Der kreative Bogen von der Inspiration zur Kopie
MARKETING & MEDIA Redaktion 30.09.2022

Der kreative Bogen von der Inspiration zur Kopie

Stößt eine Kampagne von Jung von Matt Donau eine Grundsatzdiskussion in der Werbebranche an?

••• Von Dinko Fejzuli

WIEN. "Rechtlich ist meiner Ansicht nach wenig an der Sache dran: Wichtig ist, zu verstehen, dass das Urheberrecht keinen Konzeptschutz kennt. Soweit ich das anhand der mir vorliegenden wenigen Beispiele beurteilen kann, handelt es sich hier um keine Nachahmung derselben eigentümlich geistigen Schöpfung, sondern um einen Fall, in dem das gleiche Konzept verfolgt wird”, so die Analyse von Georg H. Jeitler, ein Sachverständiger für Urheberfragen, der aufgrund seiner eigenen Werbevergangenheit auf Streitfragen im Werbebereich spezialisiert ist, zu einer derzeit zumindest hinter vorgehaltener Hand aktuell heiß diskutierten Causa in der heimischen Werbebranche. Dabei steht die Agentur Jung von Matt Donau in der Kritik, für eine Kampagne beim Mitbewerber We Make Stories und deren Kunden dem Elektroauto-Abo Anbieter Vibe abgekupfert zu haben, was wiederum dazu führte, dass weitere JvM Donau-Arbeiten, die ebenfalls zumindest deutliche Ähnlichkeit mit anderen Kampagnen aufweisen, nun auch diskutiert werden.

„Frappierende” Ähnlichkeit

Aber der Reihe nach. Passiert ist Folgendes: Vor Kurzem hat das Umweltministerium eine von Jung von Matt Donau, dem Halter des Bundeskreativ-Etats, kreierte Energiesparkampagne (Bild r.o.) präsentiert, die, wie der Experte Jeitler gegenüber medianet meint, „wegen des ‚Color-Blocking'-Farbkonzepts auf den ersten Blick frappierend” der Kampagne eines Elektroauto-Abo-Anbieter ähnelt, die schon vor längerer Zeit lanciert wurde. Kreiert wurde die von der Agentur We Make Stories für den Kunden Vibe, einem Elektroauto-Abo-Anbieter, der zur Blaguss-Gruppe gehört.

Rechtlich okay, aber …

Und in der Tat: Schaut man schnell hin, könnte man, von den Farben bis zu manchen Mustern annehmen, es handle sich bei der Vibe- und der Energiespar-Kampagne um ein und dieselbe Kreation. Jeitler spricht gegenüber medianet von einer prinzipiell möglichen „Doppelschöpfung”, hält dies aber für weniger wahrscheinlich.

Der Experte verweist auf die in Branche übliche Vorgehensweise mancher, nach Inspiration zu suchen: „Die Kunst ist es, aus der Inspiration dann Neues zu schaffen.” Er meint, ungeachtet der anzunehmenden rechtlichen Zulässigkeit, durchaus kritisch in Richtung Jung von Matt Donau: „Fachlich gesehen sollte man einen Kunden sowie den Mitbewerb einer solchen Situation natürlich keinesfalls aussetzen”, sprich, die Ähnlichkeit der eigenen Arbeit hätte bereits weit vorher in der Entwicklungsphase im Rahmen von Recherchen Jung von Matt Donau auffallen müssen und „einen Abbruch der Kampagnenentwicklung gerechtfertigt”, so Jeitler.

So weit so ambivalent für Jung von Matt Donau, die in einer Stellungnahme medianet gegenüber meinen, dass ihnen die Eigenständigkeit ihrer Arbeit „sehr wichtig” sei und diese Eigenständigkeit würden auch Expertinnen und Experten sehen, denn „immerhin werden die Arbeiten unseres Teams seit Jahren beständig national sowie international ausgezeichnet. Wir haben mehrfach Cannes Löwen gewonnen und sind als erste österreichische Agentur unter den ‚Independent Agencies of the Year' als Nummer 14 im diesjährigen Cannes Lions Creativité Report gelistet”, so die Agentur weiter.

Plagiat oder nicht Plagiat?

Apropos Plagiat: Hier meint Jung von Matt Donau in derselben Stellungnahme: „Vorwürfe zu vermeintlichen Plagiaten begleiten uns unverständlicher-weise immer wieder. Das bedingt anscheinend die Reichweite und Größe unserer Kampagnen.”

Und genau dieses „immer wieder” scheint sich, betrachtet man Arbeiten der Agentur aus den letzten Jahren (s. Bilder und Links unten), zumindest deutlich anzudeuten, die rechtlich wohl keine Plagiate sind, aber im direkten Vergleich mit bereits bestehenden Kampagnen, wie schon Jeitler meinte, mit diesen „frappierende Ähnlichkeiten” aufweisen.

