Zeitenwende am Kapitalmarkt
© APA/dpa/Arne Dedert
Verlustzone Die internationalen Aktienmärkte verloren kräftig an Terrain. Trotz des weiterhin schwierigen Umfelds würden weitere Rück­schläge laut ­Raiffeisen Research auch Chancen ­eröffnen.
FINANCENET Redaktion 04.11.2022

Zeitenwende am Kapitalmarkt

Nicht nur geopolitisch gab es eine Zeitenwende, auch in der Geldpolitik und am Kapitalmarkt findet sie statt.

WIEN. Die Europäische Zentralbank (EZB) erhöht die Zinsen im Sauseschritt, die Verluste am Aktienmarkt sowie am Markt für festverzinsliche Wertpapiere stehen kaum in etwas nach.

Raiffeisen Research hat sich eingehend mit den Implikationen der heuer vollzogenen einschneidenden Veränderungen im Bereich Geldpolitik, festverzinsliche Wertpapiere und Kapitalmarktveranlagungen beschäftigt.

Best Case moderate Rezession

„Der Eurozone droht im Winterhalbjahr 2022/2023 bestenfalls eine moderate technische Rezession und auf das Gesamtjahr 2023 gesehen höchstens ein Nullwachstum. Die Risiken sind nach unten gerichtet und schwer kalkulierbar. Investoren meiden derzeit das europäische Makrorisiko”, so Gunter Deuber, Leiter Raiffeisen Research. Erst wenn hier mehr Klarheit besteht, dann ist gemäß der Markteinschätzung von Raiffeisen Research wieder mit mehr Investorenvertrauen gegenüber europäischen Vermögenswerten zu rechnen.

Der kranke Mann Europas

Die schwache Notierung des Euros gegenüber dem Dollar sowie die Tatsache, dass Deutschland wieder als der wirtschaftlich „kranke Mann” Europas gilt, sind ein Spiegelbild der zögerlichen Investorenhaltung gegenüber Europa.

Auch verdichten sich die Hinweise, dass sich die Inflationsdynamik in Europa und Österreich verhärtet.
Raiffeisen Research prognostiziert gesamtwirtschaftliche Inflationsraten (Konsumentenpreisindex) für den Euroraum und Österreich auf Niveaus von 8% (2022), 6% (2023) und über 3% (2024). Das EZB-Inflationsziel von 2% wird mittelfristig außer Reichweite gesehen. Die Kerninflation (ohne Energie und Lebensmittel) könnte kommendes Jahr nochmals von 4% auf über 5% zulegen, auch wenn die Spitze bei den Konsumentenpreisen 2022 erreicht sein könnte.
„Wir erleben derzeit eine Preisniveausteigerung von 20 Prozentpunkten in wenigen Jahren. Zuvor haben wir dafür eine Dekade gebraucht”, sagt Deuber. Damit sieht Raiffeisen Research einen Kaufkrafterhalt am Kapitalmarkt als herausfordernde Aufgabe.

Umsichtiger Ausstieg der EZB

Die EZB hat in den vergangenen Jahren eine besonders umfassende (Bankenmarkt-) Steuerung betrieben, die Notenbank war bewusst in sehr vielen Finanzmarkt- und Kapitalmarktsegmenten aktiv.

„Die Bilanzsumme in Relation zur Wirtschaftskraft ist bei der EZB deutlich stärker angestiegen als etwa bei der Fed. Dies erhöht die Notwendigkeit eines geordneten und gut kalibrierten Ausstieges aus der unkonventionellen Geldpolitik”, sagt der Raiffeisen-Experte.
Deuber sieht ein hohes Maß an Marktunsicherheit, denn offenbar bleibt die EZB derzeit in der Kommunikation ihrer Strategie bewusst unklar. Damit ist die Volatilität der Renditen in Europa deutlich ausgeprägter als beispielsweise auf dem amerikanischen Kapitalmarkt.

Das Ende der Übertreibungen

Generell erwartet Raiffeisen Research ein Ende der nachfragegetriebenen Aktienmarktübertreibungen der letzten Jahre und ein gesünderes und ausgeglicheneres Veranlagungsumfeld.

Zeiten der signifikanten „Überrenditen” der Aktienmärkte gegenüber anderen Anlagekategorien (Fixed Income, Staatsanleihen plus Geldmarkt) sollte vorerst ein Ende finden.
Besondere Chancen sieht Raiffeisen Research auch wieder auf den (Lokal-) Währungsanleihemärkten in Zentraleuropa. „Die Kombination aus hoher laufender Verzinsung plus der Aussicht, dass sich die Zinsniveaus in Osteuropa mittel- und langfristig wieder dem Niveau in Westeuropa annähern, sollte für Anleger in festverzinslichen Wertpapieren strategische Chancen eröffnen”, so der Raiffeisen-Experte.

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