zusätzlich müssen wir endlich etwas gegen das kaum noch zu bändigende Bürokratiemonster tun. Nur so können wir als Standort längerfristig wettbewerbsfähig bleiben.“
Ähnlich sprach sich Rainer Trefelik, Obmann der Bundessparte Handel, dafür aus, so manche Regulierung in Europa dringend zu überdenken: „Es kann nicht sein, dass wir die Pakete von Temu unkontrolliert hereinfluten lassen und diese von keinerlei Bestimmungen betroffen sind, mit denen die heimischen Unternehmen immer stärker konfrontiert werden, vom Lieferkettengesetz bis zur Entwaldungsverordnung. Hier muss es einen fairen Wettbewerb für alle geben.“ Zugleich wies Trefelik auf die großen Herausforderungen hin, die der Handel aufgrund von Krisen und den darauffolgenden Kostensteigerungen zu bewältigen hat. „Es ist notwendig, hier wieder auf ein vernünftiges Niveau zu kommen und das auf allen betrieblichen Ebenen. Denn Kostenexplosion und Umsatzentwicklung passen aktuell nicht zusammen“, so Trefelik.
Konsumentenvertrauen zurückgewinnen
Wifo-Chef Gabriel Felbermayr sieht die Wurzel der konjunkturellen Probleme in einer Vertrauenskrise. „Über die braucht man sich nicht zu wundern. Wenn die Hausaufgaben nicht gemacht werden, wenn keine Anpassung an die sich verändernden Rahmenbedingungen geschieht, dann resultiert das in einem Vertrauenstief“, so der Wifo-Chef in seiner Keynote. Zu den Hausaufgaben zählen etwa konsistente, glaubwürdige Maßnahmen im Bereich Arbeitsmarkt auf nationaler Ebene, um auf die demografische Entwicklung zu reagieren, sowie Maßnahmen auf europäischer Ebene, um den industriellen Kern Europas zu erhalten. Gelingt es, das Konsumentenvertrauen wiederherzustellen, dann ist Felbermayr für den Handel durchaus optimistisch, auch aufgrund der hohen Sparquote. „Wir hatten reale Kaufkraftsteigerungen, das Einkommen ist da. Es ist somit angerichtet für einen konsumgetriebenen Aufschwung.“
Trendexperte Jack Stratten von Insider Trends, der als Special Guest aus London zum Handelstag gekommen war, nannte als eine Herausforderung, dass der Einzelhandelsmarkt bereits gesättigt und die Konsument mit Angebot überflutet seien - sowohl was Produkte und Marken als auch was Marktplätze und Channels anbelangt. „In der Realität spielt das für die meisten Händler aber keine Rolle. Es geht darum, sich aus der breiten Masse abzuheben. Denn Handel bedeutet nicht bloß unendliches Angebot und billige Preise. Worum es geht, sind Qualität, die Story und Emotionen dahinter. Dies zählt heute mehr denn je.“
Vorsprung verschaffen durch Innovation
Welche Rolle Innovation für die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs spielt, dieser Frage widmete sich Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher und zeigte sich dabei überzeugt: „Jeder in Forschung und Entwicklung investierte Euro zahlt sich aus. Österreich wird immer ein Land mit hohen Lohn- und Sozialkosten sein, aber womit wir punkten können, ist Innovation. Dafür braucht es fairen Wettbewerb mit der Konkurrenz auch außerhalb der EU.“ Mit der europaweit dritthöchsten F&E-Quote sei Österreich ganz gut aufgestellt, es gibt aber nach wie vor Potenzial, gerade auch im Handel. „Innovation erfolgt nicht nur im Industriesektor, sondern Innovation kann genauso ein neuer Vertriebsweg oder ein neues Produktdesign sein. Wir haben hier auch Unterstützungsangebote. Es lohnt, sich darüber zu informieren“, riet Kocher den anwesenden Händlerinnen und Händlern. Und er betonte: „Mittel- und längerfristig entstehen Beschäftigung und Wohlstand nicht in jenen Ländern, die als verlängerte Werkbank gelten, sondern dort, wo Entwicklungsarbeit und Innovation passiert.“
Lebendig diskutiert wurden internationale Trends und mögliche künftige Erfolgsstrategien dann auch in einem Panel-Talk, an dem neben Bundesspartenobmann Rainer Trefelik und Trendexperte Jack Stratten auch Tina Nekvinda-Ohneberg, CEO und Founder von UKIYO Vienna, einem Well-being Concept Store, Barbara Seidelmann, Gründerin und Inhaberin von 5 Star Plus Retail Design sowie Kurt Stefan, Retail- und Marketing-Experte sowie Gründer mehrerer Unternehmen, teilnahmen. Auch hier zeigten die Beispiele aus der Praxis, dass jene Konzepte, die sich vom Mitbewerb abheben, am ehesten zum Erfolg führen.
