Präzisionsfertigung mit Cyborg-Charakter
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INDUSTRIAL TECHNOLOGY Redaktion 01.03.2024

Präzisionsfertigung mit Cyborg-Charakter

ABB und ZKW entwickelten Paradebeispiel einer echten Mensch-Roboter-Kollaboration – ganz ohne Käfige.

••• Von Helga Krémer

Dass Menschen und Maschinen gefahrlos miteinander zusammenarbeiten können, ohne durch Sicherheitszonen und Käfige voneinander getrennt zu sein, zeigt ZKW Lichtsysteme in Österreich. In den Fertigungsstraßen des Automobilzulieferers arbeiten zwölf kollaborative Roboter von ABB gemeinsam mit Produktionsmitarbeitenden an verschiedenen Werkstücken. Das spart nicht nur Geld, sondern macht die ­effiziente Fertigung erst möglich.

Gute Arbeit, gutes Licht

Die Fertigung von modernen LED-Beleuchtungssystemen für Premium-Fahrzeuge ist ein komplexer Vorgang. Diese erfolgt bei der ZKW, Spezialist für Premium-Lichtsysteme und Elektronik, in zahlreichen Arbeitsschritten und an bis zu 15 Fertigungsstationen. Teilweise sind die Komponenten so filigran und auch flexibel, dass sie von einer Person allein gar nicht montiert werden können, weil dafür mehr als zwei Hände notwendig wären. Neben dieser Schwierigkeit dürfen die Werkstücke bei der Montage nicht beschädigt werden.

ZKW Lichtsysteme beschloss daher, Teile der Fertigung mit einer kollaborativen Roboter-Applikation umzusetzen. Diese musste allen rechtlichen und sicherheitstechnischen Anforderungen genügen und ein hocheffizientes, gleichzeitiges Arbeiten an einem Werkstück ermöglichen.

Nacheinander keine Option

Eine Fertigung, bei der Roboter und Mensch direkt zusammenarbeiten und sich auch mal unabsichtlich berühren können, ist eher ungebräuchlich.

Häufig sieht die Zusammenarbeit so aus, dass Produktionsmitarbeitende den Arbeitsbereich aus Sicherheitsgründen nach einem Arbeitsschritt verlassen müssen, bevor der Roboter weiterarbeitet. So wird sichergestellt, dass sich niemand verletzen kann. Allerdings verlängert dies die Fertigungszeiten und verhindert die Montage von Komponenten, bei der Mensch und Maschine Hand in Hand arbeiten sollen. Eine solche Lösung kam daher bei ZKW Lichtsysteme nicht infrage.

An- und Herausforderungen

Moderne Lichtsysteme an Fahrzeugen bestehen unter anderem aus einer Vielzahl an LEDs. Diese werden aber in der Regel nicht einzeln appliziert, sondern in Form eines beweglichen Streifens mit zahlreichen LEDs vorproduziert und dann in mehrere Phasen in die vorgefertigte Lichteinheit montiert.

Dieser in FlexPrint-Technologie produzierte Streifen ist bei den von ZKW produzierten Lichtmodulen ca. 60 cm lang, sehr flexibel und sehr empfindlich gegen Vorschädigungen. Es wäre daher sinnvoll, ihn mit einem Roboterarm aufzunehmen und präzise am Werkstück zu so positionieren, dass ein Mitarbeiter bzw. eine Mitarbeiterin den bereits richtig positionierten Teil des Streifens „nur mehr” festschrauben muss. Roboter und Mensch würden so gleichzeitig am Werkstück arbeiten.

Präziser Zuarbeiter

Für die Aufnahme und Positionierung hat die ZKW Lichtsysteme ein Greifersystem selbst entwickelt, das an einem kollaborativen ABB-Roboter vom Typ GoFa CRB 15000 installiert ist.

Der Greifer hat sechs „Finger”, die den LED-Streifen von einem Träger aufnehmen und zur ersten Ablage- und Schraubposition bringen. Liegt der LED-Streifen in der richtigen Position, fährt jeweils ein Finger zur Seite, damit die bzw. der Mitarbeitende die Schrauben setzen und festschrauben kann. Der elektrische Stabschrauber kommuniziert dabei mit der übergeordneten, speicherprogrammierbaren Steuerung (SPS). Zudem orchestriert die Ablaufsteuerung die einzelnen Arbeitsschritte und Bewegungen des Roboters. Nach Bestätigung jedes erfolgreichen Schraubprozesses geht der Roboter in die nächste Phase über, um den restlichen Teil des Streifens in gewünschten Positionen zum Festschrauben zu bringen.

