••• Von Georg Sohler
Die Kollektivvertragsverhandlungen zwischen Arbeitgebern und -nehmern im Handel waren wieder langwierig. Die Angestellten verhandelten sieben Runden lang und einigten sich noch vor Jahreswechsel auf ein durchschnittliches Plus von 8,43%; die Arbeiter schlossen nach drei Runden bei acht Prozent mehr ab. Begleitet wurden die Verhandlungen von Streikdrohungen bzw. Warnstreiks, am Ende steht wieder ein Kompromiss, der keine der beiden Seiten voll zufriedenstellt. Bis zur nächsten Lohnverhandlung dauert es wieder viele Monate, und der Fachkräftemangel macht keine Pause.
medianet eruierte, wie die Branche von Wirtschaftskammer über Gewerkschaft bis zu Unternehmen daran arbeitet, dass man attraktiver für die Arbeitskräfte wird – und welche Rahmenbedingungen es dafür braucht.
Umfrage unter Angestellten
In einer von der Linzer JKU und dem Handelsverband 2023 durchgeführten Studie mit 1.000 teilnehmenden Handels-Angestellten gaben 81% an, dass ihr Arbeitgeber attraktiv sei, 70% würden ihn weiterempfehlen. Dementsprechend sagt HV-Geschäftsführer Rainer Will: „Im Vergleich mit anderen Branchen zeichnet sich der Handel durch schnellere Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten aus, insbesondere auch für Frauen. Wir bieten viele flexible, variable Arbeitszeitmodelle an, um die Lebensrealitäten unserer Mitarbeiter bestmöglich abzubilden.” Der Handel sei mit 700.000 Beschäftigten mittlerweile der größte Arbeitgeber des Landes, insgesamt sind im Jänner 16.000 offene Stellen gemeldet: „Mit der jüngsten KV-Erhöhung ist das Mindestgehalt nun auf 2.124 Euro gestiegen, wobei es vielerorts natürlich zu teils deutlichen Überzahlungen kommt. Von einer Niedriglohnbranche ist also keine Spur mehr.”
Martin Müllauer, GPA-Verhandler und Vorsitzender des Wirtschaftsbereichs Handel, sieht die Sachlage etwas anders: „Man muss schon handelsspezifische Ursachen erkennen und benennen”, stellt er klar. „Da ist einmal der Faktor Einkommen. Hier hat der Handel zweifellos Aufholbedarf, und die aktuell extrem hohe Teuerung führt dazu, dass viele Kollegen mit ihrem Gehalt einfach nicht das Auslangen finden.” Was der Handelsverband Flexibilität nennt, liest sich aus Gewerkschaftssicht anders: „Oft werden nur noch Teilzeitjobs angeboten und es gibt dann keine Möglichkeit, auf Vollzeit umzustellen.”
Umstrittene Teilzeit
Gerade in diesem Punkt prallen Weltbilder aufeinander. Rainer Trefelik, Bundessparten-Obmann der Wirtschaftskammer und direktes Gegenüber der Gewerkschaft, wehrt sich. Es gebe einen Trend zur Teilzeit, der „sogar schon so weit geht, dass junge Leute gleich nach Abschluss der Lehrabschlussprüfung oft nur noch Teilzeit arbeiten wollen”. Für den „eigenen Nachwuchs”, also Lehrlinge, wurde ein gutes Paket geschnürt – die Lehrlingseinkommen stiegen bei der letzten KV-Erhöhung um durchschnittlich zehn Prozent: „Das heißt, ein Lehrling bekommt im ersten Lehrjahr 880 Euro monatlich, im zweiten 1.130, im dritten Lehrjahr 1.430 und im vierten Jahr 1.490 Euro.” Zusätzlich gebe es für verlängerte Öffnungszeiten Zuschläge. Die verschiedenen flexiblen Arbeitszeitmodelle kämen auch Wiedereinsteigern sehr entgegen.
