Die Wiederentdeckung des Erlebniseinkaufs
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MARKETING & MEDIA Redaktion 03.06.2022

Die Wiederentdeckung des Erlebniseinkaufs

Aufgrund präziser Datenanalyse von Unternehmen wie sensalytics feiert das Showrooming fröhliche Urständ’.

••• Von Christian Novacek

STUTTGART. Der beste Store funktioniert nicht, wenn die Produkte nicht dort stehen, wo sie der Kunde wertschätzend wahrnimmt. Optimierungspotenziale in der Produktplatzierung zu heben, ist ein Gebot – ständig wird daran gefeilt. Das moderne Rückgrat dafür bieten Unternehmen wie sensalytics aus Stuttgart.

sensalytics analysiert das Kundenverhalten in Realtime und hat Vorzeigestores wie The Latest in Berlin oder in Stuttgart den Vaund Store sowie den temporären Kulturort Pop Kudamm ausgestattet. Neben dem Push in Richtung Store-Zukunft hat die Datenerfassung via sensalytics praktische Aspekte – etwa, wenn das installierte System erkennt, dass ein Besucher ein Produkt nicht findet und herumirrt.
Im medianet-Interview erklärt sensalytics-Chef Omar Tello, welche Dimensionen es mit sensalytics aufzustoßen gilt – und welche Möglichkeiten bereits offenstehen.

medianet: sensalytics misst Besucherströme und Besucherverhalten in Echtzeit im Geschäft – welche Analysedaten haben dabei die unmittelbar praktischste Auswirkung?
Omar Tello: Das sensalytics-System dient sowohl für strategische wie auch für operative Entscheidungen. Erstere benötigen natürlich einen gewissen Datenpool, der erst erhoben werden muss, bevor man wirklich strategische Entscheidungen wie zum Beispiel über die besten Spots für Rabatt-Produkte treffen kann. Die operativen Möglichkeiten wirken aber unmittelbar. So können bei maximalem Personenaufkommen im Geschäft, sagen wir einem Discounter, weitere Kassen schon einige Augenblicke vor dem eigentlichen Ansturm geöffnet werden, um die Wartezeiten auf ein Minimum zu reduzieren. Oder Mitarbeiter werden durch eine Push-Benachrichtigung auf ihrem Handy auf die Fläche gerufen, um Kundinnen und Kunden mit professioneller Beratung zur Seite zu stehen. Die Kundschaft wird es ihnen danken.

medianet: Können Sie ein Beispiel des praktischen Nutzens im Einsatz nennen, am liebsten im LEH?
Tello: Ja, unsere digitale Zutrittskontrolle, wie wir sie beispielsweise für Aldi Süd implementiert haben. Das hatte zum Höhepunkt der Pandemie für beide Seiten einen praktischen Nutzen: Das System erkennt, wann die nach Corona-Hygienevorschriften maximal erlaubte Personenzahl im Geschäft erreicht ist, und schließt oder öffnet die Türen automatisch. Aldi hatte dadurch jederzeit die Sicherheit, dass sie ihre Auflagen erfüllen – und können dies auch Monate später noch nachweisen.

medianet:
Wo ist sensalytics am besten eingesetzt und warum auf der Großfläche oder auch in der 600 m² Supermarkt-Filiale?
Tello: Das Besondere an sensalytics ist, dass das Produkt und die Software unabhängig von der Größe der Fläche funktioniert. Selbst der kleinste Store kann über die Besucherstrom-analyse Rückschlüsse ziehen. Ebenso arbeiten wir beispielsweise mit Stadien zusammen. Idealerweise funktioniert das System aber in kommerziell genutzten Flächen, auf denen sich Besuchende tatsächlich bewegen – etwa durch Kaufhäuser oder mehrgeschoßige Läden.

medianet:
Eine große Anlaufhürde bei technischen Innovationen ist der Anschaffungspreis – wie leistbar ist das System?
Tello: Wir erheben eine einmalige Gebühr für die Sensoren. Wie viele davon verbaut werden, hängt natürlich von der Größe der zu analysierenden Fläche ab. Grundsätzlich richten wir die Sensoren dabei so aus, dass so viele wie nötig, aber so wenige wie möglich verbaut werden. Die Analyse-Software selbst wird monatlich bezahlt. Um die Daten tatsächlich strategisch zu nutzen, reicht es nicht, die Besucherströme ein paar Tage oder nur wenige Wochen verfolgt zu haben. Der Return on Invest wird umso höher, je länger die Tracking-Software genutzt wird.