Resilienz durch Multi-Channel-Strategien und Nachhaltigkeit
Den zweiten Themenblock des Tages, genannt Resilienz durch Multi-Channel-Strategien und Nachhaltigkeit, eröffnete Mariana Kühnel, stv. Generalsekretärin der WKÖ. „Die Covid-19-Krise und der Launch von ChatGPT haben im Bereich digitaler Transformation und Künstliche Intelligenz (KI) einen Schub gebracht. Dennoch sind die Chancen, die Digitalisierung und KI mit sich bringen, noch bei weitem nicht ausgeschöpft. Gerade im Handel sind diese Technologien vielfältig einsetzbar, das reicht von der Optimierung von Prozessen bis hin zur Erschließung neuer Kunden, wenn ich meine Produkte über digitale Kanäle etwa auch international anbieten kann“, so Kühnel, die betonte: „Studien zeigen deutlich: den Boost der Digitalisierung gilt es zu nutzen, denn je stärker ein Unternehmen digitalisiert ist, desto höher sind Beschäftigungs-, Produktivitäts- und Umsatzwachstum.“
Erfolgreiche Multi-Channel-Strategien diskutierte Mariana Kühnel auch mit Martin Buritsch, CEO der Brickcomplete GmbH, Thomas Leskowsky, Gründer von exvomo, Markus Miklautsch, Inhalber von Xretailer und Stilmelange sowie Moderator Kambis Kohansal Vajargah, Head of Startup-Services und Deputy Head of Founder-Services in der WKÖ. Einig war man sich dabei, dass online gekommen ist, um zu bleiben und die Nachfrage nach Internet-Bestellungen bedient werden müsse - egal, ob über einen Marktplatz oder den eigenen Online-Shop.
Dass auch Nachhaltigkeit die Resilienz stärken kann, davon zeigten sich Iris Thalbauer, Geschäftsführerin der Bundessparte Handel in der WKÖ, und Jelena Nikolic, Leiterin der Klimaschutzoffensive beim Handelsverband Deutschland (HDE), überzeugt. „Wenn ich die Energieeffizienz im Unternehmen steigere, tue ich nicht nur Gutes fürs Klima, sondern spare auch Kosten“, so Thalbauer, die gleichzeitig eine eigene Nachhaltigkeits-Serviceseite für österreichische Händler vorstellte, die die Bundessparte gestern gelauncht hatte.
Wettbewerbsfähigkeit stärken durch Zurückfahren der Überregulierung
WKÖ-Generalsekretär Karlheinz Kopf sprach die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Unternehmen an, die zuletzt massiv gelitten hat. „Wir haben ein einzigartiges Lebens- und Wirtschaftsmodell: eine wettbewerbsfähige Wirtschaft und gleichzeitig hohe Sozialstandards. Allerdings ist dieses Modell der sozialen bzw. ökosozialen Marktwirtschaft derzeit massiv unter Druck geraten“, so Kopf. Grund dafür sind nicht zuletzt hausgemachte Probleme: „Die Inflation durch den Energiepreisschock hatte in Österreich deutlich stärkere Auswirkungen auf die Lohnentwicklung als in anderen Ländern. Seit 2015 stiegen die Löhne und Gehälter um 30%, das ist um 10% mehr als im EU-Schnitt“, rechnete Kopf vor. „Diese Entwicklung kann man nicht rückgängig machen, umso wichtiger ist daher eine spürbare Senkung der Lohnnebenkosten“, so der WKÖ-Generalsekretär. Zudem kritisierte Kopf im anschließenden Talk mit Rainer Trefelik und Stephan Tromp, stv. Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland (HDE), die Überregulierung in Europa, die zurückgefahren werden müsse.
Peter Klimek, Direktor des Supply Chain Intelligence Institute Austria (ASCII), zeigte am Beispiel der Transformation im Automobilsektor, dass die gesamte Lieferkette aufgrund ihrer Komplexität kaum nachzuvollziehen ist, und betonte: „Um die aktuellen Herausforderungen - vom technologischen Wandel bis hin zur Sorgfaltspflicht in Lieferketten - besser zu bewältigen, zeigt unsere Forschung am ASCII, dass wir ein tieferes Verständnis unserer Wertschöpfungsnetzwerke benötigen. Nur so können wir erkennen, wie wir bestehende Stärken ausbauen und neue Stärken entwickeln können.“
Das letzte Panel des Tages widmete sich der Wettbewerbsfähigkeit im Zusammenhang mit europäischer Regulatorik und internationaler Plattformen. Mit dabei waren Kirstin Schreiber, Direktorin der DG GROW in der Europäischen Kommission, Peter Klimek (ASCII), Stephan Tromp (HDE), Iris Thalbauer (WKÖ), Peter Umundum, Vorstand Paket & Logistik Post AG und Connie Gaisbauer, Leiterin CSR der J. U. A. Frischeis GmbH, die schilderte, wie das Unternehmen bereits fünf Mitarbeiter allein dafür braucht, die umfangreichen CSR-Vorgaben zu erfüllen.
Iris Thalbauer und Rainer Trefelik appellierten daher noch einmal eindringlich an die Vertreterin der EU-Kommission, die Sorgen der Händler ernst zu nehmen und etwa bei der Entwaldungsverordnung nicht bloß ein wenig nachzubessern, „sondern sie neu aufzusetzen und das Inkrafttreten zu verschieben. Die Bestimmungenen müssen klar und praxistauglich sein“.