Manche Revolution dauert länger
MARKETING & MEDIA Redaktion 19.04.2024

Manche Revolution dauert länger

Plötzlich ist Solarenergie weltweit der Renner. Nicht, dass die Sonne immer schon scheint.

Leitartikel ••• Von Sabine Bretschneider

 

SPANNEND. „Diese Erfindung könnte den Anfang einer neuen Ära markieren – die Nutzbarmachung der nahezu grenzenlosen Sonnenenergie für die menschliche Zivilisation”, titelte die New York Times 1954. Soeben war die erste praxistaugliche Solarzelle der Welt vorgestellt worden. Ganz neu war die Idee nicht, der Erfinder Charles Fritts aus New York hatte schon 1883 eine Solarzelle konstruiert, allerdings war sie für einen großflächigen Einsatz zu ineffektiv.

Nach der von der Times umjubelten Premiere vergingen fast 70 Jahre. Photovoltaik und Sonnenkollektoren fristeten ein bescheidenes Dasein. Warum die 1,5 x 1018 kWh anzapfen, die die Sonne Jahr für Jahr kosten- und schadstofffrei abstrahlt, wenn es auch teurer und umweltschädlicher geht? Rekordsommer und Gletscherschmelzen änderten daran wenig. Dann stiegen wegen des Kriegs in der Ukraine die Strom- und Gaspreise auch hierzulande in Rekordhöhen.
Jetzt sind Solarpanele auf Dächern und Balkonen beinahe so gängig wie Thujenhecken und Blumenkistln. Tausende neue, teils „wilde”, weil unregistrierte, Photovoltaik-Anlagen bringen inzwischen das niederösterreichische Stromnetz an seine Grenzen, berichten die Medien. Die Überraschung ist gelungen.
Letztlich hat es einen kriegerischen Konflikt gebraucht, um ein Umdenken in der Klimapolitik einzuleiten. Oder, anders formuliert: Ein in naher Zukunft unbewohnbarer Planet versetzt uns nicht dermaßen in Angst und Schrecken wie explodierende Betriebskosten. Das sagt über die Spezies Mensch auch einiges aus.
Nur der Homo sapiens, so eine gängige, wiewohl umstrittene, Definition seiner Sonderstellung, kann im Geist komplexe Szenarien entwickeln und diese mit anderen austauschen. Intelligenz ist, was ein Intelligenztest misst, sagen Kritiker. Aber auch wenn wir ­Jacken und Hosen tragen, um uns von anderen Tiergattungen abzugrenzen, verhindert das nicht, dass uns das Hemd immer noch näher ist als der Rock. Und nach uns die ­Sintflut.

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