medianet: Eine notwendige oder eine luxuriöse Investition?
Tello: Man kann es auch von der anderen Seite sehen: Wer heute nicht in technische Innovationen investiert, wird in einigen Jahren von der Konkurrenz – sei es der E-Commerce oder anderen Handelstreibenden – überrollt werden. Das kann sich nun wirklich niemand leisten, der sein Geschäft ernst nimmt.

medianet:
Sie wollen die Datenerfassung über den Store hinaus auf die Einkaufsstraße ausdehnen – anhand einer Kooperation mit dem auf Passantenfrequenzen innerstädtischer Einzelhandelslagen spezialisierten Unternehmen hystreet. Was ist der Hintergrund der Kooperation?
Tello: hystreet und sensalytics teilen dieselbe Vision und Idee von einem modernen, datengestützten Handel. Das Credo lautet: ‚Wer mehr weiß, kann mehr bewirken'. hystreet misst Passantenströme in Innenstädten und kann somit genau aufzeigen, wie die Shoppingstraßen in Deutschland frequentiert sind, d.h. wie viele Menschen sich hier aufhalten und bewegen. sensalytics erweitert dies durch Instore-Path-Analytics. Durch die Kooperation können Händler genau ablesen, wie viel Prozent der Passanten ihren Laden betreten, wie lange diese dort verweilen und wo sie sich aufhalten. So können hochgenaue Capture Rates ermittelt werden, basierend auf der Echtzeitmessung von Passanten- und Besucherströmen.

medianet:
Mit welchem Ziel?
Tello: Den Einzelhandel endlich wieder attraktiv zu machen! Denn nur wer als Händler oder Stadt über die Frequenzen in der Stadt bzw. Straße und dem eigenen Shop Bescheid weiß, kann seine eigene Situation richtig einschätzen. Außerdem basiert die Frequenzmessung von hystreet technologisch bereits auf unserer Real-World-Tracking-Plattform. Da war eine Partnerschaft der notwendige nächste Schritt.

medianet:
Welche Rückschlüsse lässt die erhobene Einkaufsrate zu?
Tello: Als sensalytics lösen wir bereits eine wichtige Herausforderung im Einzelhandel, nämlich mit dem Wissen darüber, wie viele Käufer ein Geschäft im Verhältnis zu den Besuchern des Geschäfts wirklich hatte. Durch eine einfache Zählung an der Tür geht das nicht, sondern es benötigt die Laufwegsanalyse und entsprechende Besucherklassifikation. Man muss aber sehen, dass die Besucherzahl auch noch keine genaue Indikation dafür ist, wie erfolgreich ein Laden an einem bestimmten Tag wirklich war. Durch die Passantenzählung werden nun zwei weitere Herausforderungen gelöst: Erstens zeigen die Passantendaten Handelstreibenden, Immobilienbesitzenden und Verantwortlichen bei den Städten auf, ob die Innenstadt geschwächt oder gestärkt wird, und erlauben es so, die aktuelle Lage besser zu bewerten.

medianet: Was sind gute Werte und in welcher Relation muss ich die sehen?
Tello: Die Besucherzahl des eigenen Stores kann nur dann als gut oder schlecht kategorisiert werden, wenn man das insgesamt mögliche Potenzial kennt. Wenn an einem Montag beispielsweise 100 Personen im Laden waren und an einem anderen Tag nur 90, so sagt das noch nichts über die Performance der Turn-in-Rate aus. Nur wenn man die Zahlen in Relation zum Potenzial, also allen in diesem Zeitraum gemessenen Passanten setzt, kann man einen Erfolg oder Misserfolg von Kampagnen bewerten. Es geht bei der Frequenzmessung also immer nur um die Messung und Steigerung der Effizienz. Das gilt auch für die zweite Conversion-Rate: das Verhältnis zwischen Kaufenden und Nicht-Kaufenden.

medianet:
Es geht bei sensalytics auch wesentlich darum, den stationären Handel gegenüber dem E-Commerce fitter zu machen. Ist das allein mit Datenanalyse bewerkstelligbar?
Tello: Natürlich kann sensalytics allein den Einzelhandel nicht retten. Der stationäre Einzelhandel definiert sich über die Beratung vor Ort. Dieser USP ist durch digitale Kanäle schwer abbildbar. Den stationären Einzelhandel also datengetrieben und effizienter zu machen, dient der Stärkung dieses USPs.

medianet:
Wo wäre der Vergleich zum E-Commerce?
Tello: sensalytics ist einerseits ähnlich den Analytics-Tools im E-Commerce, gewissermaßen das ‚Google Analytics für die echte Welt'. Ohne diese Analysetools wäre der E-Commerce niemals so kräftig gewachsen, wie er es tatsächlich ist. Dieses Feature wollen wir auch in den stationären Retail tragen. Wir gehen aber noch einen Schritt weiter und wollen die Customer Journey nachweislich stärken. Dazu dient neben der bereits erwähnten Analyse des Besucherverhaltens auch die von uns entwickelte CX-Engine: Diese analysiert, wann ein Kunde Hilfe benötigt, ob zusätzliche Kassen geöffnet werden müssen, etc. und sendet eine Mitteilung an das Smartphone oder die Smartwatch des Personals, welches dann auf die Fläche gerufen wird.