Themen müssten aber an der Wurzel gepackt werden, stellt Gewerkschafter Müllauer klar: „Ganz wesentlich ist die Frage der Arbeitszeitqualität. Überlanges Arbeiten am Abend und das kurzfristige Einspringen und sich ständig verändernde Dienstpläne machen die Arbeit für viele nicht attraktiv.” Personal ist aber nicht das einzige Problem. „In Zeiten stagnierender bis rückläufiger Umsätze und stark steigender Kosten kommt die Rolle des Handels als Arbeitsplatzmotor in Gefahr”, meint etwa Will. Damit Beschäftigung nämlich leistbar bleibt, so der Handelsverband, sei eine substanzielle Entlastung bei den Lohnnebenkosten erste Priorität, „ohne Einschnitte ins Sozialsystem. Es gibt einige historisch gewachsene, aber nicht schlüssig erklärbare Lohnnebenkosten-Anteile, die es zu hinterfragen gilt.”
Probleme en masse
Wie schätzt man in der Branche selbst die drängendsten Herausforderungen ein? Spar-Unternehmensprecherin Nicole Berk-mann sagt klar und deutlich: „Zuallererst sollten die Politiker aufhören, den Handel für die eigenen Fehler verantwortlich zu machen. So wurde beispielsweise der Lebensmittelhandel monatelang als der Schuldige für die Teuerung hingestellt, was, wie sich herausgestellt hat, überhaupt nicht stimmt.”
Holger Schwarting, Vorstand von Sport2000 Österreich, hebt die Diskussion auf eine größere Ebene: „Globalisierung, Digitalisierung und dynamische Entwicklungen am Markt – der Handel in Österreich ist laufend mit neuen Herausforderungen konfrontiert.” Er führt jedoch auch konkrete Themen an, etwa eine Erleichterung bei der Anstellung ausländischer Arbeitskräfte, um flexibel auf saisonale Schwankungen reagieren zu können, sowie ein rechtlicher Rahmen zur Erhöhung der Arbeitszeitflexibilität, analog dem Kollektivvertrag Hotel- und Gastgewerbe, auch im touristischen Handel.
Ganz allgemein brauche es, so die GPA, eine Wirtschaftspolitik, der es gelingt, die Teuerung wieder in Griff zu bekommen. „Von unserer Forderung nach zusätzlichen Freizeittagen werden wir nicht abgehen”, sagt Müllauer. „Natürlich brauchen wir eine weitere Anhebung des Einkommensniveaus im Handel, Verbesserung bei den Dienstplänen und auch mehr Freizeit.” Das müssen dann die Sozialpartner ausverhandeln – beide Seiten hoffen hierbei übrigens auf eine Abrüstung der Worte.
Mögliche Lösungen
Wer wie viel arbeiten kann und will, ist in erster Linie eine persönliche Entscheidung, mit allen dazu gehörenden Konsequenzen. Die Frage, wie viel Stunden Vollzeitarbeit darstellen sollen, ist derzeit Gegenstand (gesellschafts-)politischer Diskussionen. Am Ende sind es aber die Unternehmen selbst, die damit konfrontiert sind. Sie müssen mit Themen wie Personalsuche, dem demografischen Wandel und der allgemeinen Situation umgehen. Das Eingehen auf Bedürfnisse ist für dm-Geschäftsführerin Petra Mathi-Kogelnik entscheidend: „Unsere Mitarbeitenden im Handel schätzen es, dass es trotz fixer Handelsöffnungszeiten Raum für Flexibilität bei den Arbeitszeiten gibt und wir darum bemüht sind, auf ihre individuellen Wünsche einzugehen.” Zugleich sei es wichtig, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem die physische und psychische Gesundheit und das Wohlbefinden gesichert sind.
Dass das Rundherum eine große Rolle spielt, weiß man auch bei Hofer. Das Unternehmen erklärt in einem Statement: „Wir sind davon überzeugt, dass ein attraktives Gehalt alleine nicht mehr reicht, um potenzielle Bewerber für uns zu gewinnen. Vielmehr sind die Vereinbarkeit von Beruf und Freizeit sowie die Beiträge zum Umweltschutz und das soziale Engagement ausschlaggebend geworden.” Hofer setzt schon bei den Lehrlingen an, verfolgt das erfolgreiche Konzept „Karriere mit Lehre”, das auch Erfolgsprämien vorsieht. Einige andere Benefits sind etwa die Möglichkeit, eine mehrmonatige Auszeit im Rahmen eines Sabbaticals in Anspruch zu nehmen; Mitarbeiter können sich während der Arbeitszeit ehrenamtlich engagieren, und es gibt im Rahmen der eigenen Akademie fachliche und persönliche Weiterentwicklung.