Entwicklung

Das Greifsystem ist komplex, darf dabei aber nicht die maximale Traglast von fünf Kilogramm des eingesetzten ABB-Roboters überschreiten. Daher haben die Techniker der ZKW Lichtsysteme, die den Greifer entwickelt haben, eine Carbon-Konstruktion gewählt. Gefräst, montiert und justiert wurde das Greifsystem durch die Auszubildenden des internen Anlagenbaus. Wichtig war zusätzlich, das Greifsystem gewichtstechnisch optimal auszutarieren, um keine Unwuchten bei den Drehbewegungen zu erzeugen.

Das Anlernen der Bewegungen und die Programmierung des Roboters hat ein Auszubildender im dritten Lehrjahr mithilfe der Simulations- und Programmier-Software RobotStudio sowie SafeMove von ABB umgesetzt. Das Robotersystem ist auch in der Lage, während der Produktion das Werkzeug zwischen linkem und rechtem Greifsystem zu wechseln. Aus Effizienzgründen wird dies im laufenden Betrieb aber so selten wie möglich durchgeführt. Der Produktionsschritt ist vollständig in die von ZKW konzipierte und programmierte SPS-Steuerung integriert. Die gesamte Anlage ist darüber hinaus ins interne SCADA-System eingebunden (Supervisory Control and Data Acquisition, zur Überwachung und Steuerung technischer Prozesse, Anm.)

In beengten Bauräumen

Ein weiterer ABB GoFa CRB 15000 kommt in einer anderen Produktionsstraße zum Einsatz. Dort müssen Schrauben auf sehr engem Raum zur Fixierung unterschiedlicher Bauteile eingesetzt werden.

Wichtig ist hier, im Prozess keine Schäden an der Lichteinheit zu erzeugen und die Schrauben sicher in verwinkelten Räumen und größeren Vertiefungen präzise zu applizieren. Die Schraubspindel ist ebenfalls eine Entwicklung des ZKW Anlagenbaus. Die Zuführung und Vereinzelung der Schrauben erfolgen automatisch. Auch hier wechseln sich Mensch und Roboter direkt an der Lichteinheit ab und sind häufig nicht weiter als 30 cm voneinander entfernt.

Zusammenarbeit

„Die Mitarbeitenden in der Produktion arbeiten richtig gerne mit den kollaborativen Robotern von ABB. Sie haben sogar Spaß daran, bei Demonstrationen zu zeigen, was passiert, wenn man den Roboterarm berührt. Sie haben keinerlei Befürchtungen, sich während der Arbeit zu verletzen oder zu stoßen”, sagt Christian Blamauer, Leiter Anlagenbau bei der ZKW Lichtsysteme, der die Leistungen „seiner” Auszubildenden besonders herausstellen möchte: „Sie haben sowohl den Greifer für den Cobot produziert als auch die Programmierung der Applikation übernommen. Dies zeigt, welchen hohen Stellenwert die Ausbildung und Förderung junger Talente bei der ZKW Lichtsysteme hat.”

„Professionell und kreativ”

Warum ABB? Die Auswahl sei auf das Unternehmen nach formalen Kriterien, aber auch den guten Erfahrungen gefallen.

Die ZKW Lichtsysteme ist Mitte 2023 in Österreich das Unternehmen mit den meisten im Einsatz befindlichen ABB-Cobots. „Leistung, Professionalität und Kreativität sind bei der ZKW Lichtsysteme besonders ausgeprägt. Die Einführung, Tests und Prüfungen wurden mustergültig umgesetzt. Die Roboter wurden nicht nur für einen Use Case als Prototyp validiert, sondern zügig in die industrielle Fertigung und Serienproduktion integriert”, beschreibt Dario Stojicic, Produktbereichsspezialist für kollaborative Roboter bei ABB Österreich, das gemeinsame Projekt.

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