medianet:
Klingt, als wären Daten das Um und Auf im Einzelhandel.
Tello: Wir glauben fest daran, dass der Einzelhandel von morgen – am besten schon von heute – datengetrieben ist. Viele Händler verlassen sich bis heute auf ihr Bauchgefühl und dieses ist in der Regel auch gar nicht verkehrt. Doch nur Daten und Fakten können Erfolge und Misserfolge konkret beweisen.

medianet:
Sollen ‚schlechte' Daten zur Geschäftsschließung führen?
Tello: Unser Ansatz besteht natürlich nicht darin, Geschäftsschließungen zu erzwingen. Im Gegenteil: Wir geben Händlerinnen und Händlern sowie Immobilienbetreibenden ein Werkzeug an die Hand, mit dem sie ihre Prozesse, ihre Produktpositionierung, die Wegeleitführung, das Sortiment und vieles weitere optimieren können – immer mit dem Ziel, die Zufriedenheit der Kundschaft zu steigern.

medianet: Reicht die Frequenzmessung, um valide Aussagen über Erfolg oder Misserfolg des Geschäfts treffen zu können?
Tello: Die Frage über Geschäftsschließungen ist viel komplexer als durch die einfache Frequenzmessung. Am Ende geht es immer darum, einen Laden effizient zu betreiben. Hierbei gehören Frequenzdaten genauso dazu wie Customer Retention, Flächenproduktivität und natürlich die Mietkosten. Alles in allem braucht es eine genaue Datenlage, auf die man sich verlassen kann.

medianet:
Das datenbasierte Modell ‚Retail-as-a-Service' sehen Sie als neue Hoffnung im Einzelhandel. Sie verweisen im Kontext auf RaaS-Stores wie The Latest in Berlin, Vaund in Hannover und Stuttgart oder urbanbird in München. Alle punkten mit Showrooming. Ist der Erlebniseinkauf, wie er dort praktiziert wird, breit ausrollbar? Wie kann ich mir RaaS im Lebensmittel-Verbrauchermarkt vorstellen?
Tello: Die heutigen Retail-as-a-Service-Stores zeigen am deutlichsten auf, worum es beim Shopping in den Innenstädten wirklich geht: Produkte an- und auszuprobieren, mit neuen Produkten in Kontakt zu kommen sowie den persönlichen Kontakt und die Beratung von geschultem Personal zu erhalten. Erlebniseinkauf ist der Kern des stationären Einzelhandels. Kein Mensch fährt mehr für ein USB-Kabel in die Stadt. Aber wer auf der Suche nach Geschenken, neuen Produkten usw. ist, sollte einen Einzelhandel vorfinden, der diesem Bedürfnis gerecht wird. Natürlich kann nicht die ganze Innenstadt voll mit Showrooming-Stores sein, aber das, was wir heute vielerorts vorfinden, sind Lagerhäuser mit Kassen. Wir denken schon, dass ein Mehr an Showrooms, Experience-Center, Cafés, etc. zur Innenstadt der Zukunft beitragen wird.

medianet:
Rettet der Showroom den stationären Handel vor dem Abwandern der Erlöse in den E-Commerce?
Tello: Es geht darum, die Essenz des physischen Shoppings zu stärken. Denn am Ende ist es doch so: Konsumenten von heute greifen auf mehrere Kanäle zurück, um sich von einem Produkt zu überzeugen. Kaufen kann man heute online oder offline. Beim Kauf entscheidet aber immer der Preis. Warum also nicht im stationären Einzelhandel weg vom klassischen Abverkaufsmodell und hin zum ‚Impressions'- oder ‚Interactions'-Modell gehen? Hierbei profitieren alle: Konsumenten erhalten die bestmögliche Beratung im stationären Einzelhandel und kaufen günstig entweder off- oder online. So erzielen Online- als auch Offline-Plattformen Umsätze.

medianet: Mit wie viel Abstrichen gilt das auch für den Lebensmittelhandel?
Tello: Im Lebensmittelbereich verhält es sich meiner Ansicht nach anders. Dort sehe ich eher teil- und vollautonome Stores zur Steigerung von Effizienz und Komfort. Hier gilt es, unnötige Kosten zu reduzieren, bei gleichzeitiger Erhöhung der Nachhaltigkeit und Qualität.

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