Hinzu kommt etwa noch ein betriebliches Gesundheitsmanagement. Mathi-Kogelnik sieht hierbei aber auch die Gesellschaft und Politik in der Pflicht: „Um die Arbeitskräfte der Zukunft anzusprechen, bedarf es einer zusätzlichen Stärkung des Images des Lehrberufs. Genauso gilt es, jene Mitarbeitenden, die sich noch in späteren Lebensphasen für eine Umschulung oder einen Lehrberuf entscheiden, finanziell zu unterstützen.”
Buhlen um die Besten
Natalie Flatz, Geschäftsleiterin Personal bei Lidl, sagt es deutlich: „Der Arbeitsmarkt ist hart umkämpft. Es geht vor allem darum, die richtigen Bewerber zu finden.” Der Diskonter verfolgt verschiedene Ansätze wie eine Attraktivierung der Lehrlingsausbildung oder flexible Arbeitszeitmodelle.
Ein Faktor im Kampf um Arbeitskräfte ist aber eben doch das Geld: Mit Jänner 2024 wurde der Mindestlohn auf 2.400 € angehoben (13% über KV). „Zusätzlich bekommen alle Mitarbeiter jährlich bis zu 240 Euro Einkaufsgutscheine, und es gibt auch andere Benefits, mit denen wir die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben erleichtern möchten – wie den voll bezahlten zweiwöchigen Papa-Urlaub, Sabbaticals und eine bezahlte sechste Urlaubswoche für alle Mitarbeiter mit Pauschalverträgen; an den Zentralstandorten ermöglichen wir flexible Gleitzeit-Modelle und zeitgemäße Homeoffice-Regelungen”, führt sie aus.
Auf den Punkt bringt es Spar. Für Berkmann sind „unter anderem die herausragenden Sozialleistungen, als auch das familiäre Arbeitsklima und der menschenfreundliche, faire Umgang, die flexiblen Arbeitszeiten und dass man jede Menge Karrieremöglichkeiten hat” ausschlaggebend.
Politik gefordert
Die Unternehmen tun also, was sie können und für richtig halten, um den Arbeitsplatz Handel attraktiv zu gestalten. Die Ansätze mögen verschieden sein, genauso wie weltanschauliche Zugänge zur Problematik bei Gewerkschaften, Arbeitgebern und Interessensvertretung unterschiedlich sind.
Gewerkschaftliche Vorstellungen wurden schon präsentiert – konkret fordert Trefelik: „Von der Politik braucht es neben steuerlichen Anreizen für Vollzeitarbeit auch noch Maßnahmen, um Arbeiten in der Pension finanziell attraktiver zu gestalten, sowie eine Entbürokratisierung, anstatt dem heimischen Handel neue Hürden in den Weg zu legen, Stichwort Lieferkettengesetz.”
Im Zentrum steht von allen Seiten offenbar aber die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben. Aus Sicht des Handelsverbands lautet die Forderung: „Für die Steigerung der Vollzeitquote ist es essenziell, dass Frauen größtmögliche Entscheidungsfreiheit haben. Umso wichtiger sind auch leistbare Kinderbetreuungsplätze – und zwar flächendeckend in ganz Österreich.”
Eine Forderung, die, wenn durchgesetzt, allen zugutekommt. Höflich auf den Punkt bringt es dm: „Wir sehen rund um das Thema Betreuung von Angehörigen – seien es Kinder oder pflegebedürftige Familienmitglieder – noch Verbesserungsbedarf.” Die besten Ansätze, um den Handel attraktiver zu machen, reichen eben nicht aus, wenn die Rahmenbedingungen nicht passen – ohne Politik wird das bei dem zentralen Punkt Vereinbarkeit nicht gehen.