Was ist Konsum wert?
© APA/AFP/Eva Marie Uzcategui
Shopping ist für die Menschen in der modernen Konsumgesellschaft Normalität, die Pandemie hat das eindrücklich gezeigt.
LUXURY BRANDS&RETAIL nunu kaller 16.06.2023

Was ist Konsum wert?

Gastkommentar Warum Corona das Kaufverhalten nicht grundlegend verändert hat.

Wien. Alle können sich noch erinnern: Pressekonferenz, virologisches Quartett – Leute, ab Montag ist alles zu! Lieferungen nur „kontaktfrei”, nur Supermärkte machten plötzlich Jahrhundertumsätze. Und alles war von einen Tag auf den anderen anders. Wir waren auf uns selbst zurückgeworfen, saßen in unseren Wohnungen. Die einen erkannten, dass sie viel zu viel Zeug hatten, die anderen, dass sie ihre Wohnung anders einrichten wollen. Ein bekannter Zukunftsforscher erging sich in romantisierten Vorstellungen, wie wunderbar das nicht alles werden würde, wenn wir erst mal draufgekommen sind, dass ja Luft und Liebe viel wichtiger sind als Mode und Möbel.

Nach dem Lockdown …

Man ging spazieren durchs leere, ruhige Wien. Die Innenstadt war verlassen, gelegentlich traf man einen anderen Spaziergänger, der so wie man selbst diese Menschenleere mit seinem Handy festhielt. Zu Hause hatte man plötzlich Zeit auszumisten. Viele merkten, dass sie sich mit jeder Menge Dingen umgeben hatten, die sie gekauft hatten und nicht brauchten, um Leuten zu imponieren, die sie nicht mochten (und manche schauten sich dann beim Gedanken an dieses Zitat auch die wiedergefundene „Fight Club”-DVD wieder an).
Aber es wurde auch irgendwie langweilig. Netflix lenkte zwar gut mit der absurden und leider doch echten Doku-Serie „Tiger King” ab, aber nach ein paar Tagen war da auch der Saft raus. Auch ich war eine von denen, die sich den Wiener Stadtwanderwegen stellte. Spazier um dein Leben. Schon bald konnte ich das Wort „Spazierengehen” nicht mehr hören. Was für eine verrückte Ausnahmesituation.

… zum Kaufrausch

Und dann war das Ende des ersten Lockdowns da, Geschäfte wieder offen. Man könnte glauben, dass der Verkauf von Mode und Taschen nur langsam wieder anlaufen würde, und stattdessen vor allem die Läden gut besucht würden, in denen es Dinge zu kaufen gab, die im Lockdown schlicht nicht verfügbar waren – ein neues Fahrrad mit entsprechender Beratung vor dem Kauf, orthopädische Einlagen oder Ähnliches. Doch weit gefehlt. Auf den großen Einkaufsstraßen und in der Innenstadt gab es vor mehreren Läden Schlangen vor Läden, deren Produkte während des gesamten Lockdowns verfügbar gewesen waren. Fast Fashion zum Beispiel, von Zara oder H&M, die hatten ja auch durchgehend den Onlineshop offen gehabt. Aber ich durfte auch mit eigenen Augen die Schlange vor Louis Vuitton am Wiener Graben bewundern.
Nach der ersten Verwunderung war mir bald klar: Diese Menschen hatten nicht das Produkt vermisst, denen ging im Lockdown nicht die Louis Vuitton-Tasche schmerzlich ab, sondern sie hatten die Handlung des Einkaufens vermisst. Das, was wir so gerne „Shoppen gehen” nennen, oder in den Worten meiner Mutter: „Schauen, wer schöne Brezn hat”. Das ist biochemisch sogar erklärbar: Beim Umschauen im Laden und Aussuchen der Ware, die wir zu Kasse bringen, schwappt uns regelmäßig eine große Portion Glückshormone ins Hirn, die dann einen regelrechten Kick auslösen. Außerdem verbinden wir Shoppen gehen, offene Läden, stetige Verfügbarkeit eines bunten Reigens an Produkten mit Normalität. So, und wonach sehnten wir uns wohl alle nach dem ersten, dem zweiten, dem dritten Lockdown sehnlichst? Richtig, nach Normalität und nach Glückskicks. Insofern: logisch.
Doch die Glückskicks könnte man auch billiger haben als per Ledertasche, die über und über mit Logos bedruckt ist. Dafür würde Zara oder sogar der zweimal Umfallen entfernte Tchibo es auch tun. Im Luxussegment kommt noch etwas dazu: Status – und Status herzeigen. Das funktioniert nicht nur beim Tragen der Taschen selbst, sondern auch beim Gesehen-werden beim Einkaufen. Und wo wird man besser gesehen als in langen Schlangen vor Luxusboutiquen? Eben.
Corona hat zwar kurzzeitig einen Stoppel auf den kollektiven Kaufrausch gesetzt – doch was passiert, wenn man etwas einfach nur zustoppelt, aber es innen drinnen weitergärt? Richtig, irgendwann geht’s über – und genau das ist nach den Lockdowns passiert. Wir sind in kurzfristigen Kaufrausch verfallen, von „gut und günstig” bis Luxussparte, alle wollten wieder die guten Gefühle, den Status und das Gefühl von Normalität haben, koste es, was es wolle.

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