Eine neue Modewelt
© Premiere Vision Paris
Transparenz, Unternehmenskultur, Nachhaltigkeit und Authentizität sind künftig die entscheidenden Erfolgsfaktoren.
LUXURY BRANDS&RETAIL irmie schüch-schamburek 20.03.2020

Eine neue Modewelt

Umbruch Kreation, Produktion, Kommunikation und Verkauf werden neu definiert.

Wien/Paris. Selten waren sich die internationalen Trend-Institute und -forscher auf der Pariser „Premiere Vision”-Messe so einig: Nichts bleibt so wie es ist. Ihr Ansatz: Es findet gerade eine nicht mehr verhinderbare, massive Werteverschiebung in der Gesellschaft statt, die unser Konsumverhalten radikal ändern wird. Gängige Denkweisen betreffend Profit, Wirtschaftlichkeit, Geschäftsethik, Nachhaltigkeit und Transparenz müssen völlig neu definiert werden. Es wird nicht länger der finanzielle Gewinn, sondern der „Social Benefit”, den eine Marke bietet, sowie Transparenz, Unternehmenskultur, Nachhaltigkeit und Authentizität maßgebend für den Erfolg verantwortlich sein.

Wertewandel

Nun könnte man argumentieren, dies sei bestenfalls ein „Luxusproblem” und betreffe nicht den überwiegenden Anteil der Mode- und Lifestylekunden. Wir befinden uns jedoch am Beginn eines großen Paradigmenwechsels, bei dem der Konsum einen anderen Stellenwert erlangt. Das soziale Image wird weniger über die neuesten, luxuriösesten Marken und Produkte oder konkreten Besitz definiert, sondern vielmehr die Person in ihrer Resonanz mit der Umwelt gesehen. Das bedeutet eine Abkehr von Fast-Fashion und Produkten mit einer geplanten Obsoleszenz, hin zu Slow-Fashion sowie Qualitätsprodukten.
Nach Fur-, Body- und Climate-Shaming zeichnet sich nun das Fashion-Shaming am Trendhorizont ab. Es gilt als oberflächlich, verschwenderisch und gestrig, sich stetig in neuer Kleidung & Accessoires zu zeigen. Positives Image hingegen bringen Vintage- sowie Second Hand-Stücke und Teile, die sich durch besondere Haltbarkeit beziehungsweise Nachhaltigkeit auszeichnen.
Die Lust nach Neuem wird den Menschen freilich nie ganz vergehen, schließlich befindet sich unsere Persönlichkeit in einem stetigen Reifungs- und Wandlungsprozess, der sich auch äußerlich manifestieren möchte. Das Konsumrad wird sich weiterdrehen, aber vermutlich nicht mehr in dem Tempo und in die Richtung wie bisher.

Heilsamer Schock

Wie verwundbar die Wirtschaft in ihren Abhängigkeiten ist, zeigt uns die aktuelle Corona-Krise, die nicht nur zu Lieferengpässen führt, sondern auch zu Absagen verschiedenster globaler und lokaler Veranstaltungen wie internationale Luxus-, Kunst-, Tourismus-, Buch- oder Weinmessen, Konzerte und vieles mehr. Die negativen wirtschaftlichen Folgen sind noch nicht abschätzbar, aber gewiss nicht unbedeutend. Statt in Schockstarre oder Panik zu verfallen, könnten Unternehmen diese Phase nutzen, um Markenimage, Produktionsprozesse, Lieferketten und Verkaufsstrategien neu zu definieren.

Neue Prioritäten

Die gefragte Trendforscherin Li Edelkoort rät in ihrer im Februar in Paris präsentierten Trendprognose zur „Stillness” als erstem Schritt in die neue Zeit, innere Einkehr und Reflektion. Nach dem ers­ten Impuls, die Notwendigkeit einer Veränderung erkannt zu haben, geht es nun darum, die Prioritäten neu zu definieren. Nur in der Stille der Innenschau entsteht der leere Raum, der mit neuen Werten gefüllt werden kann.
Dieser reflektierende Moment, der nicht nur Hersteller, sondern auch die ganze westliche Gesellschaft betrifft, spiegelt sich, so Edelkoort, in den Lifestyletrends Herbst-Winter 2021/22 wider: viel Weiß und Cremefarben, helle Pas­tells, ruhige, meditative Muster, sanfte Kontraste, weiche Formen – und ein bisschen dezenter Glitzer als Symbol kristallinen Wassers, Tau oder Schneeflocken.
Oder wie es Serge Carreira, Leiter der Emerging Brands-Initiative, in seiner Präsentation „The best is always to come” auf der Premiere Vision formulierte: Wir sehen einer fantastischen Zukunft entgegen – wenn wir die Angst gegen Neugier und den Fokus auf maximalen Gewinn gegen Sinnhaftigkeit tauschen. In einer schönen neuen Welt definiert sich der Preis nicht profan über billig oder teuer, sondern was zählt, ist das Gute, das Faire und das Beste. Wenn wir das zulassen, werden wir wieder zu dem zurückkommen, was Mode ursprünglich sein sollte, nämlich etwas, das uns träumen lässt, über das wir uns gern definieren und das wir weitergeben können.

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