Bank hier, Bank da

Und was noch auffällt, ist, dass sich diese Ähnlichkeiten nicht nur auf die Kampagnen selbst beziehen, sondern oft auch oft auf den Auftraggeber, sprich eine Kampagne von JvM Donau für eine Bank ähnelt in vielen Details einer älteren Kampagne einer anderen Agentur ebenfalls für eine Bank, oder – und dies ist ein besonders auffälliges Beispiel – die Arbeit von JvM Donau für den Kunden Burger King, wo man in Richtung der LGBTQ+ Community einen „Pride Burger” bewirbt, bei dem dieser dann aus zwei Brotdeckeln oder zwei Brot-Böden besteht, statt wie „normal” einem Deckel und einem Boden und dann auch fast so heißt wie der Burger einer andere Agentur für den Mitbewerber McDonald’s, der ebenfalls aus zwei Deckeln oder zwei Brotböden besteht und in diesem Fall dann statt Pride Burger eben „Pride Bun” hießt, also Brötchen, bloß auf Englisch.

Hier ein Igel, da ein Kaktus

Doch es gibt weitere Beispiele: Auffallend ähnliche Schicksale hat auch in ihren Bank-Spots ein Igel von JvM Donau, der wegen seiner Stacheln keine Freunde findet und sich diese erst dann seiner erbarmen, als seine Stacheln mit Styroporstiften quasi abgestumpft werden und bei einer anderen Agentur (JWT Dominican Republic) ist es dann eben ein Kaktus – auch für eine Bank –, der ebenfalls wegen seiner Stacheln keine Kameraden hat und auch hier muss man die Stacheln zuerst entschärfen, damit dieser in die Freundesrunde aufgenommen wird.

Und auch einen viel beachteten Spot von JvM Donau, ebenfalls für ihren Bankkunden produziert, mit einem kleinen, singenden Mädchen auf einem Fahrrad als Protagonistin scheint es bereits davor, in einer mehr als ähnlichen Machart, verantwortet von der Agentur Wieden + Kennedy London für den Kunden Three, gegeben zu haben; und abermals, wie bei JvM Donau später, auch für einen Bankkunden, nur eben von einer anderen Agentur und früher produziert.

Neben den bereits genannten Beispielen gibt es einige weitere, die der medianet-Redaktion vorliegen, von denen Branchenkenner meinen, diese könnten eine Inspiration so mancher späterer JvM Donau-Kampagne sein. Schlägt man übrigens im CCA-Regelwerk zum Thema Doppelgänger nach, so steht dort Folgendes: „Doppelgänger sind Arbeiten von mangelnder Originalität und Individualität. Das bedeutet, dass diese Arbeiten in ihrer Gesamtheit ein hohes Maß an Übereinstimmung mit einer bereits bestehenden Arbeit ausweisen. Sie bedienen sich nicht bloß derselben Idee wie die bereits bestehende Arbeit, sondern auch derselben Umsetzung.”

Dubletten passieren allen?

CCA-Präsident Andreas Spielvogel findet übrigens zur JvM Donau vs. Vibe-Causa ­gegenüber medianet deutliche Worte: „Dubletten passieren nicht nur Jung von Matt, das passiert auch anderen Agenturen ab und zu. Es ist immer die Frage, wie man mit einer solchen umgeht. Was man der Agentur vorwerfen darf, ist, dass vor der Präsentation bzw. Veröffentlichung offenbar nicht beherzt recherchiert wurde. Vibe bloß über die Medien zum guten Designgeschmack zu gratulieren, ist aber aus meiner Sicht zu wenig – ein gemeinsamer Kaffee samt Aussprache/Sorry seitens JvM gegenüber We Make Stories, gerade unter CCA-Kolleginnen und -Kollegen, wäre aus meiner Sicht eine wogenglättende Idee. Wenn wir als Club hier vermitteln können, sehr gerne.”

„Das ist einiges”

Noch deutlicher wird Alexander Zelmanovics von Zeppelin, Emil, Ludwig, der ebenfalls auf die Doppelgängerregeln des CCA verweist, wenn es um die Frage geht, ob Dubletten etwas sind, das allen Agenturen passiert, oder ob es doch die eine oder andere Agentur gibt, die hier quasi überdurchschnittlich betroffen ist. Zelmanovics zu medianet: „Es ist mir vorher in dieser Dichte nicht aufgefallen, jetzt – nach Durchsicht einiger betroffenen Arbeiten – denke ich mir doch, das ist einiges.”

Zelmanovics spricht etwa beim McDonald’s-Spot vs. Burger King von „unfassbaren Ähnlichkeiten”, wobei das ja nur die eine Seite sei. Eine echte „Chuzpe” sei es, „solche Arbeiten dann auch noch bei Kreativbewerben einzureichen. Man sollte sich vielleicht besser nicht für etwas auszeichnen lassen, was schon mal dagewesen ist”, so Zelmanovics.

