Europäische Unternehmen finanzieren zunehmend ihre Lieferketten selbst, während US-Konzerne überschüssiges Geld lieber an Aktionäre ausschütten. Das zeigt eine neue Analyse von Acredia gemeinsam mit Allianz Trade. „In Europa agieren Unternehmen wie stille Banker, nur im Gegensatz zu den Banken ohne Sicherheiten. In den USA dagegen werden Mittel aktiv zurück an Investoren gegeben“, sagt Gudrun Meierschitz, Vorständin der Acredia Versicherung.
Neuer Höchststand seit 2008
2024 stiegen die globalen Working Capital Requirements (WCR) – da sich der durchschnittliche Zahlungseingang (DSO) um zwei Tage verlängerte – von 76 auf 78 Tage. Das ist der höchste Wert seit der Finanzkrise 2008.
In Westeuropa verlängerte sich die Kapitalbindung um vier Tage – bereits das dritte Jahr in Folge. In den USA dagegen konnten viele Unternehmen ihren Bedarf senken, unter anderem durch Lagerabbau und bessere Steuerung der Finanzen. „Im vierten Quartal 2024 verzeichneten 35 Prozent der analysierten Unternehmen weltweit ein WCR von über 90 Tagen“, so Meierschitz.
US-Rückflüsse an Investoren
„Während europäische Unternehmen Kapital in der Lieferkette binden, nutzen US-Konzerne freigewordene Mittel für großzügige Rückflüsse an Investoren. Allein im ersten Quartal 2025 wurden Aktienrückkäufe im Wert von 234 Milliarden US-Dollar angekündigt – ein Trend, der sich auf über eine Billion US-Dollar im laufenden Jahr zuspitzen könnte“, sagt die Acredia-Vorständin. Besonders stark stieg der Betriebskapitalbedarf in den Bereichen Transport, Chemie, Energie, Einzelhandel, Maschinenbau, Metall sowie IT und Software. Nur wenige Branchen verzeichneten Rückgänge: In Europa etwa die Papierindustrie, der B2C-Dienstleistungssektor und die Hotellerie.
Zahlungsziele klar verlängert
Der Haupttreiber der gestiegenen Kapitalbindung war 2024 das deutlich verlängerte Zahlungsziel (DSO) um zwei Tage – stärker als der WCR-Anstieg insgesamt.
Während Lagerbestände weitgehend konstant blieben und die durchschnittlichen Zahlungsfristen gegenüber Lieferanten nur leicht zunahmen, erhöhte sich in Europa das gebundene Kapital deutlich.
Mehr Vorräte, höhere Forderungen und kürzere Zahlungsziele an Lieferanten: Europäische Unternehmen agieren zunehmend als stille Kreditgeber innerhalb ihrer Wertschöpfungsketten. „Allein zwischen dem 4. Quartal 2024 und dem ersten Quartal 2025 haben europäische Unternehmen rund elf Milliarden Euro an zusätzlicher Handelsfinanzierung bereitgestellt“, so Meierschitz. „Das entspricht etwa dem monatlichen Neugeschäft der Banken – ein beachtlicher Balanceakt zwischen Kundenbindung und Liquiditätsrisiko.“
Kapitalfrage Handelskonflikt
Ein eskalierender Handelsstreit – wie zuletzt rund um den „Liberation Day“ angekündigt – könnte die Situation weiter verschärfen. Zölle, wachsender Protektionismus und eine schwächelnde Konjunktur erhöhen den Liquiditätsdruck in vielen Branchen erheblich. „Im Worst Case müssten Unternehmen zusätzlich 8,5 Milliarden Euro in Europa und 15,5 Milliarden US-Dollar in den USA aufbringen – allein zur Finanzierung von drei weiteren Tagen Umsatzbindung“, warnt die Acredia-Vorständin. „Sollten in diesem Umfeld auch noch die Zinsen um einen Prozentpunkt steigen, etwa durch fiskalische Ausweitungen oder angebotsseitige Inflationsschocks, könnte der Kapitalbedarf sogar um 14 Milliarden Euro in Europa bzw. 26 Milliarden US-Dollar in den USA anwachsen.“

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