••• Von Anna Putz
WIEN. „Es gibt sicher Menschen”, sagt Antonia Rados, „die mutiger als ich sind.” Die gebürtige Klagenfurterin, die für ihre Reportagen und Berichte aus Krisengebieten bekannt und ausgezeichnet ist, erlebte in den vergangen Jahrzehnten Kriege am Ort des Geschehens, interviewte Diktatoren und schrieb Bücher über ihre Erfahrung als Krisenreporterin. Es ist ein Job, in dem man Interesse für die Lebenswelten anderer Menschen mitbringen sollte, betont Rados. Ein Job, in dem sich Neugier und Vorsicht die Waage halten sollten, so die 68-Jährige.
Mit medianet sprach die Krisenreporterin über den Wandel, den der Beruf durchmachte, die Rolle von Social Media und die Afghanistan-Berichterstattung.
Ein entbrannter Wettkampf
Das Berufsbild des Krisenreporters sei heute ein „massiv” anderes, als noch vor 30 Jahren. „Früher war der Beruf exklusiver”, meint Rados. Aufgrund von Social Media und anderen Tools wurde Kommunikation zwar einfacher, aber auch „um einiges unsicherer und chaotischer”.
Ein weiterer Grund für den Wandel sei, dass die Propaganda von Armeen oder radikalen Gruppierungen von selbst einen Weg in die Berichterstattung findet. „Es ist ein Wettkampf darum entstanden, wie die Leute die Welt sehen. Und alle nehmen daran teil, nicht nur die Kriegsreporter”, schildert Antonia Rados.
Rados selbst sieht sich in ihrem Beruf „als eine Art Augenzeuge”: jemand, der neutral ist und das Gesehene berichtet. Die Lebensrealitäten anderer Menschen abzubilden, ist laut Rados das Dilemma des Berufs. Diese seinen meist „ganz anders, als man es sich vorstellt”, weniger extrem als angenommen, sondern vielschichtiger. „Realitäten sind komplex und ändern sich alle fünf Minuten”, fährt Rados fort.
Der Faktor Nähe ist einer, der in der Kriegsberichterstattung für sie eine entscheidende Rolle spielt. Dass wie bei deutschen öffentlich-rechtlichen Sendern das Korrespondenten-Studio in Neu-Dehli für die Afghanistan-Berichterstattung zuständig ist, verurteilt und kritisiert Rados nicht; ihre Auffassung sei aber, dass „Kriegsreportagen aus keinem Studio gemacht werden können”. Für Rados selbst steht fest: „Wenn man glaubwürdig sein will, muss man dort sein und vor Ort berichten.”
Information ist ein Virus
Während früher Reporter und Journalisten entschieden, welche Bilder aus Kriegsgebieten um die Welt gehen, sind es heute oftmals Algorithmen der Social Media-Plattformen. Diese haben, wie Rados betont, die Kriegsberichterstattung nachhaltig verändert. „Information ist wie ein Virus”, sagt Antonia Rados. „Man kann sie nicht aufhalten. Sie verbreitet sich unglaublich schnell. Das sehen wir auch in Kriegsgebieten”, beschreibt die Journalistin.
Dass Fotos oder Videos auf Social Media viral gehen und den Diskurs prägen, das ist Realität, meint Rados. Unabhängig vom Verfasser jener Beiträge aber hieße das aber nicht, dass Krisenjournalisten „nicht ihren Job machen müssen”, so Rados. In Zeiten der Informationsflut und Unsicherheit brauche es Journalisten vor allem für eines: Einordnung.
Ein Interview, das die CNN-Korrespondentin Clarissa Ward vor Kurzem mit Taliban geführt hatte, verbreitete sich schnell via Social Media. Kurz darauf wurde darüber diskutiert, ob und wie viel Stimme den Taliban im Diskurs gegeben werden sollte. Für Antonia Rados zählt diese Frage zu einer der „ewigen Debatten bei Konflikten”. Aber „alles ist eine Frage der Einordnung”, ergänzt Rados. Die Aufgabe von Kriegsreportern sei es, einen Kontext herzustellen, Zusammenhänge darzulegen, „ein Bild zu bieten, das gesamt ist”.
Das männliche Narrativ
Ein Problem, das Rados beobachtete, ist, dass jene gewinnen, die zuerst eine Heldengeschichte erzählen. „Und das sind sehr oft Männer”, erklärt Rados. Sie hätten, schmunzelt die Journalistin, „wie man auf gut österreichisch sagt, weniger Genierer”.
Wenngleich Frauen gegenüber Männern in der Kriegsberichterstattung „eine ganze Reihe an Nachteilen haben”, bestünden auch Vorteile. So könnte man als Kriegsjournalistin eher vor Ort mit Frauen reden, als ein Mann. Außerdem: Frauen würde das Attribut „Held” weniger anhaften als Männern. „Ich kann meinem Team sagen: ‚Das mache ich nicht, das ist mir zu heiß'”, veranschaulicht Rados. Männliche Kollegen würden das weniger leicht sagen können, da sie denken, sonst als Feigling abgestempelt werden zu können.
Dennoch, sagt Rados, „ist das Narrativ der Kriegsberichterstattung immer noch ein männliches”.
Unter Druck
Vor zweieinhalb Jahren war Antonia Rados zuletzt in Kabul. Schon damals ging es „drunter und drüber”. Überrascht habe sie die jetzige Situation nicht, sondern vielmehr die Schnelligkeit, in der sie eintrat. Die Amerikaner und der Westen, sagt sie, „sind eigentlich Opfer ihrer eigenen Illusion geworden”.
Dass nun Medien weltweit über Afghanistan berichten, betrachtet sie kritisch. Der Informationsbedarf sei groß, deswegen werde berichtet. „Aber gibt es sehr viele Afghanistan-Experten, die glaubwürdig sind? Nein, würde ich sagen”, gibt Rados zu bedenken. Hinzu komme, dass von Medien oftmals das Narrativ, Afghanistan hätte zu wenig für das eigene Land gekämpft, übernommen werde, ohne andere Sichtweisen zu kennen. Der ständige Druck, unter dem Nachrichten heute stehen, befindet Rados, „ist nicht gut für die Berichterstattung”. Auch nicht für die, die Afghanistan betrifft.
„Humanismus gibt es überall”
Antonia Rados sagt, sie führe zwei verschiedene Leben: „Wenn ich in Kriegsgebieten bin, bin ich die eine Person. Wenn ich zurückkomme, eine andere”, erklärt sie. Es sei ein permanenter Spagat und man habe Ängste, „die man nicht los wird”. Und dennoch sagt Rados: „Großzügigkeit, Mitgefühl und Humanismus gibt es überall. Auch in Kriegsgebieten.”
„In den meisten Kriegsgebieten”, erzählt Rados, „hätte ich nie überlebt, wenn mir nicht ein Fahrer oder jemand, den ich nicht kannte, einen Schlafplatz oder etwas zu Essen angeboten hätte.”