Der Werber erzählt gegenüber medianet auch von einem Erlebnis, passiert kürzlich in einem Gespräch bei einem Branchenevent, wo zum Vorwurf eines vermeintlichen Doppelgängers ein Marketingverantwortlicher meinte: „Besser gut abgekupfert, als schlecht selbst erfunden.”
Zelmanovics wird hier deutlich: „Das ist ein Unding. Wenn so etwas in der Werbebranche Platz findet, dann finde ich das dramatisch.”

Ähnlich äußert sich auch Mariusz Jan Demner, DMB., der zwar zu Jung von Matt Donau selbst nichts sagt, aber allgemein in die Branche hinein meint: „Es sollte immer um die Originalität von Ideen und die Überzeugungskraft in der Umsetzung gehen. In letzter Zeit scheinen auch bloße Umsetzungen zu reichen. Wir sollten darauf achten, dass wir nicht zur Recycling-Branche mutieren.”

Fehlende Qualitätskontrolle

Auf die Causa angesprochen reagiert Markus Wieser, Heimat Wien und früher selbst bei Jung von Matt in Hamburg, mehr als deutlich: „Netto drei Jahre meines Lebens habe ich in Hamburg bei Jung von Matt verbracht. Tag und Nacht. Ich hab sie geliebt, diese ewige Jagd nach der wirklich allerbesten Idee mit genialen Kolleginnen. Eines hat uns immer geeint: Es war verpönt, ja undenkbar, kreative Kuckucks-eier einzubringen. Umso mehr blutet mir das Herz bei dieser Serie an Einzelfällen – die eine klare Sprache spricht. Ungeachtet, ob Absicht oder bloße fehlende Qualitätskontrolle: Der Schaden ist immens – nicht nur für die betroffene Agentur sondern die ganze Branche. Dafür danke, echt matt, Jungs”.

McDonalds „Pride Bun“
Agentur Nord DDB 2017:
https://www.youtube.com/watch?v=krJGjdKtx6M

JvM 2022: „Pride Burger“ für Burger Kind
https://www.horizont.at/marketing/news/time-to-be-proud-burger-king-feiert-pride-mit-spezial-whopper-88416

BHD Bank „Kaktus“
Wieden & Kennedy NY. 2008
https://www.youtube.com/watch?v=CcO7MU2PmXc

JvM 2018: Erste Bank Sparkasse - Weihnachtsigel
https://www.youtube.com/watch?v=kMSDD619o7o

Three Mobile
#SingItKitty, Wieden & Kennedy London 2014
https://www.youtube.com/watch?v=faSHV6bBZWI

JvM 2018: Erste Bank und Sparkasse
https://www.youtube.com/watch?v=Q7ULM2iKbxc

Southern Comfort Beach
Wieden + Kennedy, New York 2012
https://www.youtube.com/watch?v=Uq-9QBUmELA&feature=youtu.be

JvM Erste Bank Sparkasse 2021
https://www.youtube.com/watch?v=7SeGaSD_pJk

Starbucks „Glenn“
Agentur Fallon NY
https://www.youtube.com/watch?v=14qeu7JRwt0

Karriere.at JvM 2021
https://www.youtube.com/watch?v=EKHNOfouKTo

Hornbach „Überall kann Garten sein“
Heimat Berlin 2021:
https://muk-blog.de/marketing-pr/hornbach-kampagne/

JvM 2022: Klimaticket
https://medianet.at/news/marketing-and-media/jung-von-matt-und-klimaticket-ich-bin-dann-mal-weg-48845.html

FDP Spot „Doofgedicht“
Agentur Heimat Berlin
https://www.youtube.com/watch?v=WRCPY796O88

JvM Mission 11, 2022
https://www.youtube.com/watch?v=FuWDVHGUCKc



Bildtexte:
Wiederkennungswürdig
Links oben der „Pride-Burger“ von Jung von Matt Donau und rechts der „Pride-Bun“ einer anderen Agentur für
Burger King von der Agentur Nord DDB. Darunter eine Kreation von Wieden + Kennedy, New York, aus dem Jahr 2012 für die Kampagne Southern Comfort: Whatever’s Comfortable, bei der der Protagonist trotz keines Adonis-Körpers selbstbewusst seinen Stolz vor sich herträgt, und daneben die Arbeit von JvM Donau für den Kunden Erste Bank. Mitte: Ein „3“-Spot aus dem Jahr 2014 von Wieden & Kenneda NY und daneben die Arbeit von JvM Donau für den Kunden Erste Bank. Unten: Ein BHD-Spot (Fallon NY) aus dem Jahr 2008 und der 2018er-Weihnachtsigel von JvM Donau.

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